Vince sagte: »Die Frage ist... wollen Sie das Optionsrecht auf dieselbe Weise ausgeübt wissen wie bei den beiden anderen Geschäften heute? Wünschen Sie, daß nach einem bestimmten Schema vorgegangen wird?«
Er dachte daran, das Haus der Hudstons mitsamt seinen Bewohnern niederzubrennen, um die Morde zu tarnen »Ja, wir wollen unbedingt, daß man ein Schema erkennt«, sagte die Frau. »Genauso wie bei den anderen Wir wollen, daß sie wissen, daß wir tätig sind.«
»Ich verstehe.«
»Wir wollen sie in die Ohren kneifen«, sagte sie und lachte halblaut. »Wir wollen Salz in ihre Wunden reiben."
Vince legte auf und ging ins >Jolly Roger<, um dort zu Abend zu essen. Er nahm Gemüsesuppe, einen Hamburger, Pommes frites. Zwiebelringe, Krautsalat, Schokoladekuchen mit Eiskrem und - als Draufgabe - Apfelkuchen und spülte alles mit fünf Tassen Kaffee hinunter. Er hatte stets einen gesunden Appetit, aber dieser Appetit nahm nach einem erledigten Job noch erheblich zu. In der Tat, auch nach dem Apfelkuchen war er noch nicht voll. Verständlich. An einem einzigen, arbeitsreichen Tag hatte er die Lebensenergien von Davis Weatherby und die der Yarbecks in sich aufgenommen; er war zu hoch aufgeladen, eine im Schnellgang laufende Maschine. Sein Stoffwechsel lief auf vollen Touren; er würde eine Weile lang mehr Treibstoff brauchen, bis sein Körper die überschüssigen Lebensenergien für künftigen Gebrauch in biologischen Batterien gespeichert hatte.
Seine Fähigkeit, die Lebenskraft seiner Opfer zu absorbieren, war eine Gabe, die ihn von allen anderen Menschen unterschied. Dank dieser Gabe würde er immer stark, vital und voll auf dem Posten sein. Und ewig leben.
Das Geheimnis dieser herrlichen Gabe hatte er der Frau mit der kehligen Stimme nie verraten, und auch sonst keinem der Leute, für die er arbeitete. Nur wenige Menschen besaßen genügend Fantasie und Aufgeschlossenheit, ein solch erstaunliches Talent ernsthaft für möglich zu halten. Vince behielt es für sich, weil er Angst hatte, man könnte denken, er sei verrückt.
Draußen vor dem Restaurant blieb er eine Weile auf dem Gehsteig stehen und atmete tief durch, genoß die würzige Seeluft. Eine kühle Nachtbrise blies vom Hafen herein und fegte Papierfetzen und purpurfarbene Jakarandablüten über das Pflaster.
Vince fühlte sich prächtig. Er hielt sich für eine Elementargewalt wie Wind und Meer.
Von Baiboa Island fuhr er in südlicher Richtung nach Laguna Beach. Um zwanzig nach elf parkte er seinen Lieferwagen vor dem Hudston-Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Haus lag in den Hügeln, ein einstöckiger Bau, der sich an die steile Hügelflanke schmiegte und sicherlich einen herrlichen Ausblick auf das Meer bot. Hinter ein paar der Fenster war Licht zu sehen.
Er kletterte zwischen den Sitzen durch und in den hinteren Teil des Lieferwagens, wo er nicht gesehen werden konnte, um abzuwarten, bis alle Hudstons zu Bett gegangen waren. Bald nach Verlassen des Hauses der Yarbecks hatte er seinen blauen Anzug mit einer grauen Hose, einem weißen Hemd, einem braunem Pullover und einer dunkelblauen Nylonjacke vertauscht. Jetzt hatte er in der Dunkelheit nichts zu tun, als seine Waffen aus einer Pappschachtel zu holen, in der sie unter zwei Laib Brot, einer Viererpackung Toilettenpapier und anderen Dingen, die den Eindruck vermitteln sollten, er hätte gerade Einkäufe gemacht, versteckt gewesen waren.
Die Walther P-38 war voll geladen. Nach dem Job im Haus der Yarbecks hatte er einen frischen Schalldämpfer auf den Lauf geschraubt, einen von den neuen, kurzen, die dank der Fortschritte der Technik nur halb so lang waren wie die älteren Modelle. Er legte die Waffe beiseite.
Er hatte ein Klappmesser mit einer sechszölligen Klinge.
Das steckte er in die rechte vordere Hosentasche.
Als er die Drahtgarrotte zu einem kleinen Knäuel zusammengerollt hatte, stopfte er sie in die linke Innentasche seiner Jacke.
