«Darf ich mich setzen, Sir?»
«Natürlich, nehmen Sie Platz.»
Adolph Knipe hockte sich auf die Kante eines Stuhls. Der Ältere beobachtete ihn mit wachsamen braunen Augen und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
«Wenn Sie gestatten, Mr. Bohlen, möchte ich Ihnen erklären, wie ich auf die ganze Geschichte verfallen bin.»
«Schießen Sie los, Knipe.» Man muss ein bisschen auf ihn eingehen, dachte Mr. Bohlen. Der Junge ist ja für uns sein Gewicht in Gold wert. Ein unersetzlicher Mitarbeiter, geradezu ein Genie. Wenn ich mir nur diese Papiere hier ansehe … Das verschlägt einem doch glatt die Sprache. Eine erstaunliche Arbeit. Natürlich völlig sinnlos. Ohne geschäftlichen Wert. Aber sie beweist wieder einmal, wie begabt der Bursche ist.
«Ich … ich muss Ihnen etwas gestehen, Mr. Bohlen. Dann werden Sie vielleicht begreifen, warum ich immer so … na, eben so deprimiert bin.»
«Sagen Sie mir alles, was Sie bedrückt, Knipe. Ich bin dazu da, Ihnen zu helfen – das wissen Sie doch.»
Der junge Mann krampfte die Hände ineinander und presste die Ellbogen gegen die Rippen. Ihm schien plötzlich sehr kalt zu sein.
«Sehen Sie, Mr. Bohlen, die Sache ist so, dass mir eigentlich nicht viel an meiner Arbeit hier liegt. Ich weiß, dass ich sie gut mache, aber offen gestanden, mit dem Herzen bin ich nicht dabei. Es ist nicht das, wovon ich immer geträumt habe.»
Mr. Bohlens Augenbrauen schnellten hoch wie eine Sprungfeder. Sein Körper erstarrte.
«Sehen Sie, Sir, ich wäre so schrecklich gern Schriftsteller geworden.»
«Schriftsteller?»
«Ja, Mr. Bohlen. Ob Sie es glauben oder nicht, ich verwende jedes bisschen Freizeit darauf, Geschichten zu schreiben. In den letzten zehn Jahren habe ich Hunderte, buchstäblich Hunderte von Kurzgeschichten geschrieben. Fünfhundertsechsundsechzig, um genau zu sein. Etwa eine pro Woche.»
«Um Himmels willen, Mann! Wozu denn das?»
«Ich weiß nur, Sir, dass ich den Drang dazu habe.»
«Was für einen Drang?»
«Den schöpferischen Drang, Mr. Bohlen.» Jedes Mal, wenn er aufblickte, sah er Mr. Bohlens Lippen. Sie wurden immer dünner, immer röter.
«Und darf ich fragen, was Sie mit diesen Geschichten machen, Knipe?»
«Ach, Sir, das ist es ja gerade. Niemand will sie kaufen. Wenn ich eine fertig habe, schicke ich sie reihum, von einem Magazin zum anderen. Das ist alles, was geschieht, Mr. Bohlen. Wie ein Bumerang kommen sie zu mir zurück. Es ist sehr deprimierend.»
Mr. Bohlens Züge entspannten sich. «Ich weiß genau, wie Ihnen zumute ist, mein Junge.» Seine Stimme triefte vor Mitgefühl. «Irgendwann im Leben macht jeder von uns so etwas durch. Aber jetzt, wo Sie den Beweis haben … den positiven Beweis … von den Fachleuten selbst, von den Redakteuren, dass Ihre Geschichten – wie soll ich sagen – nicht viel taugen, jetzt sollten Sie das Schreiben endgültig aufgeben. Vergessen Sie es, mein Junge. Denken Sie einfach nicht mehr daran.»
«Nein, Mr. Bohlen! Nein! Das ist nicht wahr! Ich weiß , dass meine Geschichten gut sind. Mein Gott, wenn ich sie mit dem Zeug vergleiche, das in manchen Magazinen erscheint – also wirklich, Mr. Bohlen …! Dieser blödsinnige Kitsch, den man Woche für Woche in den Magazinen liest – ach, es ist zum Verrücktwerden!»
«Hören Sie mal, mein Junge …»
«Lesen Sie Magazine, Mr. Bohlen?»
«Entschuldigen Sie, Knipe, aber was hat das mit Ihrer Maschine zu tun?»
«Alles, Mr. Bohlen, einfach alles! Sehen Sie, die Sache ist so: Nach gründlichem Studium der Magazine habe ich den Eindruck gewonnen, dass jedes Blatt einen besonderen Typ von Kurzgeschichten pflegt. Die Schriftsteller – die erfolgreichen – wissen das und passen sich jeweils den Wünschen der Redaktion an.»
«Moment, mein Junge, Moment. Beruhigen Sie sich ja? Ich glaube nicht, dass uns das alles weiterbringt.»
