Ich hab´s doch gewusst. Bingo!
„Hey, was treibst du denn da so lange? Du solltest nicht stundenlang an deinem Ding rumspielen, sondern nur pinkeln. Oder hast du dich verlaufen?“
Er schmunzelte. Nachdem die Kleine anfangs noch etwas schüchtern gewesen war, war sie zunehmend aufmüpfiger geworden. Und obwohl er sich einerseits darüber ärgerte, musste er sich andererseits eingestehen, dass ihn das ziemlich antörnte.
„Warte! Ich bin gleich zurück. Ich habe nur gerade etwas entdeckt, das ich mir kurz ansehen möchte.“
Auf der verborgenen Tür, der sich Adam nun gegenüber sah, hatte irgendein Witzbold einen warnenden Spruch in gelber Neonfarbe hinterlassen:
HAU AB, HIER LAUERT DER TOD!
Oh, wie passend, ein schöneres Türschild hätte ich mir ja kaum selbst ausdenken können.
Zögernd griff er nach der massiven Klinke und drückte die Tür langsam nach innen. Mit einem - in seinen Ohren - unendlich lauten Quietschen, öffnete sie sich. Er trat in den hinter der Türöffnung liegenden Gang und lauschte in das Innere des Gebäudes.
Stille.
Und Dunkelheit.
Er löste eine Taschenlampe von seinem Gürtel und schaltete sie ein. Der Strahl wanderte über Wände aus dunklem Stein und verharrte schließlich auf einer steilen Treppe, deren Stufen vermutlich in den Keller des Schlosses hinabführten.
Sein Herz klopfte ihm vor Aufregung bis zum Hals, während er einen Schritt vor den nächsten setzte und die Treppe hinunter ging. Dann folgte er einem schmalen Gang. Im Licht seiner Lampe entdeckte er riesige Spinnweben, die er beiseite wischte, bevor er seinen Weg fortsetzte. Einmal huschte eine fette Ratte durch den Lichtkegel. Vermutlich war sie den Besuch derartiger Störenfriede nicht mehr gewohnt, denn so wie es hier unten aussah, war der alte Kellergang schon seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt worden.
Oh, wie er es liebte, in solchen Gebäuden auf Entdeckungstour zu gehen.
Es war wie auf dem Dachboden seiner Großeltern. Egal, wie oft man dort hinaufstieg – man wusste nie, was man fand.
Nach wenigen Metern endete der Gang vor drei Türen.
Die nach links und rechts abzweigenden Türen waren geschlossen. Er rüttelte an den massiv aussehenden Klinken, aber nichts tat sich. Die Holztüren waren abgeschlossen. Lediglich die Tür in der Mitte war augenscheinlich nur angelehnt. Nach kurzem Zögern öffnete er sie und ließ den Lichtstrahl durch den dahinter liegenden Raum gleiten.
Adam atmete die Kellerluft durch die Nase ein. Im Gegensatz zu der stickigen Gewitterschwüle, die dort oben seit zwei Tagen herrschte, war sie angenehm kühl, roch dafür aber feucht und muffig.
Hey, ein richtiger Gewölbekeller. Wie cool ist das denn?
Und in dem Augenblick, in dem der Strahl seiner Lampe über das massive Bruchsteinmauerwerk des fensterlosen Raumes glitt, war er endgültig davon überzeugt, das richtige Gebäude für sein Vorhaben gefunden zu haben.
Sie wird sich freuen, wenn ich ihr davon berichte. Endlich kommen wir aus dieser engen Hütte raus. Und unsere lästigen Nachbarn sind wir auch auf einen Schlag los. Vor allem diese alte Schachtel mit ihrem nervigen Köter.
Er frohlockte. Wenn alles nach Plan lief und er das Gebäude schnell für sie herrichten konnte, würde er sogar das Geld für das Rattengift für diese Misttöle sparen, die schon mehrfach in den Lichtschacht seines Kellerfensters gepisst hatte.
Adam überlegte einen Augenblick, einen Weg ins Obergeschoss zu suchen, um sich die übrigen Räume anzusehen, entschied sich aber dagegen.
Schließlich wartet da draußen jemand auf mich. Und außerdem kann ich mir den Rest des Gebäudes beim nächsten Mal ganz in Ruhe ansehen.
