CEO Boyens würde das ungefähr … jetzt begreifen, überlegte Geary und musste lächeln, als er sich vorstellte, wie der Syndik-CEO machtlos mitansehen musste, wie die Falle zuschnappte.
»Die Schweren Kreuzer der Syndiks haben Raketen abgefeuert!«, meldete Lieutenant Castries, gleichzeitig wurden ihre Worte vom Alarm der Gefechtssysteme der Dauntless untermalt.
»CEO Boyens muss Ihre Aufforderung erhalten haben, bevor diese Schiffe das Feuer eröffnet haben«, erklärte Desjani, die wusste, dass diese Aussage in den offiziellen Aufzeichnungen enthalten sein würde.
»Richtig«, bekräftigte Geary. »Wir müssen davon ausgehen, dass er vorsätzlich ein Schiff der Allianz angegriffen hat, und wir müssen sicherstellen, dass wir den Syndiks eine solche Aggression nicht durchgehen lassen.« Er tippte wieder auf seine Komm-Kontrollen, diesmal war seine Verärgerung nur vorgetäuscht. »CEO Boyens! Ihre Streitkräfte haben auf das Schiff gefeuert, nachdem Sie davon in Kenntnis gesetzt worden sind, dass es unter der Flagge der Allianz fliegt! Das ist ein feindseliger Akt und eine eindeutige Verletzung des Friedensvertrags, der von den Syndikatwelten unterzeichnet wurde. Den Vereinbarungen dieses Vertrags entsprechend bin ich autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Bürger und Eigentum der Allianz zu beschützen. Ich werde das machen, indem ich jede Gefahr für die Allianz in diesem System eliminiere! Geary Ende!«
Um CEO Boyens das Leben noch schwerer zu machen, erwachte die scheinbar ausgefallene Hauptantriebseinheit des einzelnen Midway-Kreuzers auf einmal zum Leben, woraufhin das Kriegsschiff massiv beschleunigte. »Das«, stellte Desjani fest, »wird den Raketen der Syndiks einige Schwierigkeiten bereiten, die ja bei ihrem Start von einer ganz anderen Maximalgeschwindigkeit des Schweren Kreuzers ausgegangen sind.«
»Trotzdem werden sie von zwei Dutzend Raketen verfolgt«, betonte Geary.
»Das werden sie schon schaffen«, sagte sie und beobachtete ihr Display. »Vorausgesetzt, sie hören auf Captain Bradamont. Sie ist doch an Bord dieses Schweren Kreuzers, oder?«
»Ja.« Es war problematisch gewesen, Bradamont auf den Schweren Kreuzer zu bringen, ohne dass jemand auf diesen Transfer aufmerksam wurde. Aber wenigstens ließen sich mit einer Fülle von routinemäßigen Abläufen auch viele Aktivitäten tarnen, die nicht zur Routine gehörten. »Ihre Anwesenheit auf dem Schweren Kreuzer belegt, dass das Schiff eindeutig und rechtmäßig vorläufiges Eigentum der Allianz ist. Die Behörden auf Midway«, fügte Geary an, »haben außerdem einem Kapitan-Lieutenant Kontos das Kommando über den Kreuzer übertragen, während er die Flagge der Allianz führt.«
»Kontos?«, gab sie zurück. »Kennen wir ihn?«
»Er ist derjenige, der die Idee hatte, das Schlachtschiff mit der Anlage der mobilen Streitkräfte zu vertäuen, damit es die Anlage aus der Flugbahn des Enigma-Bombardements ziehen konnte.«
»Ach, er«, sagte sie und lächelte verstehend. »Und jetzt kann uns Captain Bradamont detaillierte Berichte über diesen Kapitan-Lieutenant liefern, der so ein schneller und innovativer Denker ist?«
»Ganz genau«, bestätigte Geary.
»Gut gemacht, Admiral.« Sie betätigte ihre Waffenkontrollen. »In fünfundvierzig Minuten werden wir in Reichweite kommen, sofern wir weiter mit 0,2 Licht fliegen.«
Geary nickte und sah auf sein eigenes Display. Was soll ich machen, wenn Boyens nicht die Flucht ergreift, sondern sich uns in den Weg stellt? Ich muss dieses Schlachtschiff angreifen und die begleitenden Schweren und Leichten Kreuzer sowie die Jäger ausschalten. Das wird ein Massaker werden, aber sie können immer noch einige von meinen Schiffen beschädigen. Wenn ich heimkehre, wird es schwieriger sein, die Auslöschung einer Syndik-Flotte zu erklären, als wenn ich nur zu berichten habe, dass wir sie aus dem System verscheucht haben.
