Er stemmte sich auf den Tisch, wobei ihm sein Muskelkater wieder zu schaffen machte. „Gute Frage. Die Schiffe stammen aus dem Demarchy. Niemand sonst hat so was noch zur Verfügung. Die Ringbewohner haben nur noch gewöhnliche Flüssigtreibstoffraketen.
Unsere Schiffe — die des Demarchy — gehören teilweise den mächtigsten Gesellschaften, aber in Zeiten nationalen Notstands’ unterstehen sie direkt dem Demarchy, was bedeutet, daß MacWongs Geschichte, ich könnte Sie den Ringbewohnern ausliefern, offenbar gut angekommen ist…“ Er schwieg. „Er wußte, es war eine verdammte Lüge, und da ich ihn kenne, würde ich sagen, er will das Schiff immer noch haben. Und das war die einzige Möglichkeit, die sich ihm bot, Ihr Schiff doch noch zu erreichen.“
„Aber er muß doch wissen, daß wir ihm immer noch entkommen können, zumal wir ja jetzt neuen Treibstoff haben, auch wenn wir über Lansing nochmals anhalten. Wenn sie ein Wendemanöver ausführen müssen, um sich an unsere Geschwindigkeit anzugleichen, dann werden wir schon lange bevor sie uns erreichen wieder verschwunden sein. Wenn sie nicht verlangsamen, dann schießen sie an uns vorbei… und dann könnten sie uns höchstens noch im Vorbeifliegen vernichten.“ Sie tappte nervös mit den Fingern auf die Tischoberfläche.
Er nickte. „Das weiß er auch. Aber er will dieses Schiff intakt für das Demarchy haben, und er ist nicht derjenige, der alles für Gold nimmt, was glänzt. Er hat etwas vor, aber ich komme nicht dahinter, was.“
„Wenigstens wissen wir, daß sie da sind, und sie wissen nicht, daß wir es wissen. Wenn sie glauben, den Abgrund durch den Überraschungseffekt überbrücken zu können, dann haben sie sich getäuscht.“ Sie rutschte in ihrem Sessel hin und her und stützte sich schließlich schwer auf den Tisch. „Wenn wir mit dem Bremsmanöver beginnen, werden wir ja sehen, ob sie das auch machen. Und selbst wenn sie nicht verlangsamen… nun, hängt davon ab, was Sie mir über die Reichweite ihrer Waffen erzählen können. Ich glaube, wir können immer noch lange genug über Lansing bleiben, um den überflüssigen Wasserstoff abzuladen — und dann ohne zu zögern im rechten Winkel zu ihnen beschleunigen. Wenn sie den Kurs ändern, werden wir unwiederbringlich aus diesem System verschwunden sein.“
„Unwiederbringlich verschwunden sein. Und wir werden…“ Er betrachtete ihr kräftiges und doch zartes Gesicht und fragte sich, wie er es je für ausdruckslos hatte halten können. Er verspürte den plötzlichen Drang, es zu berühren.
Das Erkennen seines Wunsches färbte ihre Wangen. Sie sah seltsam zu ihm auf, fast einladend, und hob eine Hand. „Setzen Sie sich, Abdhiamal… Wadie Abdhiamal. Ohne uns… ja, ohne uns werden Sie besser dran sein.“
Er ließ sich auf den gepolsterten Stuhl sinken, nachdem er ein paar Kleider beiseite gestoßen hatte. „Bertha, es gibt keine Entschuldigung für das, was wir Ihnen angetan haben. Und wenn ich bedenke, was ich Ihnen aus reiner Dummheit persönlich angetan habe… Mein Gott, ich hätte Sie fast… umgebracht. Alles, was ich gesagt habe, ohne zu wollen…“
Ihre Hand gebot seinen Worten Einhalt. „Ich wollte ebenfalls nicht Ihr Leben ruinieren, Wadie… Ich bin Ihnen genausoviel schuldig wie Sie mir. Mehr. Ist es schon zu spät, alles zu regeln?“
Er lehnte sich zurück und preßte den Kopf gegen die Wand, sein Blick war fest auf sie gerichtet. „Es ist nie zu spät. Aber… ich kann meinen Gefühlen nie gut Ausdruck verleihen, Bertha. Ich kann sie mir selbst ja kaum eingestehen.“ Er atmete tief ein. „Plötzlich erkenne ich eine ganze Menge Dinge, die ich ändern will. Aber wir haben so wenig Zeit…“ Er brach ab. Wieder spürte er die Gegenwart der Geister. „Dieses Bild dort drüben — ist das Eric neben Ihnen?“
Sie war überrascht. Ihre Züge glätteten sich, sie nickte. „Er war mein erster Ehemann. Er war auch eine Art — Verhandlungsführer, ein Sprecher. Wir waren acht Jahre lang monogam, bevor wir in Clewells Familie einheirateten.“
„Und Sie haben Kinder?“
„Zwillinge, Richard und Kirsten, der Junge und das Mädchen vor mir. Sie sind jetzt etwa elf…“ Sie lächelte. „Es sind alles meine Kinder, aber die Zwillinge brachte ich zur Welt. Sie tragen meinen Namen. Alle sieben Kinder, die noch zu Hause sind, sind bei meiner Familie.“
„Sie haben Ihre Kinder zurückgelassen…“ Er zwang sich selbst zum Schweigen, bevor er sie wieder verletzen konnte. Wir verändern uns, aber die Veränderungen kommen immer zu rasch… und zu spät. Und es dauerte nur noch hundert Kilosekunden, bis sie Lansing erreicht haben würden.
