Und obwohl sie Henry dabei anschaut, antwortet Biber, trotz seiner rot glühenden Wangen. »Weil er cool ist«, sagt er- Die anderen nicken.
Während der nächsten fünf Jahre bringen sie Duddits zur Schule und wieder nach Hause, wenn er nicht gerade krank ist oder sie auf ihrer Jagdhütte sind; und später geht Duddits dann nicht mehr auf die Mary M. Snowe alias Behindi-Aka-demie, sondern auf die Berufsschule, wo er lernt, Kekse zu backen (Tsetse hatten, sagt er dazu), Autobatterien auszutauschen, Wechselgeld herauszugeben und sich selbst die Krawatte zu binden (der Knoten ist immer perfekt, auch wenn er ihn manchmal vor der Brust trägt). Da ist dann die Sache mit Josie Rinkenhauer schon längst passiert, Schall und Rauch, von allen vergessen, nur von Josies Eltern nicht, die es nie vergessen werden. In diesen Jahren, in denen sie ihn zur Schule und nach Hause bringen, schießt Duddits in die Höhe, bis er der Größte von ihnen ist, ein schlaksiger, hoch aufgeschossener Teenager mit einem eigenartig schönen Kindergesicht. Da haben sie ihm mittlerweile beigebracht, Parcheesi und eine vereinfachte Form von Monopoly zu spielen; da haben sie längst das Duddits-Spiel erfunden und spielen es ständig und lachen dabei manchmal so laut, dass Alfie Cavell (der größer als seine Frau war, aber auch wie ein Vögelchen wirkte) oben in der Küche an den Treppenabsatz kam, der Treppe, die hinunter zum Freizeitraum führte, und zu ihnen hinunterrief, was denn los sei, was denn so lustig sei. Und dann versuchten sie ihm zu erklären, dass Duddits für Henry nicht zwei, sondern vierzehn Punkte gesteckt hatte, oder dass Duddits für Pete fünfzehn Punkte rückwärts markiert hatte, aber Alfie schien das nie zu verstehen; er stand da am Treppenabsatz mit seiner Zeitung in der Hand und lächelte perplex; und schließlich sagte er dann immer: Einen Tick leiser, Jungs, machte die Tür zu und ließ sie weiterspielen ... und von all diesen Spielen war das Duddits-Spiel das beste, affentittengeil, wie Pete gesagt hätte. Manchmal dachte Biber wirklich, er würde platzen vor Lachen, und Duddits saß die ganze Zeit auf dem Teppich vor dem großen, alten Cribbage-Brett, die Füße untergeschlagen, und lächelte versonnen wie ein Buddha. Was für ein Heidenspaß! Aber das liegt noch alles vor ihnen. Jetzt sitzen sie in der Küche, die Sonne scheint erstaunlicherweise, und Duddits schubst draußen die Schaukeln an. Duddits, der ihnen einen solchen Gefallen damit erwiesen hatte, dass er in ihr Leben getreten ist. Duddits, der - das wissen sie von Anfang an - anders ist als alle Menschen, die sie kennen.
»Ich verstehe nicht, wie die das tun konnten«, sagt Pete mit einem Mal. »So wie er geweint hat. Ich verstehe nicht, wie sie ihn da weiter hänseln konnten.«
Roberta Cavell schaut ihn traurig an. »Ältere Jungs können ihn so nicht hören«, sagt sie. »Hoffentlich versteht ihr das nie.«
6
»Jonesy!«, rief Biber. »Hey, Jonesy!«
Diesmal kam eine Antwort, leise, aber nicht zu überhören. Der Schneemobilschuppen war so eine Art Dachboden zu ebener Erde, und dort lag auch eine altmodische Hupe, wie die Fahrradboten sie in den Zwanzigern oder Dreißigern an der Lenkstange hatten. Jetzt hörte Biber es: Uugah! Hau-uugah! Ein Geräusch, bei dem Duddits bestimmt gelacht hätte, bis ihm die Tränen gekommen wären - er stand doch wirklich auf lärmende, extravagante Geräusche, der alte Duds.
Der dünne blaue Duschvorhang raschelte, und Biber bekam Gänsehaut auf den Armen. Für einen Moment wäre er fast aufgesprungen, weil er dachte, es wäre McCarthy, doch dann wurde ihm klar, dass er selbst den Vorhang mit dem Ellenbogen berührt hatte - es war eng hier drin, so richtig eng -, und da beruhigte er sich wieder. Unter ihm hatte sich aber immer noch nichts getan; dieses Ding, was es auch war, war entweder abgehauen oder tot. Ganz sicher.
Na ja ... fast sicher.
