Kein Licht.
Keine Geräusche.
Er ging über den kurz geschnittenen Rasen zur Rückseite des Hauses. Auf einer Holzbank hatte sich eine schwarze Katze zusammengerollt. Sie öffnete ihre gelben Augen, als Kid um die Ecke bog, streckte die Vorderpfoten weit von sich, wobei ihre spitzen Krallen zutage traten und verzog sich miauend unter einen üppigen Flieder.
Wieder sah Kid sich um. Da auch hier niemand zu sehen war, beschloss er, selbst einen Blick in die Werkstatt zu werfen und nach einem Ersatzreifen Ausschau zu halten.
Das Grundstück, auf dem sich die Autowerkstatt befand, schloss sich unmittelbar an den Garten des Wohnhauses an. Im Gegensatz zu diesem war die Zuwegung hier jedoch deutlich weniger detailverliebt gestaltet worden. Festgefahrener Lehmboden, einige herumliegende Kieselsteine und zahlreiche Pfützen, die von den Regenfällen der letzten Tage zeugten.
Die Werkstatt bestand aus drei einstöckigen Gebäuden, eher Baracken, deren Holzwände dringend eines neuen Anstrichs bedurft hätten. Die Hütten waren hufeisenförmig angeordnet, so dass sie einen kleinen Innenhof bildeten. Auf der linken Seite befand sich ein offener Schuppen. Kid sah drei Fahrzeuge, von denen er bestenfalls einen alten VW Caddy als fahrtauglich einschätze. Die anderen Autos dienten wohl eher als Ersatzteillager.
Organspender aus verrostetem Blech.
Zwischen dem Caddy und dem Wrack eines Ford Taunus entdeckte Kid ein Fahrrad mit einem Anhänger.
Direkt gegenüber befand sich das Bürogebäude. Es bestand ebenfalls aus Holz und war blau gestrichen. Erst auf den zweiten Blick erkannte Kid, dass es sich dabei um einen alten Bauwagen handelte, dessen Räder in die Erde eingegraben worden waren, so dass das Gebilde lediglich den Anschein eines Hauses erweckte. Kid überquerte den Innenhof der Werkstatt und klopfte an die klapprige Tür des Bauwagens.
Keine Reaktion.
Zögernd drückte er die Klinke nach unten. Aus irgendeinem Grund überraschte ihn die Tatsache, dass die Klinke kein verräterisches Quietschen von sich gab.
Er zog die Tür auf.
Kalter Zigarrenrauch schlug ihm entgegen.
„Hallo? Ist jemand hier?“
Wieder erhielt er keine Antwort und betrat den Raum.
Mit Aktenordnern voll gestopfte Regale bedeckten die Wände. Vor Kopf stand ein Schreibtisch mit einem Drehstuhl, aus dessen abgewetztem Lederbezug hier und da gelbe Schaumgummibahnen hervorquollen. Auf einem niedrigen Hocker in der andern Ecke des Raumes stand eine Kaffeemaschine nebst einem Päckchen Filtern und einer verbeulten Blechdose, die vermutlich gemahlenen Bohnenkaffee enthielt.
Nein, hier gab es nichts zu entdecken.
Kid verließ das Büro und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Das dritte Gebäude beheimatete die eigentliche Werkstatt. Wenn er irgendwo fündig würde, dann vermutlich dort. Kid bückte sich unter dem halb geöffneten Rolltor hindurch und fand sich im Inneren der Werkstatt wieder. Dämmriges Licht umfing ihn, während sein Blick durch den Raum schweifte, dessen Zentrum eine leere Hebebühne mit in den Boden eingelassener Ölwanne bildete.
Kid trat mit der Fußspitze gegen eine herumliegende Schraube, die mit einem lauten Platschen in der dunkel und geheimnisvoll schimmernden Flüssigkeit verschwand.
Werkzeuge, ein Wagenheber, Unmengen von Ersatzteilen. Kid vermutete, dass der Besitzer dieses Ladens es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, für jeden auf dem Markt erhältlichen Wagentyp die entsprechenden Bauteile vorzuhalten. Er schüttelte den Kopf. Die Vorstellung an einen Automessi wollte so gar nicht zum gepflegten Äußeren des Wohnhauses passen. Wahrscheinlich kümmerte sich seine Frau um das Haus, während die Werkstatt das Reich ihres Mannes war.
„Bingo“, entfuhr es ihm, als sein Blick auf ein Regal voller Reifen fiel. Er kramte den Zettel aus seiner Hosentasche, auf dem er sich die Maße seines defekten Reifens notiert hatte und wurde bereits nach kurzem Suchen fündig. Ein Komplettrad in der passenden Größe, nicht neu, aber in durchaus passablem Zustand.
