Dann bekam er seinen gesuchten Beweis. Die Kunstfertigkeit, mit welcher der Unstillbare Hunger gewirkt worden war, und die Komplexität, durch die sich seine Essenz verändert hatte, um Krasus' erste Gegenwehr zu vereiteln – deutete beides auf ein Wissen und ein Geschick hin, das sogar das der Kirin Tor übertraf, der fähigsten Magier, die Menschen und sogar Elfen aufzubieten hatten.
Doch es gab noch eine andere Rasse, deren Umgang mit der Magie begann, noch bevor sich die Elfen damit befassten.
»Ich weiß jetzt, wer du bist …!«, keuchte Krasus und beschwor ein Bild von Prestors stolzer Gestalt herauf. »Ich weiß jetzt, wer du bist, trotz der Maske, die du gewählt hast.« Er hustete und rang nach Atem. Die Tortur hatte Krasus ausgelaugt, doch die Erkenntnis, mit wessen Macht er auf vielfältige Weise konfrontiert worden war, traf ihn schwerer als jeder Zauber es vermocht hätte. »Ich habe dich erkannt … Deathwing! «
Duncan brachte sein Pferd zum Stehen. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
Rhonins eigene Einschätzung ging in dieselbe Richtung, und unter Berücksichtigung der Ereignisse in der Festung, begann er sich zu fragen, ob das, was sie gerade beobachteten, etwas mit seiner Mission zu tun hatte.
In der Ferne lag Hasic, aber ein stilles, schweigendes Hasic. Der Zauberer hörte nicht das kleinste Zeichen von Geschäftigkeit. Ein Hafen wie dieser hätte von Leben wimmeln und erfüllt sein sollen von einem Lärm, laut genug, um bis zu ihnen vorzudringen.
Und doch war, abgesehen von ein paar Vögeln, nicht das geringste Lebenszeichen ausmachen.
»Uns hat keine Kunde von Schwierigkeiten erreicht«, wandte sich der Hauptmann der Paladine an Vereesa. »Wäre dies der Fall gewesen, hätten wir unverzüglich einen Trupp hierher entsandt.«
»Vielleicht sind wir nur ein wenig nervös nach dieser Reise.« Doch selbst die Waldläuferin sprach in einem leisen, wachsamen Tonfall.
Sie verharrten so lange, dass Rhonin die Dinge schließlich selbst in die Hand nahm. Zur Überraschung der anderen trieb er sein Reittier vorwärts, wild entschlossen, Hasic nötigenfalls auch allein zu betreten.
Vereesa folgte ihm rasch, und Lord Senturus schloss sich ihr an – natürlich. Rhonin unterdrückte jeden Anflug von Belustigung, als der Ritter der Silbernen Hand sich vordrängte, um die Führung zu übernehmen. Eine Weile würde er mit Duncan Senturus' Arroganz und Wichtigtuerei noch leben können. Auf die eine oder andere Weise würde er dann jedoch im Hafen die unerwünschte Gesellschaft aufkündigen.
Das hieß … falls der Hafen noch existierte.
Selbst ihre Pferde spürten die widernatürliche Stille und wurden zunehmend unruhiger. Zwischendurch musste Rhonin sein Tier regelrecht anspornen, damit es überhaupt weiter ging. Keiner der Ritter, und das war bedenklich genug, kommentierte die Probleme des Zauberers mit dummen Witzen.
Als sie sich dem Ziel weiter näherten, empfingen sie zu ihrer aller Erleichterung endlich schwache Lebenszeichen aus Richtung des Hafens. Ein Hämmern. Ein paar erhobene Stimmen. Das Rattern von Fuhrwerken … Nicht viel, aber immerhin ein Beleg dafür, dass Hasic sich nicht in eine Geisterstadt verwandelt hatte.
Dennoch näherten sie sich vorsichtig und im Bewusstsein, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Vereesa und die Ritter hatten ihre Hand am Schwertgriff, während Rhonin im Geiste sein Repertoire an Zaubersprüchen durchging. Niemand wusste, was sie erwartete, aber sie alle waren überzeugt, es sehr bald zu erfahren.
Und gerade, als sie in Sichtweite des Stadttores kamen, bemerkte Rhonin drei Unheil verkündende Schemen, die in den Himmel aufstiegen.
Das Pferd des Zauberers scheute. Vereesa griff Rhonin in die Zügel und brachte das Tier unter Kontrolle. Einige der Ritter setzten an, ihre Schwerter zu ziehen, doch Duncan bedeutete ihnen sofort, ihre Waffen stecken zu lassen.
Wenige Augenblicke später sank das Trio riesiger Greife vor der Gruppe herab; zwei ließen sich in den Wipfeln der größten Bäume nieder, der dritte landete unmittelbar vor ihnen.