Der Biber griff hinter sich, nestelte kurz am Spülhebel herum und ließ ihn dann wieder los. Schön sitzen bleiben, hatte Jonesy gesagt, und daran würde sich Biber halten, aber wieso kam Jonesy nicht endlich wieder? Wenn er das Klebeband nicht finden konnte, weshalb kam er dann nicht einfach ohne wieder? Er war doch jetzt schon mindestens zehn Minuten weg, oder nicht? Und es kam ihm echt vor wie eine Stunde. Währenddessen hockte er hier auf dem Klo, und nebenan in der Badewanne lag ein Toter, der aussah, als wäre sein Arsch mit Dynamit gesprengt worden, Mann, und angeblich hatte er ja nur mal kacken müssen -
»Hup wenigstens noch mal«, grummelte Biber. »Hup noch mal mit dem Ding da, und zeig mir, dass du noch da bist.« Aber das tat Jonesy nicht.
Jonesy konnte das Klebeband nicht finden.
Er hatte überall gesucht und konnte es nirgends finden. Er wusste, dass es da sein musste, aber es hing an keinem der Nägel und lag auch nicht auf der mit Werkzeug überhäuften Werkbank. Es war nicht hinter den Farbdosen und hing auch nicht an dem Haken unter den alten Atemmasken, die dort an ihren vergilbten Gummibändern baumelten. Er schaute unter der Werkbank nach, suchte in den Schachteln, die an der Wand gegenüber aufgestapelt waren, und dann im Fach unter dem Fahrersitz des Arctic Cat. Dort fand er einen Ersatzscheinwerfer, noch verpackt, und ein halbes Päckchen knochentrockener Eucky Strikes, aber nicht das verfluchte Klebeband. Er spürte die Minuten verstreichen. Einmal meinte er, der Biber hätte nach ihm gerufen, aber er wollte nicht ohne das Klebeband umkehren, und deshalb trötete er mit der alten Hupe, die auf dem Boden lag, drückte auf den rissigen schwarzen Gummibalg, der ein Uugah-Uugah von sich gab, ein Geräusch, das Duddits bestimmt geliebt hätte.
Je länger er das Klebeband suchte und nicht fand, desto dringender erschien es ihm. Da war ein Knäuel Bindfaden, aber wie um Himmels willen sollte er denn einen Toilettendeckel mit Bindfaden zubinden? Und in einer der Küchenschubladen war auch Tesafilm, da war er ziemlich sicher, aber das Ding in der Toilette hatte sich kräftig angehört, wie ein größerer Fisch oder so. Und Tesafilm war einfach nicht reißfest genug.
Jonesy stand neben dem Schneemobil, schaute sich angestrengt um, fuhr sich mit den Händen durchs Haar (er hatte sich die Handschuhe nicht wieder angezogen und war jetzt schon so lange hier draußen, dass er kaum noch Gefühl in den Fingern hatte) und atmete große weiße Dampfschwaden aus.
»Wo zum Henker?«, fragte er laut und schlug mit der Faust auf die Werkbank. Ein Stapel Schachteln mit Nägeln und Schrauben fiel um, und dahinter tauchte das Isolierband auf, eine dicke, breite Rolle. Er musste es ein Dutzend Mal übersehen haben.
Er schnappte es sich, steckte es sich in die Manteltasche -wenigstens hatte er daran gedacht, den Mantel anzuziehen, auch wenn er sich nicht die Zeit genommen hatte, den Reißverschluss zu schließen - und wandte sich zum Gehen. Und in diesem Moment fing Biber an zu schreien. Seine Rufe waren leise, kaum hörbar gewesen, aber die Schreie hörte Jonesy problemlos. Sie waren laut, kräftig, schmerzerfüllt.
Jonesy lief zur Tür.
8
Bibers Mutter hatte immer gesagt, die Zahnstocher würden ihn eines Tages noch umbringen, aber so hatte sie sich das nicht vorgestellt.
Dort auf dem Toilettendeckel sitzend, suchte Biber in der
Brusttasche seines Overalls nach einem Zahnstocher, an em er ner umkauen konnte, aber es war keiner mehr da -
sie lagen alle über den Boden verstreut. Zwei oder drei waren nicht im Blut gelandet, aber er hätte von der Toilette aufstehen müssen, um sie greifen zu können — hätte aufstehen und sich vorbeugen müssen.
Biber haderte mit sich. Schön sitzen bleiben, hatte Jonesy gesagt, aber das Ding in der Toilette war ja bestimmt längst verschwunden; tauchen, tauchen, tauchen, wie es in den U-Boot-Kriegsfilmen immer hieß. Und auch wenn nicht, würde er seinen Hintern ja nur für ein, zwei Sekunden anheben. Sollte das Ding springen, dann konnte Biber sein ganzes Gewicht schnell genug wieder einsetzen und ihm dabei vielleicht den schuppigen kleinen Hals brechen (immer vorausgesetzt, es hatte überhaupt einen).
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