« Bitte , Mr. Bohlen, hören Sie mich doch an. Es ist wirklich ungeheuer wichtig.» Knipe hielt kurz inne, um Luft zu schöpfen. Er war jetzt so richtig in Fahrt und fuchtelte beim Sprechen mit den Händen herum. Das längliche Gesicht mit den großen Zähnen und den abstehenden Ohren glänzte vor Erregung, und bei jedem Wort sprühten Speicheltröpfchen aus seinem Mund. «Verstehen Sie doch, Mr. Bohlen, wenn ich auf meiner Maschine einen verstellbaren Koordinator zwischen das ‹Fabel-Speicherwerk› und das ‹Wort-Speicherwerk› schalte, kann ich jede Art von Geschichten produzieren. Ich brauche nur auf die betreffende Taste zu drücken.»
«Ja, ich weiß, Knipe, ich weiß. Das ist alles sehr interessant, aber worauf wollen Sie eigentlich hinaus?»
«Ganz einfach, Mr. Bohlen. Der Markt ist begrenzt. Wir müssen in der Lage sein, das richtige Material zur richtigen Zeit zu liefern. Immer genau das, was gerade gebraucht wird. Es ist eine kommerzielle Frage, weiter nichts. Ich betrachte es jetzt von Ihrem Standpunkt aus – vom Standpunkt der Rentabilität.»
«Mein lieber Junge, von Rentabilität kann hier doch gar nicht die Rede sein. Überhaupt nicht. Sie wissen ebenso gut wie ich, was es kostet, eine solche Maschine zu bauen.»
«Ja, Sir, das weiß ich. Aber mit allem Respekt gesagt, ich glaube nicht, dass Sie wissen, was die Magazine den Autoren für ihre Geschichten zahlen.»
«Was zahlen sie denn?»
«Jede Summe bis zu zweitausendfünfhundert Dollar. Der Durchschnitt liegt wahrscheinlich bei tausend.»
Mr. Bohlen fuhr hoch.
«Ja, Sir, es ist wahr.»
«Völlig unmöglich, Knipe! Lächerlich!»
«Nein, Sir, es ist wahr.»
«Sie sitzen hier und wollen mir erzählen, dass diese Magazine derartig viel Geld für … für irgend so eine hingeschmierte Geschichte bezahlen! Du meine Güte, Knipe! Dann müssten ja alle Schriftsteller Millionäre sein!»
«Stimmt genau, Mr. Bohlen! Und damit kommen wir wieder auf die Maschine. Hören Sie nur noch eine Minute zu, Sir. Ich habe mir das mal ausgerechnet. Die großen Magazine bringen durchschnittlich drei Kurzgeschichten in jeder Ausgabe. Nun nehmen Sie die fünfzehn bedeutendsten Magazine – diejenigen, die am besten zahlen. Ein paar von ihnen erscheinen monatlich, aber die meisten kommen jede Woche heraus. Gut. Das macht, sagen wir, vierzig Geschichten, die jede Woche gekauft werden. Vierzigtausend Dollar also. Wenn wir unsere Maschine richtig arbeiten lassen, können wir praktisch den gesamten Bedarf decken!»
«Mein lieber Junge, Sie sind verrückt!»
«Nein, Sir, ehrlich, es ist so, wie ich sage. Verstehen Sie doch, wir werden die Schriftsteller allein vom Umfang her völlig an die Wand drücken! Die Maschine kann eine Geschichte von fünftausend Wörtern, fertig getippt und versandbereit, in dreißig Sekunden liefern. Wie können die Schriftsteller damit konkurrieren? Ich frage Sie, Mr. Bohlen, wie ?»
Hier bemerkte Adolph Knipe eine leichte Veränderung im Gesichtsausdruck seines Chefs: Die Augen begannen zu glänzen, die Nasenflügel blähten sich, die Züge wurden unbewegt, fast starr. Hastig sprach er weiter: «Heutzutage, Mr. Bohlen, haben handgearbeitete Waren keine Chance mehr. Sie kommen einfach nicht gegen die Massenproduktion an, besonders in unserem Land nicht. Teppiche … Stühle … Schuhe … Ziegelsteine … Keramik … was Sie wollen – alles wird jetzt maschinell hergestellt. Die Qualität mag schlechter sein, aber das spielt keine Rolle. Was zählt, sind die Produktionskosten. Und Kurzgeschichten – nun, sie sind eben auch ein Produkt, genau wie Teppiche oder Stühle, und niemand schert sich um die Herstellungsmethode, solange die Ware pünktlich und preiswert geliefert wird. Wir werden sie en gros verkaufen, Mr. Bohlen! Wir werden jeden Autor im Lande unterbieten! Wir werden den Markt an uns reißen!»
Mr. Bohlen richtete sich in seinem Sessel auf. Dann beugte er sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und blickte den jungen Mann aufmerksam mit seinen kleinen braunen Augen an.
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