»Wen zieht es da nach Hasic?«, verlangte sein Reiter zu wissen, ein bronzehäutiger, bärtiger Krieger, der, obgleich er dem Magier kaum bis zur Schulter reichte, durchaus imstande schien, nicht nur diesen hochzustemmen, sondern dessen Pferd noch dazu.
Sogleich ritt Duncan vor. »Seid gegrüßt, Greifenreiter! Ich bin Duncan Senturus vom Orden der Ritter der Silbernen Hand, und ich geleite diese Reisegruppe zum Hafen. Wird Hasic von etwas heimgesucht, wenn Ihr mir die Frage erlaubt?«
Der Zwerg gab ein raues Lachen von sich. Er hatte nichts von der untersetzten Statur seiner erdverbundeneren Verwandten. Er ähnelte im Ganzen mehr einem Barbarenkrieger, den ein Drache gepackt und auf halbe Größe zusammengestaucht hatte. Er hatte Schultern, die breiter waren, als die des stärksten Ritters, und seine Muskeln spielten sozusagen von selbst. Eine wilde Haarpracht umrahmte flatternd sein hartgesottenes, kantiges Gesicht.
»Von zwei Drachen, ja. Hasic ist von ihnen heimgesucht worden. Sie kamen vor drei Tagen und zerstörten oder verbrannten alles, was sie erreichen konnten. Wäre meine Staffel nicht an genau diesem Morgen eingetroffen, würde von Eurem wertvollen Hafen nichts mehr existieren, Mensch! Sie hatten kaum begonnen, als wir sie in die Lüfte zurück zwangen! Es war ein glorreicher Kampf, aber wir verloren Glodin …« Die Zwerge schlugen sich mit der Faust aufs Herz. »Möge sein Geist wacker kämpfen bis in die Ewigkeit!«
»Wir sahen einen Drachen«, mischte sich Rhonin ein, da er fürchtete, dass das Trio in eine der epischen Klagelitaneien verfallen würde, für die Zwerge berüchtigt waren. »Der Zeitpunkt würde passen. Ein Drache mit einem Ork als Lenker. Drei von Euch kamen und griffen ihn an …«
Der Anführer der Reiter harte ihn mit finsteren Blicken bedacht, kaum dass er den Mund öffnete, doch als er den anderen Kampf erwähnte, hellte sich die Miene des Zwerges auf, und das breite Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. »Aye, das waren wir auch, Mensch. Verfolgten das feige Reptil und holten es vom Himmel! Es war auch ein guter und gefährlicher Kampf. Molok da oben …«, er zeigte auf einen dicken Zwerg mit Glatzenansatz in der Baumkrone zu Rhonins Linken, »… verlor seine prächtige Axt, aber immerhin hat er noch seinen Hammer, was, Molok?«
»Würde eher meinen Bart abscheren als meinen Hammer verlieren, Falstad!«
»Aye, 's iss der Hammer, der bei Frauen den größten Eindruck macht, richtig?«, gab Falstad mit leichtem Lachen zurück. Der Zwerg schien Vereesa erst jetzt zu bemerken. Seine braunen Augen strahlten. »Und was haben wir hier für eine holde Elfendame!« Noch immer auf dem Greif sitzend, machte er den unbeholfenen Versuch einer Verbeugung. »Falstad Dragonreaver, zu Euren Diensten, Elfendame!«
Spät fiel Rhonin ein, dass die Elfen von Quel'Thalas das einzige andere Volk waren, dem die wilden Zwerge der Aeries wirklich trauten. Allerdings schien das nicht der einzige Grund zu sein, weshalb Falstad nun seine ganze Aufmerksamkeit Vereesa zuwandte; genau wie Senturus fand der Greifenreiter sie offensichtlich überaus anziehend.
»Ich grüße Euch, Falstad«, antwortete die Waldläuferin mit dem Silberhaar ruhig. »Und meinen Glückwunsch zu Eurem großen Sieg. Zwei Drachen sind eine beeindruckende Leistung für eine einzige Flugstaffel.«
»Die reine Routine für meine Leute, nichts Besonderes.« Er lehnte sich so weit es ging nach vorne. »Aber wir wurden in dieser Gegend schon eine Weile nicht mehr mit der Gegenwart von jemandem Eures Geblüts geehrt, vor allem nicht mit solch einer schönen Lady wie Euch! Wie kann Euch ein armer, kleiner Krieger wie ich am besten dienen?«
Rhonin sträubten sich die Nackenhaare. Der Tonfall des Zwerges bot dort, wo sich seine Worte noch zurückhielten, durchaus mehr als nur höfliche Unterstützung an. Solche Dinge hätten den Zauberer normalerweise nicht berühren sollen, und doch taten sie es in diesem Augenblick.
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