Lautlos die Tür zur Seite schiebend, schlüpfte er zwischen den zugezogenen Gardinen ins dunkle Wohnzimmer. Er blieb einen Augenblick lang stehen; wartete, bis seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, lauschte. Das Haus war still wie ein Grab.
Das Zimmer des Jungen fand er als erstes. Der grüne Schein der Leuchtziffern auf einem Uhrenradio spendete etwas Helle. Der Halbwüchsige lag auf der Seite und schnarchte leise. Sechzehn. Sehr jung. Vince mochte es, wenn sie sehr jung waren.
Er ging um das Bett herum und kauerte sich an der Längsseite nieder, so daß sein Gesicht sich dicht vor dem des Schläfers befand. Mit den Zähnen zog er sich den Handschuh von der linken Hand. Die Pistole in der rechten Hand haltend, drückte er die Mündung von unten gegen das Kinn Der Junge wachte sofort auf.
Vince schlug mit der unbehandschuhten Hana klatschend gegen die Stirn des Jungen und drückte gleichzeitig ab. Die Kugel durchdrang die weiche Unterseite des Kinns des Jungen, durchschlug sein Gaumendach und drang in sein Gehirn ein, was zum sofortigen Tod führte.
Ssssnappp.
Eine mächtige Ladung Lebensenergie schoß aus dem sterbenden Körper in Vince hinein. Es war Energie in so reiner, lebendiger Form, daß er vor Entzücken wimmerte als er spürte, wie sie in ihn hineinströmte.
Eine Weile verharrte er neben dem Bett in seiner knienden Lage und wagte nicht, sich zu bewegen. Atemlos. Entrückt. Endlich küßte er im Dunkeln den toten Jungen auf die Lippen und sagte: »Ich nehme an. Danke. Ich nehme an.«
Rasch und lautlos wie eine Katze kroch er durch das Haus und fand schnell das Elternschlafzimmer. Eine weitere Digitaluhr mit grünen Leuchtziffern und der weiche Schein einer Nachtleuchte, der durch die offene Badezimmertür drang, lieferten genügend Licht. Dr. Hudston und seine Frau schliefer beide. Vince tötete die Frau zuerst - Ssssnappp - ohne ihrer Mann zu wecken. Sie schlief nackt, und so legte er, nachdem er ihr Opfer empfangen hatte, den Kopf auf ihre unbedeckter Brüste und lauschte der Stille ihres Herzens. Er küßte ihn Brustwarzen und murmelte: »Danke.«
Als er um das Bett herumging, eine Nachttischlampe anknipste und Dr. Hudston weckte, war der Mann zuerst etwas verwirrt. Bis er die blicklosen, starren Augen seiner Frau sah Dann schrie er und griff nach Vinces Arm, und Vince schlug ihm zweimal den Kolben seiner Pistole über den Schädel.
Vince zerrte den Bewußtlosen, der ebenfalls nackt war, in' Badezimmer. Wieder fand er Heftpflaster, mit dem er dem Arzt die Hand und Fußgelenke fesselte. Er füllte die Wanne mit kaltem Wasser und bugsierte Hudston mit einiger Mühe hinein. Das kalte Bad belebte den Arzt.
Obwohl nackt und gefesselt, versuchte Hudston sich aus dem kalten Wasser hochzustemmen und auf Vince loszugehen.
Vince schlug ihm die Pistole ins Gesicht und drückte ihn in die Wanne zurück.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?« stieß Hudston hastig hervor, als sein Gesicht aus dem Wasser kam.
»Ich habe Ihre Frau und Ihren Sohn getötet und werde Sie töten.«
Hudstons Augen schienen in der feuchten, teigigen Masse seines Gesichts zu versinken. »Jimmy? Oh, nicht Jimmy. Wirklich nicht!«
»Ihr Junge ist tot«, fuhr Vince beharrlich fort. »Ich hab' ihm das Gehirn aus dem Schädel geblasen.«
Bei der Erwähnung seines Sohnes brach Hudston zusammen. Er vergoß keine Tränen, fing nicht an zu jammern -nichts, was so dramatisch gewesen wäre. Seine Augen waren plötzlich tot, verloren schlagartig jeden Glanz. Ein Licht, das plötzlich ausging. Er starrte Vince an, aber in diesem Blick waren kein Zorn mehr, keine Furcht.