Sie betrachtete ihn verwirrt. „Ja, wir haben sie bei meinen Eltern auf der Baumfarm gelassen.“ Verstehend fügte sie dann noch hinzu: „Wenn man auf Morningside aufgewachsen ist, ist die halbe Welt die eigene Familie. Man hilft sich, erzählt sich Geschichten, arbeitet zusammen… es gibt immer einen, der sich über einen Besuch freut. Wir haben unsere Kinder nicht weggegeben, wenn es auch schmerzlich ist, daß sie ohne uns soviel älter werden. Aber wenigstens Clewell und ich werden noch sehen, was aus ihnen geworden ist…“ Sie senkte den Blick und legte die Papiere zurecht. In ihren Augen sah er mehr als nur den physischen Schmerz.
„Shadow Jack und Bird Alyn… riskieren Sie ihretwegen soviel, um einer sterbenden Welt noch ein paar Sekunden mehr zu verschaffen?“
Sie zögerte. „Ich weiß es nicht. Ich hatte nicht daran gedacht… aber ich glaube schon. Ich wünschte… ich wünschte, ich würde wissen, wie ich noch mehr tun kann.“
„Also wissen Sie Bescheid? Wie es auf Lansing aussieht?“
Sie nickte.
„Ich mache mir darüber keine nennenswerten Gedanken, muß ich zugeben. Ich habe mir buchstäblich jede Chance auf etwas Besseres weggeredet.“ Er lächelte. „Aber ich bereue es nicht. Es diente einem guten Zweck.“
Sie hob eine Tasse auf und stellte sie wieder hin. „Was werden Sie auf Lansing tun, Wadie?“
Er lächelte, als er seinen Namen hörte, doch das Lächeln erlosch, als er darüber nachdachte. „Dasitzen und auf das Ende der Welt warten, vermute ich. Das Ende aller Welten. Nicht mit einem spektakulären Knall, sondern mit einem unhörbaren Seufzen.“
„Das müssen Sie nicht, darüber sind Sie sich ja im klaren.“
Er fühlte ihre Berührung. Er schüttelte den Kopf. „Vielleicht nicht. Vielleicht ist das die Strafe dafür, daß ich immer vorgegeben habe, es gäbe ein Morgen.“
„Und das glauben Sie nicht?“
„Ich weiß nicht.“ Er zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht mehr, was ich glaube.“ Er wußte nur, daß er sich in einem riesigen Mausoleum befand und Angst hatte, dem Tod ins Gesicht zu blicken. „Aber ich gehöre hierher, zum Himmel, wenn das einen Sinn ergibt. Es jagt mir höllische Angst ein, und trotzdem muß ich es bis zum Ende durchstehen. Trotzdem danke.“ Er sah ihr unzufriedenes Lächeln.
„Sie können Ihre Meinung immer noch ändern.“
„Schneller, als ich Himmel verändern könnte… Ist das nicht ironisch? Wir begannen hier mit allem und Morningside mit nichts… und nun sehen Sie, wer scheiterte.“
„Auch wir sind fast gescheitert — mehr als einmal.“ Bertha betrachtete die Wand, als könnte sie durch die Zeit selbst blicken. „Wie auch Uhuru und Höllenloch und Lebensraum. Aber wir bekamen Hilfe.“
„Von wem?“
„Gegenseitige Hilfe. Planeten wie Morningside sind so kärglich, daß jede kleine Unregelmäßigkeit einer Katastrophe gleichkommt… aber sie sind die zahlenmäßig am häufigsten unter den kolonisierbaren Welten. In unserem Raumsektor sind sie alle wie Morningside. Aber unsere Welten befinden sich innerhalb einer vernünftigen Reichweite. Wir gründeten einen Handelsring, und wenn es einem von uns schlechtgeht, dann greift der Rest helfend ein. So können wir überleben. Mehr tun wir nicht, wir überleben. Aber das genügt… und es muß für alle Ewigkeit genügen, jetzt, wo unsere Reise hierher ein Fehlschlag war.
Читать дальше