„Ja, das hatte ich auch“, gab Marcus mit kläglicher Stimme zu. „Aber hey, Sie waren diejenige, die 911 gewählt hat, also danke dafür!“
„Oh, selbstverständlich! Es wäre furchtbar gewesen, wenn Sie gestorben wären!“ Dann lehnte sie sich dicht an sein Ohr und flüsterte: „Herzanfälle sind so – so furchtbar, nicht wahr?“
Plötzlich änderte sich etwas an ihr. Ihr breites Lächeln offenbarte nun noch etwas anderes, aber er konnte nicht sagen, was es war. In diesem Moment erinnerte er sich mit einem Ruck an ihren Blick, kurz bevor er im Büro ohnmächtig geworden war.
Ihre Stimme hatte sich mit dem Ausdruck verändert.
„Dann sag mir lieber, was ich hören will.“
Das Lächeln verschwand und ihre Augen wurden vollkommen schwarz.
Marcus hatte geglaubt, es gäbe kein schlimmeres Gefühl, als einen Herzinfarkt. Doch als die Augen der Sekretärin plötzlich schwarz wurden, bekam er ein furchtbares Gefühl ganz tief im Magen.
„Du wirst mir helfen, Prof“, sagte sie mit einem rumpelnden Unterton in der Stimme. „Den Gerüchten zufolge bist du derjenige, mit dem man reden muss, wenn man etwas über den Geist von Yoshio Nakadai wissen will. Ich muss diesen Geist haben. Sieh mal, es herrscht Krieg und meine Seite hat ganz gut was abbekommen. Man hat mir gerade ordentlich in den Hintern getreten. Ich habe sechs meiner Freunde einen furchtbaren Tod sterben sehen und konnte ihnen nicht helfen. Ich bin verdammt noch mal sauer und habe keinen Bock mehr, mich zum Arsch zu machen. Ich will das Herz des Drachen zurück. Und das führt mich – ach so freundlich – zu dir.“ Nachdem sie diese Worte ausgespuckt hatte, kehrte das Lächeln zurück.
Marcus sagte nichts. Was immer dieses Wesen war, es war nicht auf der Seite der Guten.
Ihr Gesicht schwebte über ihm, die schwarzen Augen waren wie tiefe, hypnotische Teiche.
„Das Schwert, mit dem man dem Geist Einhalt gebieten kann – wo ist es?“, fuhr sie fort. „Ich brauche es und du wirst mir sagen, wo es ist.“
Marcus starrte die Kreatur an.
„Sorry, das kann ich nicht“, sagte er und versuchte die Angst in seiner Stimme zu verbergen.
Das Wesen knurrte. Ein Geräusch, das Angst einflößend und grauenvoll war, zumal es von so einer zarten Gestalt ausging.
„Oh, glaubst du?“
„Das hat nichts mit glauben zu tun“, sagte Marcus. „Ich weiß nicht, wo es ist, und ich weiß nicht, wie man es finden kann.“ Er nahm an, es sei bei Chao, aber selbst die Winchesters waren sich da nicht vollkommen sicher.
Mehrere lange Augenblicke starrten ihn die Obsidianaugen an. Es fühlte sich an, als blickte ein Monster in seine Seele.
„Hm“, sagte sie schließlich. „Es sieht so aus, als ob du die Wahrheit sagst. Nun, das ist scheiße.“ Das furchtbare Lächeln kehrte zurück.
„Für dich auf alle Fälle.“
Marcus’ linker Arm begann zu schmerzen.
Fünfundzwanzig
Sam und Dean wollten gerade in Professor Wallace’ Zimmer gehen, als ein paar Leute in OP-Kleidung, die sich gegenseitig etwas zuriefen, vor ihnen hineinrannten.
„Verdammt guter Zeitpunkt, um in einer Folge Emergency Room zu landen“, murmelte Dean.
Sam hatte Dean angerufen, nachdem er mit dem Professor gesprochen und die Leiche des Gangsters in der Nähe des Richmond Inner Harbour vergraben hatte.
Damit Sam nicht den ganzen Weg zurück nach San Francisco und dann auf der gleichen Strecke zurück nach Berkeley fahren musste, war Dean mit dem Bus zur Civic Center Station der BART gefahren und hatte die rote Linie nach Berkeley genommen. Sam hatte ihn an der Station abgeholt. Sie waren direkt zur Fakultät für Asiatische Studien gefahren, um den Laptop zu holen und zum Krankenhaus zu fahren.
Eine kleine Asiatin ging rückwärts aus dem Krankenzimmer und wurde von einer Krankenschwester gestützt. Sie weinte.
„Professor Wallace! Professor Wallace!“, schluchzte sie.
