Brian schreit erneut auf, ehe ihm die Luft im Hals stecken bleibt, als das Auto auf eine Schaufensterfront zuschlittert.
Im Augenblick vor dem Aufprall erkennt Brian eine Reihe geborstener Schaufenster – Schaufensterpuppen ohne Perücke, leere Schmuckvitrinen, durchtrennte elektrische Kabel, die aus dem Boden ragen, alles hinter scharfen Scherben, in denen noch der Sicherheitsdraht steckt. Doch alles ist wie hinter einem Schleier, denn der Wagen schlittert derart heftig, dass Brian nichts deutlich erkennen kann.
Dann kracht der Escalade mit der rechten Seite zuerst in ein Schaufenster.
Der Aufprall lässt die Fensterscheibe in tausend Stücke bersten. Für Brian bleibt die Zeit einen Moment lang stehen. Der Lärm des explodierenden Glases erinnert an eine Flutwelle, die auf einen Wellenbrecher trifft. Der Escalade durchtrennt die Gitterstäbe und verschwindet seitlich in dem dunklen Schatten von Goldberg Fine Jewelry Center of Atlanta.
Verkaufstische und Vitrinen detonieren, und eine funkelnde, silberne Schicht breitet sich im ganzen Laden aus, während alle nach rechts geschleudert werden. Die Airbags des Escalade öffnen sich bereits beim kleinsten Aufprall. Große Ballons aus Nylon füllen den Innenraum. Nick wird seitlich gegen den weißen Stoff gedrückt. Philip knallt gegen Nick, während Penny mit voller Wucht gegen Brian geschleudert wird.
Der Escalade schlittert eine halbe Ewigkeit lang durch den leeren Laden.
Erst als er mit voller Wucht gegen einen tragenden Pfeiler in der Mitte des Geschäfts prallt, kommt er zum Stehen. Die gesamte Mannschaft wird noch einmal mit voller Wucht in die Airbags gedrückt. Eine ganze Weile nach dem Aufschlag bewegt sich niemand.
Die Luft in dem Juwelierladen füllt sich mit einer weißen feinen Substanz, die auf sie herabschneit. Ein Knarzen unterbricht die laute Stille. Etwas scheint jeden Moment einzustürzen. Brian wirft einen Blick durch die kaputte Heckscheibe auf die Ladenfront und entdeckt heruntergefallene Stahlträger, die das Loch versperren, wo einmal das Fenster war. Die Straße ist vor lauter Staub kaum auszumachen.
Philip dreht sich um, das Gesicht aschfahl und vor Panik ganz verzerrt. »Schatz? Schatz? Geht es dir gut? Sprich mit mir, Kleines. Wie geht es dir?«
Brian wendet sich Penny zu, die noch immer auf dem Boden liegt. Sie wirkt benebelt, als ob sie unter Schock stehen würde, scheint aber sonst keinen Schaden genommen zu haben. »Es geht ihr gut, Philip. Es geht ihr gut«, versichert Brian seinem Bruder und tastet ihren Kopf nach Blut oder sonstigen Verletzungen ab. Doch er findet nichts Beunruhigendes.
»Wie sieht es mit euch aus?« Philip schaut sich im dichten Staub um. Nur ein dünner Sonnenstrahl erhellt den ansonsten düsteren Laden. In den spärlichen Lichtverhältnissen kann Brian die Gesichter der anderen gerade so ausmachen. Sie sind verschwitzt und vor Angst wie versteinert. Ihre Augen funkeln panisch.
Nick hebt den Daumen. »Alles klar.«
Brian erklärt, dass auch ihm nichts passiert sei.
Philip hat bereits die Fahrertür geöffnet und kämpft sich unter dem Airbag ins Freie hinaus. »Nehmt alles mit, was ihr tragen könnt«, befiehlt er. »Am wichtigsten sind Gewehre und Munition. Verstanden?«
Klar haben sie ihn verstanden. Jetzt klettern auch Brian und Nick aus dem Wagen. Innerhalb einer Minute bemerkt Brian eine Reihe von Dingen, von denen Philip die meisten anscheinend schon in Betracht gezogen hat. Es fängt mit der Ladenfront an.
Das Stöhnen, Ächzen und die Tausende von schlurfenden Schritten lassen Brian vermuten, dass die Zombie-Horde ihnen dicht auf den Fersen ist. Der Escalade hat einen Totalschaden, die Frontpartie ist zerquetscht, die Reifen sind geplatzt, und die gesamte Karosserie ist mit Blut, Gewebe und diversen Organen verschmiert.
