»Nora, schläfst du nackt?«
Sie saß im Bett. Jetzt richtete sie sich weiter auf, starr, verkrampft. »Ich gehe zur Polizei und werde sagen, daß Sie versucht haben... sich mir aufzudrängen. Das werde ich. Ich schwöre, ich werde es tun.«
»Ich möchte dich nackt sehen«, sagte er, ihre Drohung nicht beachtend.
»Ich werde lügen. Ich werde sagen, daß Sie mich vergewaltigt haben.«
»Würdest du denn nicht wollen, daß ich meine Hände an deine Brüste lege, Nora?«
Ein Stechen im Magen zwang sie, sich im Bett nach vorne zu beugen. »Ich lasse mein Telefon anzapfen und alle Gespräche aufzeichnen, damit ich Beweise habe.«
»Dich am ganzen Körper küssen, Nora. Wäre das nicht hübsch?«
Das Stechen wurde ärger. Außerdem zitterte sie jetzt am ganzen Körper. Ihre Stimme brach mehrmals, als sie ihre letzte Drohung einsetzte: »Ich habe eine Pistole. Ich habe eine Pistole.«
»Heute nacht wirst du von mir träumen, Nora. Da bin ich ganz sicher. Du wirst davon träumen, daß ich dich überall küsse, deinen ganzen hübschen Körper... «
Sie knallte den Hörer auf den Apparat.
Dann rollte sie sich im Bett in seitliche Lage, zog die Schultern hoch, zog die Knie ein und umfaßte sie mit beiden Armen. Das Stechen hatte keine natürliche Ursache; es war ein-
zig und allein eine psychische Reaktion, ausgelöst von Furcht, Scham, Wut und ungeheurer innerer Verkrampfung.
Langsam ließ der Schmerz nach. Die Furcht legte sich, nur die Wut blieb.
Sie war so erschütternd naiv bezüglich der Welt und ihrem Getriebe, so wenig vertraut, mit Leuten umzugehen, daß sie nur funktionierte, wenn sie sich auf das Haus beschränkte, auf eine in sich abgeschlossene Welt ohne menschliche Kontakte. Sie wußte nichts über gesellschaftlichen Umgang. Sie war nicht einmal imstande gewesen, mit Garrison Dilworth, Tante Violets Anwalt - jetzt Noras Anwalt -, ein höfliches Gespräch zu führen. Sie waren zusammengekommen, um den Nachlaß zu regeln, und sie hatte seine Fragen so bündig wie möglich beantwortet, war in seiner Gegenwart mit gesenktem Blick, die Hände im Schoß verkrampft, dagesessen, schüchtern wie nur. Angst vor dem eigenen Anwalt! Wenn sie mit einem freundlichen Mann wie Garrison Dilworth nicht umgehen konnte, wie sollte sie je mit einem Tier wie Art Streck zu Rande kommen? In Zukunft würde sie es nicht mehr wagen, jemanden für eine Reparatur ins Haus zu lassen, ganz gleich, was kaputtging, und einfach in immer schlimmer werdendem Zerfall leben müssen. Denn der nächste Mann konnte wieder ein Streck sein - oder noch schlimmer. In Beibehaltung der Tradition, die ihre Tante eingeführt hatte, ließ sich Nora bereits die Lebensmittel vom nahen Supermarkt liefern, um nicht zum Einkaufen aus dem Haus gehen zu müssen. Jetzt aber würde sie sogar Angst davor haben, den Jungen, der die Sachen brachte, ins Haus zu lassen; er war nie auch nur im geringsten Maße zudringlich, anzüglich oder in irgendeiner Weise beleidigend gewesen. Aber eines Tages würde er vielleicht ihre Verwundbarkeit erkennen, wie Streck ...
Sie haßte Tante Violet.
Andererseits hatte Violet recht gehabt: Nora war eine Maus. Und wie allen Mäusen war ihr bestimmt, zu rennen, sich zu verstecken, im Dunkeln zu kauern.
Ihre Wut ließ nach, wie vorhin der stechende Schmerz. Das Gefühl der Verlassenheit trat an die Stelle des Zorns, und sie weinte leise.
Später saß sie an das Kopfteil gelehnt da, tupfte sich die geröteten Augen mit Kleenex, schneuzte sich und gelobte tapfer, nicht zur Einsiedlerin zu werden. Irgendwie würde sie die Kraft und den Mut finden, sich mehr als in der Vergangenheit in die Welt hinauszuwagen. Sie würde Menschen kennenlernen. Sich mit den Nachbarn bekannt machen, die Violet mehr oder weniger geschnitten hatte. Sie würde Freunde gewinnen. Weiß Gott, das würde sie. Und sie würde sich von Streck nicht einschüchtern lassen. Sie würde lernen, auch andere Probleme zu meistern, und eines Tages würde sie eine ganz andere sein als die, die sie jetzt war. Dieses Versprechen legte sie ab. Ein heiliges Gelöbnis.