Er wuchtete das schwere Rad aus dem Regal und dachte darüber nach, wie er es am besten zu seinem liegen gebliebenen Fahrzeug schaffen konnte, als ihn ein Geräusch in seinem Rücken aus seinen Überlegungen riss.
KAPITEL 12
Auf der Suche nach einer Pension oder einem einfachen Hotel passierte Ronnie das leuchtend gelbe Ortsschild. Die vorderen Stoßdämpfer des Wagens gaben nach, so dass der Opel regelrecht in die Knie ging, als er das Bremspedal etwas zu heftig betätigte.
Rechts der Straße, auf einem großen Schottergelände, hatte er einen mit buntem Graffiti beschmierten Flachdachbau entdeckt. Die roten Leuchtbuchstaben über der Eingangstür verrieten, dass es sich um eine Disco handelte. Und obwohl es noch recht früh am Abend war, belegten bereits zahlreiche Autos den Parkplatz.
Ronnie steuerte den Opel auf das Gelände und stellte ihn neben einem tiefergelegten und mehr oder weniger ausschließlich aus Spoilern bestehenden Golf ab. Trotz der wohl nachträglich mit Folie abgedunkelten Fondsscheiben konnte Ronnie problemlos das auf der Rückbank des Wagens stattfindende Treiben erkennen.
Jemand aus dem Wageninneren drückte seinen aufgerichteten Mittelfinger gegen die Scheibe.
Da weiß man dann auch, warum das Zeug Fickfolie heißt , dachte er, und setzte seinen Weg über den Parkplatz fort. Vielleicht hatte er Glück und Sandy war ebenfalls auf dieses Etablissement gestoßen. Vielleicht hatte sie beschlossen, ihren Streit mit ein oder zwei Bier herunterzuspülen.
Er schmunzelte.
Sandy war eine der wenigen ihm bekannten Frauen, die für ein Bier jeden Cocktail stehen ließen. Und eine, die es aus der Flasche trank. Überhaupt war Sandy ein richtiger Kumpeltyp.
Bevor Sandy und er sich ineinander verliebt hatten, waren sie viele Jahre so etwas wie beste Freunde gewesen. Eine Tatsache, die sie beide lange hatte zweifeln lassen, ob sie diese Freundschaft durch eine Beziehung aufs Spiel setzen sollten. Oft hatten sie darüber gesprochen, als sie sich ihrer Gefühle für einander mehr und mehr bewusst wurden. Auch die Variante Wir haben ab und zu Sex und bleiben einfach nur Freunde hatten sie ausgiebig ausprobiert, sich am Ende aber nicht weiter gegen ihre Gefühle auflehnen können.
Seit zwei Jahren waren sie nun ein Paar und eigentlich funktionierte es prima. Irgendwie passten sie wunderbar zusammen. Ronnie ärgerte sich, bei der Diskussion um die heutige Übernachtung so unnachgiebig gewesen zu sein und es auf einen handfesten Streit angelegt zu haben. Andererseits hätte auch Sandy nachgeben können und ihm eine Nacht im Hotel zugestehen können. Eine Nacht in einem richtigen Bett, eine Nacht, um ihre Klamotten zu trocknen und sich in einer heißen Badewanne zu entspannen. Eine Nacht, in der sie sich nicht auf einer langsam aber stetig erschlaffenden Luftmatratze lieben musste.
Wie auch immer, es war anders gekommen und nicht mehr zu ändern. Sie waren im Streit auseinandergegangen und er würde alles dransetzen, Sandy vor Einbruch der Nacht wiederzufinden und ihr ein Friedensangebot zu unterbreiten.
Aber warum ging sie nicht an ihr Handy? War sie noch immer wütend? Hatte sie keine Lust, sich zu versöhnen?
Eigentlich konnte er es sich kaum vorstellen, denn Sandy war normalerweise nicht besonders nachtragend. Das war eher eine Schwäche, die er sich selbst eingestehen musste.
Er erreichte den Eingang. Hinter einem kleinen Tresen hockte eine junge Frau und kassierte von jedem Gast fünf Euro Eintritt.
„Sind aber Mindestverzehr. Kannste also komplett versaufen“, sagte sie mit einer überraschend piepsigen Stimme.
Ronnie betrachtete ihr Gesicht, während er einen Geldschein aus der Hosentasche angelte. Das Mädchen war ausgesprochen hübsch, zumindest sofern er das durch die üppige Schminkschicht hindurch beurteilen konnte. Ein winziger Brillantstecker funkelte in ihrem rechten Nasenflügel und kleine Silberringe schmückten die Unterlippe sowie die rechte Augenbraue. Mit ihren schwarz umrandeten, blauen Augen funkelte sie ihn an.
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