„Bitte, Ma’am, Sie müssen hierbleiben“, sagte die Schwester in einem annähernd beruhigenden Tonfall. „Wir versuchen alles, um ihn zu retten.“
Dean ging zu der Frau.
„Entschuldigen Sie, was ist mit Professor Wallace passiert?“
Sie blickte zu ihm hoch und Tränen strömten über ihre Wangen. Sie hatte ’ne nette Ähnlichkeit mit Lucy Liu, fand Dean.
„Ich weiß es nicht! Wir haben uns gerade unterhalten und dann hat er sich plötzlich ganz merkwürdig benommen und alle Monitore piepten. Es war schrecklich .“
Er blickte nach oben und sah, wie Sam in den Raum schaute.
„Sie sind gerade bei ihm“, sagte er, als er sich umdrehte.
„Scheiße“, zischte Dean durch seine zusammengebissenen Zähne. Selbst wenn die Docs seinen Arsch noch einmal aus dem Feuer zogen, würde es Stunden dauern, bis Wallace wieder bei Bewusstsein war und noch dazu Besucher empfangen konnte.
Er drehte sich wieder zu der Frau um und suchte nach einer Möglichkeit, sich elegant zu entschuldigen. Wenn sie Wallace kannte, würde sie nicht begeistert sein, dass jemand seinen Laptop hatte.
Aber bevor er etwas sagen konnte, torkelte sie gegen ihn und griff mit einer Hand nach seinem Bizeps. Sie war nicht schwer, aber er traute sich nicht, sich zu bewegen, weil er Angst hatte, dass sie dann hinfallen würde.
„Äh“, er blickte seinen Bruder hilflos an.
Sam zuckte die Schultern.
„Es tut mir leid“, sagte die Frau atemlos. „Ich brauche frische Luft.“
„Dann bringen wir Sie, äh, besser mal nach draußen, okay? Wir schauen dann später wieder nach dem Professor.“
„Ja“, erwiderte sie. „Danke.“
Sam starrte Dean an, der einfach nur wütend zurückstarrte.
Was soll ich denn sonst machen?
Als sie erst einmal auf dem Parkplatz waren, hatte die Frau ihre Fassung zurückgewonnen und sprach mit einer stärkeren Stimme.
„Danke sehr, Dean.“
„Sicher, kein …“
In diesem Moment begriff Dean. Er wich schnell zurück.Seine Hand bewegte sich zur Innentasche seines Anzugs und schloss sich um den Griff von Rubys Dämonenkiller-Messer.
„Hör mit dem Quatsch auf, Schwester.“
Die Frau setzte ein widerliches Grinsen auf und ihre Augen wurden dämonenschwarz.
„Ah, ja. Es war einen Versuch wert. Ein Typ wie du – ich dachte, du wolltest die scharfe asiatische Braut retten. Fandest das ganze Lucy-Liu-Ding gut, oder?“
Ah, Mist. Aber Dean schnappte nicht nach dem Köder.
„Du hast ein paar Sekunden, um zu verduften, Scherzkeks.“
„Nicht so einfach, Jungs“, sagte sie und blickte Sam an, der ihnen nach draußen gefolgt war. „Sieh an, ihr beiden seid sogar noch wertvoller als das Hakenschwert. Vielleicht sogar wertvoller als der Geist von Nakadai.“
Sein jahrelanges Pokern half Dean, einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren.
Der Dämon sprach weiter mit seinem jüngeren Bruder.
„Du siehst furchtbar aus, Sam. Du solltest wirklich besser auf dich achten“, bemängelte das Wesen. „Immerhin bist du Luzifers Gefäß. Es steht dir nicht, überall blaue Flecken zu haben.“ Sie schüttelte den Kopf. „ Verdammmich. Michaels Schwert und Luzifers Gefäß. Ich habe wirklich den Jackpot geknackt.“
Dean nahm das Messer aus der Tasche.
„Wir auch.“
Ihre Gesichtszüge entgleisten.
„Aaah, scheiß drauf!“
Der Kopf der Frau fiel zurück und Rauch strömte aus ihrem Mund. Er schoss wirbelnd nach oben wie ein Tornado.
Sie brach zusammen.
„Komm mit“, sagte Dean und ging geradewegs auf den Impala zu. „Das ist ’ne größere Sache, als wir dachten. Wir müssen uns auf die Socken machen.“
„Dean …“, begann Sam, aber sein Bruder schnitt ihm das Wort ab.
„Wir sind auf dem Parkplatz eines Krankenhauses“, sagte er, während er den Autoschlüssel aus der Tasche fischte. „Einer wird ihr schon helfen und wir müssen hier abhauen, bevor der seinen Dämonen-Kumpels erzählt, wer wir sind. Sie können uns zwar dank Castiel nicht aufspüren, aber wir wurden reingelegt, Sam.“
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