»Sie haben jetzt die Wahl«, sagte Vince. »Sie können leicht sterben oder auf die harte Tour. Sie sagen mir, was ich wissen möchte, und ich lasse Sie leicht sterben, schnell und schmerzlos. Wenn Sie stur sind, kann ich es auf fünf oder sechs Stunden ausdehnen.«
Dr. Hudston starrte nur. Abgesehen von den hellroten Streifen frischen Blutes auf seinem Gesicht war er sehr weiß, naß und von unnatürlicher Blässe, wie irgendein Wesen, das seit ewigen Zeiten in den tiefsten Tiefen der See zu Hause ist. Vince hoffte, der Bursche sei nicht in Katatonie verfallen. »Was ich wissen will, ist, was Sie mit Davis Weatherby und Elisabeth Yarbeck gemeinsam haben.«
Hudston blinzelte, sein Blick kehrte zurück. Seine Stimme war heiser und brüchig. »Davis und Liz? Wovon reden Sie?« »Sie kennen sie?«
Hudston nickte.
»Wie kennen Sie sie? Sind Sie zusammen zur Schule gegangen? Waren Sie einmal Nachbarn?«
Hudston schüttelte den Kopf und sagte: »Wir... wir haben früher einmal bei Banodyne zusammengearbeitet.« »Banodyne - was ist das?«
»Die Banodyne-Labors.«
»Wo ist das?«
»Hier in Orange County«, sagte Hudston und nannte eine Adresse in Irvine.
»Was haben Sie dort gemacht?«
»Forschungsarbeiten. Aber ich bin vor zehn Monaten weggegangen. Weatherby und Yarbeck sind immer noch dort, ich nicht mehr.«
»Was für Forschungsarbeiten?« fragte Vince Hudston zögerte.
Vince sagte: »Schnell und schmerzlos - oder qualvoll und häßlich?«
Der Arzt berichtete ihm von den Forschungsarbeiten, mit denen er bei Banodyne befaßt gewesen war. Das Francis-Projekt. Die Experimente. Die Hunde.
Die Geschichte war unglaublich. Vince ließ Hudston einige Einzelheiten drei- oder viermal wiederholen, ehe er endlich überzeugt war, daß die Geschichte der Wahrheit entsprach. Als Vince sicher war, alles aus dem Mann herausgequetscht zu haben, schoß er Hudston ins Gesicht, direkt und aus nächster Nähe: der schnelle Tod, den er versprochen hatte. Sssnappp.
Als er wieder in seinem Lieferwagen saß und die nachtdunklen Laguna-Hügel hinunterfuhr, das Hudston-Haus hinter sich zurücklassend, dachte Vince über den gefährlichen Schritt nach, den er getan hatte. Gewöhnlich wußte er nichts über seine Zielobjekte; so war das für ihn und seine Auftraggeber am sichersten. Gewöhnlich wollte er nicht wissen, was die armen Teufel getan hatten, um solchen Kummer auf sich zu häufen, weil dieses Wissen ihm Kummer machen würde. Aber das hier war keine gewöhnliche Sache. Er war dafür bezahlt worden, drei Doktoren zu töten - nicht etwa Ärzte, wie sich jetzt herausstellte, sondern Wissenschaftler -, alles angesehene Bürger, und mit ihnen alle Familienmitglieder, die zufällig anwesend waren. Außergewöhnlich. Die Zeitungen von morgen würden nicht genug Raum haben, um alles zu bringen. Etwas Großes war hier im Gange, etwas so Bedeutsames, daß ihm damit vielleicht eine einmalige Chance in die Hand gegeben war: eine Chance auf so viel Geld, daß er beim Zählen Hilfe brauchen würde. An das Geld würde er kommen, wenn er das verbotene Wissen verkaufte, das er Hudston abgepreßt hatte ... falls er rausfand, wer es kaufen wollte. Aber Wissen war nicht nur verkäuflich, es war auch gefährlich. Man brauchte ja nur Adam zu fragen. Oder Eva. Wenn seine jetzigen Auftraggeber, die Dame mit der sinnlichen Stimme und die anderen Leute in L.A., erfuhren, daß er gegen die fundamentalste Regel seines Handwerks verstoßen hatte, wenn sie wüßten, daß er eines seiner Opfer verhört hatte, ehe er es erledigte, würden sie einen Kontrakt mit Vince als Zielobjekt schließen. Und der Jäger würde zum Gejagten werden.
In bezug auf das Sterben machte er sich natürlich keine großen Sorgen. Er hatte zu viel Leben in sich gespeichert. Das Leben anderer Leute. Mehr Leben als zehn Katzen. Er würde ewig leben. Dessen war er ziemlich sicher. Aber... nun, er wußte nicht genau, wie viele Leben er in sich aufnehmen mußte, um sich die Unsterblichkeit zu sichern. Manchmal hatte er das Gefühl, er habe bereits den Zustand der Unüberwindbar-keit, des ewigen Lebens erreicht. Dann wiederum hatte er das Gefühl, immer noch verwundbar zu sein, noch mehr Lebensenergie aufnehmen zu müssen, um den erwünschten Zustand der Gottähnlichkeit zu erlangen. Und bis er außerhalb jeden
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