Sie erwog, die Telefonschnur aus der Dose zu ziehen, um auf diese Weise Streck einen Strich durch die Rechnung zu machen, aber sie hatte Angst, sie könnte den Apparat brauchen. Was, wenn sie aufwachte, jemand im Haus hörte und das Telefon nicht schnell genug anstecken konnte?
Bevor sie das Licht ausschaltete und die Decke hochzog, schloß sie die Schlafzimmertür und sicherte sie mit dem Lehnsessel, indem sie diesen schräg unter dem Türknopf verspreiz-te. Im Bett, im Dunkeln, tastete sie nach dem Fleischermesser, das sie auf den Nachttisch gelegt hatte, und war beruhigt, als ihre Hand es ohne langes Suchen fand.
Nora lag auf dem Rücken, die Augen offen, hellwach. Fahles, bernsteinfarbenes Licht der Straßenlaternen fand seinen Weg durch die Fensterläden. Einander abwechselnde Streifen aus Schwarz und blassem Gold überzogen die Zimmerdecke, als spränge ein unendlich langer Tiger mit einem nicht endenden Satz über das Bett. Sie fragte sich, ob sie jemals wieder würde leicht einschlafen können.
Außerdem fragte sie sich, ob sie draußen in jener größeren Welt, die zu betreten sie gelobt hatte, jemanden finden würde, dem sie etwas bedeutete, der sich um sie - und für sie -sorgte. Gab es denn niemanden, der eine Maus lieben und hegen konnte?
Aus weiter Ferme erklang das Pfeifen eines Zuges, ein einziger, hohler, klagender Ton.
Noch nie war Vince Nasco so emsig gewesen. Und so glücklich.
Als er die übliche Nummer in Los Angeles anrief, um seinen Erfolg im Haus der Yarbecks zu melden, verwies man ihn an eine andere öffentliche Telefonzelle. Diese stand zwischen einem Yoghurteis-Laden und einem Fischrestaurant auf Baiboa Island in Newport Harbor.
Dort rief ihn die Kontaktperson mit der kehligen, sinnlichen Kleinmädchenstimme an. Sie sprach in Umschreibungen von Mord, gebrauchte nie belastende Worte, sondern exotische Euphemismen, die vor Gericht nicht von Gewicht sein konnten.
Sie sprach von einer anderen Telefonzelle aus, einer, die sie willkürlich gewählt hatte, so daß buchstäblich nicht die geringste Chance bestand, eines der beiden Telefone könnte angezapft sein. Aber dies hier war eine Welt des Großen Bruders, in der man nicht wagen durfte, Risiken einzugehen.
Die Frau hatte einen dritten Auftrag für ihn. Drei an einem Tag!
Während Vince beobachtete, wie der abendliche Verkehr sich auf der schmalen Inselstraße stockend an ihm vorbeibewegte, gab die Frau - die er nie im Leben gesehen hatte und deren Name er nicht kannte - ihm die Adresse von Dr. Albert Hudston in Laguna Beach. Hudston wohnte da mit seiner Frau und seinem sechzehnjährigen Sohn. Dr. Hudston und seine Frau sollten beide erledigt werden; was mit dem Jungen geschah, war Vince überlassen. Wenn man den Jungen heraushalten konnte, so war das in Ordnung. Aber wenn er Vince sah und als Zeuge auftreten könnte, mußte auch er beseitigt werden.
»Liegt ganz in Ihrem Ermessen«, sagte die Frau.
Vince wußte bereits, daß er den Jungen auslöschen würde, denn Töten nützte ihm mehr, brachte ihm mehr Energie ein, wenn das Opfer jung war. Es war lange her, daß er einen wirklichen Jungen weggeblasen hatte, und die Aussicht darauf erregte ihn.
»Ich kann nur betonen«, sagte die Kontaktperson und trieb Vince mit ihren Pausen, in denen nur ihr Atem zu hören war, halb zum Wahnsinn, »daß vom Optionsrecht entsprechend schnell Gebrauch gemacht werden muß. Wir wollen, daß das Geschäft bis heute abend getätigt ist. Bis morgen weiß die Konkurrenz, was für ein Ding wir schaukeln wollen, und wird uns in die Quere kommen.«
Vince wußte, daß die >Konkurrenz< die Polizei sein mußte. Man bezahlte ihn dafür, an einem einzigen Tag drei Ärzte zu töten - Ärzte, wo er doch bisher nie einen Arzt getötet hatte. Also wußte er auch, daß es zwischen ihnen eine Verbindung gab, die die Bullen herausfinden würden, wenn sie Weatherby im Kofferraum seines Wagens und Elisabeth Yarbeck zu Tode geprügelt in ihrem Schlafzimmer fanden. Vince wußte nicht, was das für eine Verbindung war, weil er nie etwas über die Leute wußte, für deren Ermordung man ihn bezahlte. In Wahrheit wollte er gar nichts wissen. Es war sicherer so. Aber die Bullen würden Weatherby mit Yarbeck und diese beiden mit Hudston in Verbindung bringen. Wenn Vince also heute abend nicht an Hudston herankam, würde die Polizei den Mann ab morgen schützen.
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