Er kehrte zurück in den Kellergang und folgte seinem Verlauf, bis er die steile Treppe erreichte. Wenige Augenblicke später fand er sich im Freien wieder. Noch immer war die Luft schwül und stickig. Lediglich vom nahe gelegenen Meer schien ein leichter Wind aufzuziehen. Sein Blick wanderte gen Himmel. Am Horizont türmten sich tiefschwarze Wolken auf. Vermutlich würde es in Kürze ein heftiges Sommergewitter geben.
„Hallo? Wo steckst du?“
Keine Antwort.
Noch einmal rief er nach ihr.
Wieder nichts.
Eilig schritt er durch die Hecke und folgte der Wand des Gebäudes. Er wollte es wenigstens einmal vollständig umrundet haben, bevor er zu seinem Wagen zurückkehrte.
Er befand sich bereits in dem parallel zur Straße verlaufenden Waldstück, als er eine weitere Entdeckung machte. Zwischen verwitternden Baumstümpfen und einem wahren Labyrinth aus abgebrochenen Zweigen, entdeckte er die Überreste einer Mauer.
Wenigstens schien es sich auf den ersten Blick um eine Mauer zu handeln.
Bei genauerem Hinsehen hingegen, entpuppte sich die seltsame Ansammlung von Steinen als etwas völlig anderes. Und wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, handelte es sich bei seinem Fund um die Überreste eines alten Brunnens.
Wie spannend.
Als Jugendlicher hatte er einmal eine Geschichte gelesen, in der ebenfalls ein solcher Brunnen vorgekommen war. Zwar konnte er sich nicht mehr an den Titel erinnern, wusste aber noch grob, wovon sie gehandelt hatte. Ein Meteorit war auf die Erde gestürzt und hatte besagten Brunnen vergiftet. Als Folge der Vergiftung starben nicht nur die Tiere des Bauern, auf dessen Land der Brunnen gestanden hatte, sondern auch seine Familie. Und wenn er sich recht erinnerte, hatte der arme Kerl sich am Ende selbst umgebracht.
Adam liebte derartige Horrorgeschichten. Egal, was andere Menschen davon hielten, für ihn waren sie einfach das Größte.
Er stöberte zwischen den Stämmen und Zweigen herum und schob mit seinen Füßen Erde und Laub beiseite.
Und tatsächlich wurde er fündig. Was für ein großartiger Tag!
„Adam, wo bleibst du denn schon wieder? Hast du mal auf die Uhr gesehen? Wir müssen los. Du weißt, dass wir noch ein ziemliches Stück zu fahren haben.“
„Halt endlich deine verdammte Klappe und lass mich in Ruhe. Das alles mach ich doch sowieso nur für dich. Du bist doch diejenige, die mir ständig in den Ohren liegt, dass es ihr in der alten Hütte nicht gefällt, oder? Himmel, ich hatte noch nie eine, die so anstrengend war, wie du.“
Okay, ich bin auch der Meinung, dass wir dringend eine neue Bleibe brauchen, aber das muss ich ihr ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
Also ließ Adam sich vom Drängeln der Stimme aus dem Off nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen bückte er sich und wuchtete die schwere Eisenplatte in die Höhe, die er Stück für Stück mit den Füßen freigelegt hatte.
Darunter offenbarte sich ihm ein tiefes, schwarzes Loch.
Adam ballte die Fäuste. Am liebsten wäre er wie Rumpelstilzchen im Kreis gehüpft, um seine Entdeckung zu feiern.
Heute back ich, morgen brau ich, und übermorgen hol ich der Königin ihr Kind!
Er liebte Märchen.
Beinahe ebenso sehr, wie Horrorgeschichten.
Es ist einfach alles so perfekt.
„Komm her, das musst du dir ansehen!“
Sie kam nicht.
Natürlich nicht.
Wieder löste er die Taschenlampe von seinem Gürtel und stellte sich an den Rand des Loches.
Wie tief es wohl ist?
Doch in dem Augenblick, in dem er die Lampe einschalten und hineinleuchten wollte, traf ihn etwas im Nacken. Vor Schreck zuckte er zusammen und ließ die Lampe fallen.
„So eine verfluchte Scheiße!“
Er starrte hinunter in die Dunkelheit.
Es bestand kein Zweifel. Die Lampe war weg. Er würde wohl oder übel eine neue besorgen müssen.
Wieder traf ihn etwas.
Er sah nach oben. Auf den knorrigen Zweigen der alten Kiefer, etwa acht Meter über ihm, hockte ein Eichhörnchen. Und in unregelmäßigen Abständen rieselten die Reste eines großen Zapfens auf Adam herab, an dem das Tier in aller Seelenruhe herumknabberte.
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