Lauf weg!, schrie es in ihm, und dann: Rette ihn! Rette Biber!
Die Befehle waren gleich mächtig, und das führte dazu, dass er starr im Türrahmen stehen blieb und sich vorkam, als wöge er tausend Pfund. Das Ding in Bibers Armen gab ein Geräusch von sich, ein schrilles Kreischen, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging und bei dem er an etwas denken musste, etwas, das lange zurücklag, er wusste bloß nicht genau, was es war.
Dann rief ihm der Biber, der da im Klo hing, zu, er solle abhauen und die Tür zumachen, und als das Ding seine Stimme hörte, wandte es sich wieder dem Biber zu, als würde es sich an etwas erinnern, das es vorübergehend vergessen hatte und machte sich über seine Augen her, über seine Augen, und Biber krümmte sich und schrie und versuchte sich zu wehren, während das Ding schnatterte und kreischte und biss und sich sein Schwanz, oder was das war, rhythmisch um Bibers Taille schloss, ihm das Hemd aus dem Overall zerrte und darunter glitt, auf die nackte Haut. Bibers Füße zuckten auf den Fliesen, seine Stiefelabsätze spritzten blutiges Wasser auf, sein Schatten fuchtelte über die Wand, und dieses moosartige Zeug war jetzt überall, es wuchs so unglaublich schnell -Jonesy sah, wie sich Biber in einem letzten Aufbäumen nach hinten warf; sah, wie das Ding von ihm abließ und sich von ihm löste und der Biber aus der Toilette kippte und mit dem Oberkörper auf McCarthy in die Badewanne fiel, auf den ollen Mr. Siehe-ich-stehe-an-der-Tür-und-klopfe-an. Das Ding klatschte auf den Fußboden, wirbelte herum - Mann, war das schnell - und ging auf Jonesy los. Jonesy trat einen Schritt zurück und knallte die Badezimmertür zu. Einen Augenblick später prallte das Ding dagegen. Es hörte sich genauso an wie der Knall, mit dem es den Klodeckel gerammt hatte. Der Aufprall war so heftig, dass die Tür in den Angeln zitterte. Unter der Tür flackerte das Licht, während sich das Ding rastlos über die Kacheln bewegte, und dann prallte es wieder gegen die Tür. Jonesys erster Gedanke war, loszulaufen und einen Stuhl zu holen, den er unter den Türknauf klemmen konnte, aber wie konnte man nur so doof sein, wie seine Kinder immer sagten, das wäre ja völlig hirnverbrannt gewesen, denn die Tür ging ja nach innen auf, nicht nach außen. Entscheidend war eher, ob dieses Ding wusste, wie ein Türknauf funktionierte, und ob es da rankam.
Als hätte es seine Gedanken gelesen - und wer sagte denn, aass das nicht möglich war? -, hörte er hinter der Tür ein Rutschen und Gleiten und spürte, wie am Türknauf gedreht urde. Was das auch immer für ein Ding war - es war un-
glaublich stark. Jonesy hatte den Knauf mit der rechten Hand gehalten; nun packte er auch noch mit der linken zu. Es gab einen entsetzlichen Moment, als der Druck auf den Knauf immer stärker wurde und Jonesy sicher war, dass das Ding da drinnen, obwohl er mit beiden Händen zupackte, den Türknauf umdrehen konnte, und da wäre Jonesy fast in Panik ausgebrochen, hätte sich fast umgedreht und wäre weggerannt.
Ihn hielt davon ab, dass ihm wieder einfiel, wie schnell das Ding war. Das würde mich einholen, ehe ich den Raum auch nur halb durchquert hätte, dachte er und fragte sich dabei insgeheim, wieso dieses Zimmer denn überhaupt so beschissen groß sein musste. Es würde mich einholen, mir am Bein hochflitzen und dann direkt hinein in meinen —
Jonesy packte den Türknauf mit doppelter Kraft, Sehnen zeichneten sich an seinen Unterarmen und seitlich am Hals ab. Und die Hüfte tat ihm weh. Die verdammte Hüfte. Wenn er tatsächlich versuchen würde wegzulaufen, würde ihn die Hüfte noch zusätzlich bremsen, und das hatte er diesem emeritierten Professor zu verdanken, diesem blöden, vergreisten Arschloch, das überhaupt nicht mehr hätte Auto fahren dürfen, herzlichen Dank auch, Prof, dich hab ich echt gefressen. Und wenn er weder die Tür zuhalten noch weglaufen konnte - was dann?
Dann blühte ihm natürlich das Gleiche wie Biber. Es war Bibers Nase gewesen, die da in den Zähnen festgehangen hatte wie Kebab.
Stöhnend hielt Jonesy den Türknauf fest. Für einen Augenblick nahm der Druck sogar noch zu, und dann ließ er plötzlich nach. Hinter der dünnen Holzplatte der Badezimmertür jammerte das Ding wütend. Jonesy roch das ätherartige Aroma von Startfix.