Hinten im Laden ist ein Gang zu erkennen, dunkel, eng und mit Trockenbauplatten verkleidet. Vielleicht führt er zu einem Ausgang. Zeit zum Sondieren haben sie nicht. Rasch packen sie ihre Taschen, Jacken und Waffen. Noch immer benommen von dem Aufprall, vor Panik schwindlig, grün und blau von der Achterbahnfahrt im Escalade und mit einem hohen schrillen Ton in den Ohren schnappen sich Nick und Brian jeweils ein Gewehr, während Philip so viele Messer und Äxte mitnimmt, wie er an seinem Körper unterbringen kann. Dazu gehören selbstredend auch die beiden kleinen scharfen Äxte, die er sich beidseitig in den Gürtel steckt, die Ruger und drei Extramagazine.
»Los, Kleine. Wir müssen weiter«, fordert Brian Penny auf, aber das Kind macht einen lethargischen und verwirrten Eindruck. Er versucht, es aus dem demolierten Wagen zu zerren, doch es klammert sich an einen Rücksitz.
»Trag sie«, befiehlt Philip, der um die Ecke des SUV biegt.
»Los, Kindchen, du darfst auf meinen Rücken. Wir spielen Huckepack«, lockt Brian das Mädchen.
Widerwillig lässt Penny von dem Sitz ab und klettert aus dem Auto, sodass Brian sie hochnehmen und auf den Rücken hieven kann.
Die drei Männer schleichen durch den Schmuckladen zum Gang.
Sie haben Glück. Direkt hinter der Glastür des Büros im hinteren Teil des Geschäfts treffen sie auf eine gesichtslose Metalltür. Philip legt den Riegel um, öffnet sie wenige Zentimeter und wagt einen Blick durch den Spalt. Der Mief ist unerträglich – ein schmieriger Gestank, der Brian an einen Schulausflug zum Turner-Viehhof in der Nähe von Ashburn erinnert. Der Geruch im Schlachthof war damals genauso penetrant wie der, welcher ihm jetzt in die Nase steigt. Philip signalisiert den anderen innezuhalten.
Brian kann über Philips Schulter hinweg eine lange, dunkle Gasse ausmachen, die voll von überquellenden Müllcontainern ist. Was ihm am meisten ins Auge sticht, ist jedoch der Inhalt der Container: Bleiche menschliche Arme sowie abgerissene und eiternde Beine hängen über die Seiten, verfilzte Haare lugen hier und da hervor, und unter jedem Container schimmert eine Lache dicken, getrockneten Bluts.
Philip hat bereits einen Plan. »Ihr folgt mir und macht genau das, was ich euch sage.« Er entsichert seine Waffe. Jetzt sind acht Zweiundzwanziger-Kaliber-Kugeln bereit, durch die Luft zu tanzen. Dann tritt er hinaus.
Sie folgen ihm.
So leise und schnell wie möglich eilen sie durch den Gestank und die Überreste eines weiteren Gemetzels die Gasse entlang zu einer Seitenstraße. Mit der Tasche auf einer Schulter und dem Mädchen auf dem Rücken, hastet Brian zwischen Nick und Philip in Richtung Licht. Pennys dreißig Kilo haben sich noch nie so schwer angefühlt wie jetzt. Nick, der hinter ihm die Nachhut bildet, hält sein Marlin-Gewehr in den Armen. Brian hat sich seine Flinte zwischen Tasche und Rücken geklemmt; nicht, dass er überhaupt wüsste, wie er sie gebrauchen sollte.
Jetzt sind es nur noch wenige Meter bis zur Seitenstraße. Sie sind kurz davor, aus dieser schrecklichen Gasse zu entfliehen, als Philip aus Versehen auf eine menschliche Hand tritt, die unter einem der Müllcontainer liegt.
Die Hand, die an einem Zombie hängt, der noch nicht ganz am Ende ist, verschwindet augenblicklich unter dem Container. Philip zuckt vor Schreck zusammen.
»MANN!«, entfährt es Nick, als die Hand erneut erscheint und Philip am Fußgelenk packt und daran reißt.
Philip fällt der Länge nach zu Boden. Die Pistole entgleitet ihm und schlittert außer Reichweite.
Der tote Mann – ein aschfahler, bärtiger Obdachloser in blutbesudelten Lumpen – kriecht auf Philip mit der Geschwindigkeit einer riesigen Spinne zu.
Philip streckt sich nach der Pistole, während die anderen krampfhaft mit ihren Waffen herumfuchteln. Brian fasst nach seiner Flinte und versucht dabei, Penny nicht zu verlieren, während Nick sein Marlin-Gewehr entsichert.
Das tote Ding hält sich an Philips Fußgelenk fest und öffnet knarzend seinen Kiefer. Philip tastet panisch nach den Äxten an seinem Gürtel.
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