Boyens blieb nur ein kleines Zeitfenster, um zu reagieren. Schlachtschiffe waren hinsichtlich Feuerkraft und Panzerung deutlich überlegen, nicht jedoch, wenn es ums Beschleunigen ging. Wenn Boyens dem Vergeltungsschlag der Allianz entkommen wollte, dann musste er schon bald Kurs auf das Hypernet-Portal nehmen.
»Das Portal ist seine einzige Option«, merkte Desjani an. »Wenn er Kurs auf den einzigen Sprungpunkt nimmt, den er erreichen könnte, ohne uns in die Quere zu kommen, dann sieht er sich mit der Midway-Flotte konfrontiert.«
»Das nenne ich doch mal einen glücklichen Zufall«, sagte Geary.
»Wir müssen weiter auf ihn zuhalten«, fügte sie leise an. »Boyens wird nicht durch das Portal fliehen, wenn er den Eindruck bekommt, wir könnten den Angriff abbrechen. Wir müssen unsere Geschwindigkeit beibehalten, bis er sich zurückzieht. Wenn wir in irgendeiner Weise ein Zögern erkennen lassen, wird er das Portal nicht benutzen, und dann müssen wir ihn zerstören.«
»Ja, Sie haben recht.« Er hatte versucht, den Zeitpunkt zu berechnen, an dem seine Flotte den Angriff abbrechen konnte, doch Desjanis Einschätzung war völlig richtig. »Er wird so lange wie möglich warten, um zu sehen, ob wir tatsächlich das Feuer eröffnen.«
»Sie können sich schon mal darauf gefasst machen, das Feuer zu eröffnen«, meinte Desjani.
»Ich hoffe, in dem Punkt haben Sie nicht recht.«
Aber die Minuten verstrichen, und Boyens’ Flaggschiff bewegte sich nicht aus seinem Orbit. Geary überprüfte die Anzeigen der Gefechtssysteme und sah, wie die Abstandsanzeige kontinuierlich nach unten korrigiert wurde, je näher sie der Feuerreichweite der vordersten Allianz-Kriegsschiffe kamen. Eine Anzeige für die Phantome, eine für die Höllenspeer-Partikelstrahlen, eine dritte für die Kartätschen, die erst bei geringer Entfernung zum Einsatz kamen, und schließlich die Zeitanzeige für die Nullfeld-Generatoren, die sich an Bord der Schlachtkreuzer und der Schlachtschiffe der Allianz befanden und nur in unmittelbarer Nähe zum Zielobjekt Wirkung erzielten.
Desjani schüttelte den Kopf. »Wenn er sich in den nächsten fünf Minuten nicht in Bewegung setzt, dann holen wir ihn ein, bevor er das Portal erreichen kann.«
Rione, die auf der anderen Seite Gearys stand, fragte sich: »Warum hat CEO Boyens bislang nicht versucht, mit uns zu reden? Warum wirft er uns nicht vor, dass wir ihm eine Falle gestellt haben? Warm versucht er nicht, sich zu entschuldigen? Ah, ich weiß.«
»Werden Sie mich in Ihre Erkenntnisse einweihen?«, fragte Geary.
»Gewiss, Admiral.« Rione hielt ihre Hand mit der Innenfläche nach oben. »Syndik-CEOs bewahren ihre Macht, indem sie Angst verbreiten. Untergebene wissen, sie können sich nicht mit ihren CEOs anlegen. Aber wenn ein CEO Schwäche zeigt, dann sehen seine Untergebenen in ihm eine verletzte Beute.«
»Und eine Entschuldigung oder irgendein anderer Versuch, unseren Angriff aufzuhalten, würde Boyens schwach erscheinen lassen.«
»Extrem schwach, und außerdem sehr dumm.« Rione ballte die Faust. »Er weiß, wir haben ihn reingelegt. Und wenn er zugibt, dass er in eine Falle gelaufen ist, dann unterschreibt er damit sein eigenes Todesurteil.«
»Glauben Sie, er wird den Kampf suchen?«
»Das wäre Selbstmord.« Sie machte eine vage Geste. »Aber der Preis des Versagens wird für ihn sehr hoch ausfallen, und seine Verärgerung darüber, dass er sich schon wieder blamiert hat, könnte ihn dazu treiben, sich in einen aussichtslosen Kampf zu stürzen. Ich weiß es nicht.«
»Noch zwei Minuten«, warf Desjani ein. »Innerhalb der nächsten dreißig Sekunden müssen wir sehen, wie die Syndik-Schiffe ihre Steuerdüsen zünden, um sich zum Portal hin auszurichten.«
Dreißig Sekunden, in denen sich zeigen würde, ob der geschickte Plan, den sich die Herrscher von Midway ausgedacht hatten, zu einem Schlag ins Wasser werden würde oder nicht. Auf dem Planeten, der viele Lichtstunden vom Hypernet-Portal entfernt war, würden Präsidentin Iceni und General Drakon das Resultat erst zu sehen bekommen, wenn hier längst alles vorüber war.
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