Das Geräusch kam näher. Jonas traute sich nicht, sich umzuschauen, wobei er sich selber ein wenig albern vorkam.
Wie bei einem kleinen Kind , dachte er. Wenn ich ihn nicht sehe, sieht er mich vielleicht auch nicht.
Hinter ihm knackte etwas im Schilf.
Er warf seine Furcht über Bord und fuhr entschlossen herum.
Und hätte beinahe laut losgelacht, als eine fette Bisamratte panikartig die Flucht ergriff. Er verharrte noch einen Augenblick in seinem Versteck, konnte aber keine weiteren Geräusche mehr hören. Es wurde wirklich Zeit, dass er zu seinem Wagen kam. Jetzt, wo der Auftrieb des Wassers der Wirkung der Schwerkraft nicht mehr entgegenwirkte, wurden seine Arme doch verdammt schwer.
Er erklomm das flache Ufer, sah sich ein letztes Mal um und trug Vanessa zur der Stelle des Zauns, an der sie gemeinsam das Schlossgelände betreten hatten.
Sein Wagen schien unversehrt und Jonas atmete erleichtert auf.
„Vanessa, wir haben es geschafft. Jetzt wird alles gut.“
Zu seiner großen Erleichterung öffnete sie die Augen. Mit einem endlos müden Blick sah sie ihn an.
„Das ist gut“, flüsterte sie und schlief augenblicklich wieder ein.
Jonas legte sie behutsam neben seinem Wagen ab und angelte den Wagenschlüssel aus seiner Hosentasche.
Er drückte den Knopf für die Zentralverriegelung und starrte entsetzt auf die dicken Wassertropfen, die aus dem schwarzen Plastikgehäuse quollen.
Noch einmal drückte er und schaute flehend zu seinem Wagen.
Nichts passierte.
KAPITEL 55
Er stand am Ufer des Sees und blinzelte auf die im Mondlicht glitzernde Oberfläche.
Er war froh, das Chaos, das er unten im Keller vorgefunden hatte, hinter sich gelassen zu haben. Zu gerne hätte er gewusst, was genau dort vor sich gegangen war.
Jedenfalls stand außer Frage, dass sein Bruder, sonst ein absoluter Perfektionist und Planer, aus irgendeinem Grund die Kontrolle über die Situation verloren hatte.
Aber er hatte schon eine verdammt gute Ahnung, wer hinter diesem Durcheinander steckte. Und er würde sie finden. Irgendwo hier draußen mussten sie schließlich stecken. Sie hatten keine Chance, denn niemand kannte das Gelände rund um das Schloss so gut wie er.
Dennoch blieben offene Fragen.
Zum Beispiel, wie der Typ, der tot neben seinem Bruder gelegen hatte, in den Keller gekommen war. Schließlich hatte er ihm gehörig eine mit dem Hammer verpasst und ihn in den alten Brunnen geworfen.
Genau wie all die anderen.
Aber von denen war nie wieder eine aufgetaucht. Wie zum Teufel hatte er es bloß geschafft, aus dem verschlossenen Schacht zu entkommen? Und dann hatte er es auch noch fertig gebracht, ihr Versteck im Keller zu finden. Gab es womöglich eine Verbindung zwischen dem alten Brunnen und dem Keller des Schlosses? Sobald wie möglich würde er der Sache nachgehen.
Aber so wie es aussah, hatte er diesen Typ tatsächlich unterschätzt. Doch der Wichser hatte dafür bezahlt.
Und es war auch nicht wirklich schade um ihn. Der Tod des Mädchens hingegen war aus seiner Sicht äußerst bedauerlich. Wenigstens zu diesem frühen Zeitpunkt war er eine völlig überflüssige Verschwendung großartigen Materials.
Es war wie verhext, aber in dieser Nacht lief einfach nichts nach Plan. Schon zwei Mädchen waren ihm an diesem Abend durch die Lappen gegangen. Erst die kleine Blonde im Auto und jetzt dieses rotblonde Luder. Diese Sache ging allerdings ganz klar auf die Kappe seines Bruders. Keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, dieses todsichere Ding zu verbocken.
Aber das Schicksal meinte es dennoch gut mit ihm. Schließlich war da ja noch die Brünette, die er oben im Schlosszimmer gefunden hatte.
Ein Geschenk des Himmels.
Zu dumm, dass auch sie es mit Hilfe ihres Freundes irgendwie geschafft hatte, ihm und seinem Bruder zu entkommen.
Er massierte seinen Nacken. Die Schmerzen waren beträchtlich, aber er konnte sich nicht beschweren. Es war mit Sicherheit mehr Glück als Verstand gewesen, dass der sich bei dem Sturz von der Galerie nicht alle Knochen gebrochen hatte.