Dann hatte er noch einen mit Bleikugeln beschwerten Totschläger; dieser wanderte in die rechte Außentasche seines Jacketts.
Vince rechnete nicht damit, eine andere Waffe als die Pistole einsetzen zu müssen. Aber er liebte es, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein.
Bei manchen Jobs hatte er eine Uzi-Maschinenpistole verwendet. Aber der gegenwärtige Auftrag erforderte keine schwere Waffen.
Er hatte auch noch ein kleines Lederetui bei sich. etwa halb so groß wie ein Reisenecessaire, in dem sich ein paar einfache Einbrecherwerkzeuge befanden. Er machte sich nicht die Mühe, diese Instrumente näher zu inspizieren. Vielleicht würde er sie gar nicht brauchen, weil eine Menge Leute in bezug auf die Sicherheit ihrer Häuser erstaunlich lasch waren und Türen und Fenster nachts unversperrt ließen, gerade so als glaubten sie, in einem Quäkerdorf des neunzehnten Jahrhunderts zu leben.
Um elf Uhr vierzig beugte er sich zwischen den Sitzen hindurch nach vorne und schaute durch die Seitenfenster zum Haus hinüber. Alle Lichter waren ausgeschaltet. Gut. Sie waren zu Bett gegangen.
Um ihnen Zeit zum Einschlafen zu lassen, setzte er sich wieder in den hinteren Teil des Lieferwagens, aß einen Schokoladenriegel auf und dachte darüber nach, wie er einen Teil der erheblichen Honorare ausgeben würde, die er seit heute morgen verdient hatte.
Er wünschte sich schon seit einiger Zeit einen Power-Ski,eine jener raffinierten Maschinen, die es möglich machten, ohne Boot Wasserski zu laufen. Er liebte das Meer. Etwas an der See übte ungeheure Anziehungskraft auf ihn aus; er fühlte sich in den Fluten zu Hause, erlebte alles doppelt intensiv, wenn er sich im Gleichklang mit dahinrollenden großen dunklen Wassermassen fortbewegte. Er fand großes Vergnügen am Tauchen. Segeln und Surfen. Als Teenager hatte er mehr Zeit am Strand verbracht als in der Schule. Auch jetzt holte er gelegentlich sein Surfbrett hervor, wenn die Brandung stark war. Aber er war achtundzwanzig, und Surfen war ihm heute ein eher zahmes Vergnügen. Er ließ sich nicht mehr so leicht begeistern wie früher einmal. Heutzutage liebte er Schnelligkeit. Er malte sich aus, wie er auf dem neuen Power-Ski über die schieferfarbene See fegte, vom Wind getrieben, durchgerüttelt von der nicht abreißenden Reihe hereinkommender Brecher auf dem Pazifik reitend wie ein Rodeo-Cowboy, der einen Bronco einritt...
Fünfzehn Minuten nach Mitternacht stieg er aus dem Lieferwagen. Er steckte die Pistole in den Hosenbund und ging quer über die verlassene, stille Straße zum Hudston-Haus. Er betrat das Anwesen durch ein unversperrtes hölzernes Tor und kam an eine Seitenterrasse, die nur vom Mondlicht erhellt wurde, das durch die Blätter eines riesigen Korallenbaumes drang.
Er blieb stehen, um ein Paar dünne Lederhandschuhe überzustreifen.
Das Mondlicht spiegelte sich in einer Schiebetür aus Glas, die die Terrasse mit dem Wohnzimmer verband. Sie war abgeschlossen. Im Licht einer Taschenlampe, die er aus dem Futteral mit Einbrecherwerkzeugen holte, zeigte sich, daß eine hölzerne Stange in der Innenschiene der Tür lag, um zu verhindern, daß man sie gewaltsam öffnete.
Die Hudstons waren sicherheitsbewußter als die meisten Leute, aber das störte Vince nicht. Er befestigte einen kleinen Gummisaugnapf am Glas, schnitt in der Nähe des Türgriffs mit einem Diamantschneider einen Kreis in die Scheibe und entfernte das ausgeschnittene Stück lautlo s mit dem Saugnapf. Dann griff er durch das Loch und löste die Verriegelung. Er schnitt in Bodennähe einen weiteren Kreis, griff hinein, entfernte die Holzstange aus der Schiene und schob sie unter den zugezogenen Gardinen in den Raum dahinter.
Um Hunde brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Die Frau mit der sinnlichen Stimme hatte ihm gesagt, die Hudstons besäßen keine Haustiere. Einer der Gründe, weshalb er so gerne für gerade diese Auftraggeber arbeitete: Ihre Informationen waren stets ausführlich und exakt.
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