Wie hielt es sich da fest? Es hatte keine Gliedmaßen, Jonesy hatte jedenfalls keine gesehen, nur diesen rötlichen Schwanz, also wie -
Auf der anderen Seite der Tür hörte er das Holz leise splittern und aufplatzen, dem Geräusch nach direkt vor seinem Gesicht, und da wusste er: Es hielt sich mit den Zähnen fest. Dieser Gedanke löste bei Jonesy blindes Entsetzen aus. Dieses Ding war in McCarthy drin gewesen, daran hatte er nicht den mindesten Zweifel. In McCarthy war es wie ein riesiger Bandwurm aus einem Horrorfilm herangewachsen. Wie ein Karzinom, aber mit Zähnen. Und als es dann groß genug war, als es dann sozusagen zu neuen Ufern aufbrechen wollte, hatte es sich einfach den Weg nach draußen freigebissen.
»Nein, o nein«, sagte Jonesy, den Tränen nah.
Der Knauf der Badezimmertür drehte sich andersrum. Jonesy sah das Ding auf der anderen Seite der Badezimmertür förmlich vor sich, wie ein Blutegel ins Holz verbissen, den Schwanz oder Fangarm um den Türknauf gewunden, wie ein Seil, das in eine Henkerschlinge auslief, und daran drehte -
»Nein, nein, nein«, keuchte Jonesy und hielt den Türknauf mit aller Kraft fest. Nicht mehr lange, und er würde ihm aus den Händen rutschen. Auf seinem Gesicht und seinen Handflächen spürte er den Schweiß.
Vor seinen vortretenden, entsetzten Augen tauchte im Holz ein Muster aus Hubbein auf. Dort hatte es seine Zähne hineingeschlagen und biss immer tiefer zu. Bald würden sie es durchs Holz schaffen (falls Jonesy nicht überhaupt vorher der Türknauf entglitt), und dann würde er sich den Zähnen gegenüber sehen, die seinem Freund die Nase abgerissen hatten.
Da wurde es ihm bewusst: Biber war tot. Sein alter Freund.
»Du hast ihn umgebracht!«, schrie Jonesy das Ding hinter der Tür an. Seine Stimme bebte vor Kummer und Entsetzen. »Du hast den Biber umgebracht!«
Seine Wangen glühten, und die Tränen, die ihm nun hinunterliefen, fühlten sich noch heißer an. Biber mit seiner schwarzen Lederjacke (Du hast aber viele Reißverschlüsse!, hatte Duddits' Mutter an dem Tag gesagt, als sie sie kennen gelernt hatten), Biber hickehackevoll bei ihrem Abschlussball, als er wie ein Kosak getanzt hatte, die Arme vor der Brust verschränkt und die Füße werfend, der Biber bei Jonesys und Carlas Hochzeitsempfang, wie er Jonesy umarmt und ihm feurig ins Ohr geflüstert hatte: »Du musst glücklich sein, Mann. Du musst für uns alle glücklich sein.« Und so hatte er erfahren, dass der Biber wirklich noch nie -Henry und Peter, natürlich, bei denen hatte das nie in Frage gestanden, aber der Biber? - Und jetzt war Biber tot, lag da mit dem Oberkörper in der Badewanne, lag nasenlos auf dem bekloppten Mr. Richard Siehe-ich-stehe-an-der-Tür-und-klopfe-an-McCarthy.
»Du hast ihn umgebracht, du Schwein!«, schrie er die Hubbel in der Tür an - erst waren es sechs gewesen, und jetzt waren es neun, nein, schon ein Dutzend.
Wie erstaunt über seine Wut, ließ der Druck auf den Türknauf von der anderen Seite wieder nach. Jonesy sah sich hektisch nach irgendwas um, das ihm helfen könnte, konnte aber nichts entdecken und sah dann zu Boden. Da lag die Rolle Isolierband. Er konnte sich vielleicht bücken und sie aufheben - aber was dann? Er würde beide Hände brauchen, um das Band abzurollen, beide Hände und seine Zähne, um einen Streifen abzubeißen, und selbst wenn ihm das Ding die Zeit dafür ließ - was sollte es nützen, wenn er ohnehin kaum den Türknauf halten konnte?
Und jetzt fing der Türknauf wieder an sich zu bewegen. Stöhnend hielt Jonesy ihn fest, aber allmählich ging ihm die Kraft aus, der Adrenalinspiegel seiner Muskeln sank und ließ sie bleiern werden, seine Handflächen waren glitschiger denn je, und der Geruch, dieser ätherartige Gestank, war jetzt deutlicher wahrzunehmen und irgendwie reiner, nicht vermengt mit den Fäkalien und Gasen in McCarthys Leib, aber wie konnte es denn auf dieser Seite der Tür so stinken? Das war doch höchstens möglich, wenn - r
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