Jetzt musste er nur noch diese dunkelhaarige Schönheit wieder einfangen, bevor sie sich endgültig aus dem Staub machte. Er zog den Revolver seines Bruders aus dem Hosenbund, den er im Keller gefunden hatte, und kontrollierte die Trommel.
Noch vier Kugeln.
Mehr als genug für diesen Mistkerl.
Für die Kleine hatte er sich schon etwas anderes überlegt. Es wäre einfach zu schade, sie mir nichts, dir nichts über den Haufen zu schießen, bevor er sich mit ihr richtig vergnügt hatte.
Erneut ließ er seinen Blick über das Wasser schweifen, als er am gegenüberliegenden Ufer eine Bewegung bemerkte. Just in diesem Augenblick verließ eine Peron den Schilfgürtel und kletterte ans Ufer. Und wenn er sich nicht verdammt irrte, trug sie eine zweite Person vor sich her.
Er lächelte.
Vermutlich hatten sie ihren Wagen irgendwo dort hinten in der Nähe des Zauns geparkt. Und ja, sie hatten einen gehörigen Vorsprung. Aber es gab nur einen einzigen Weg, den sie mit einem Fahrzeug nutzen konnten. Und wenn sie nicht tiefer in den Wald hineinfahren wollten, wovon er nicht ausging, gab es nur eine Richtung, in die sie fahren konnten.
Und er kannte die Abkürzung, die er nehmen musste, um ihnen den Weg abzuschneiden.
KAPITEL 56
Wütend trat Jonas gegen den linken Vorderreifen.
Das konnte doch nicht wahr sein. Er war ein solcher Vollidiot. Warum hatte er nicht daran gedacht, den Schlüssel aus der Hosentasche zu nehmen, bevor er ins Wasser gestiegen war? Aber was nützte es? Das verfluchte Ding war hin und er musste sich wohl oder übel etwas anderes überlegen.
Scheiß Elektronik.
Er sah sich um.
Hatte er etwas gehört? Ein Geräusch? War ihr Verfolger ihnen bereits dicht auf den Fersen? Was, wenn er sich im Schutz der Bäume an sie heranschlich und sie ohne Vorwarnung aus dem Hinterhalt erschoss?
Nein, daran durfte er jetzt nicht denken.
Er sah zu Vanessa. Sie lag am Boden und hatte die Augen geschlossen. Ihre Haut erschien ihm gespenstisch blass und er hoffte inständig, dass es lediglich am Licht des Vollmonds lag. Er musste sie von hier wegbringen. Sie benötigte unbedingt medizinische Versorgung. Dringend.
Er betrachtete den Geländewagen, dessen verchromte Fensterumrahmung das Mondlicht wie ein Spiegel reflektierte.
Wenn er sich einen schweren Stein suchte, konnte er eine der Seitenscheiben einschlagen, um wenigstens in das Innere des Wagens zu gelangen.
Und dann?
Wie sollten sie ohne Zündschlüssel den Wagen starten und von hier verschwinden? Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er es, keinerlei kriminelle Erfahrung gesammelt zu haben. Ansonsten hätte er vermutlich eine Vorstellung davon gehabt, wie er den Wagen auch ohne Zündschlüssel hätte starten können.
Trotz Wegfahrsperre.
Der Zündschlüssel.
Aber natürlich! Wieso er darauf nicht gleich gekommen war.
Hektisch begann er, den Rand des Weges abzusuchen. Es musste doch mit dem Teufel zugehen, wenn er hier nicht fündig würde.
Und tatsächlich. Schon nach wenigen Augenblicken fand er einen Stein, der für sein Vorhaben geeignet schien. Er hob ihn auf und schätzte, dass er gut und gerne zwei Kilo auf die Waage brachte.
Auf der Unterseite seines Fundstücks wimmelte es von Käfern, Asseln und Tausendfüßlern. Aber die Krabbeltiere interessierten ihn nicht. Stattdessen ging er zurück zum Wagen, wo er den Stein mit voller Wucht gegen die Seitenscheibe der Beifahrertür hämmerte. Schon beim ersten Versuch zersprang die Sicherheitsscheibe in Millionen winzige Glaskrümel.
Und in der gleichen Sekunde jaulte die Alarmanlage los.
„So eine verfluchte Scheiße!“ Eine bessere Möglichkeit, ihren Verfolger zu seinem Wagen zu lotsen, hätte er sich wahrlich mit keinem noch so gescheiten Plan ausdenken können. Mit ohrenbetäubender Lautstärke hallte die Hupe durch die Nacht, während das gelbe Licht der Blinker wie das Feuer eines Leuchtturms in die Dunkelheit hinausstrahlte.
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