Alles war von einer wundersamen goldenen Farbe, die Lucan trotz der Fäule des Albtraums auf eigentümliche Art tröstete.
Der Kartograf fühlte sich von der goldenen Kuppel angezogen. Trotz seiner Vorsicht ging er schneller voran. Lucan war so auf die goldene Kuppel fixiert, dass er den Albtraum gar nicht mehr bemerkte. Er wusste nur, dass er das Gebäude erreichen musste .
Später hätte er nicht mehr sagen können, wie lange er gebraucht hatte, um das Gebäude zu erreichen. Es war ihm auch egal. Ein paar Minuten, Stunden... Zeit bedeutete hier nichts. Wichtig war nur, dass er zu dem Eingang gelangte. Dort allerdings stellte er fest, dass er von einer Finsternis verschlossen war, die vom Albtraum stammte.
Diese Entdeckung erinnerte ihn wieder an die wahren Umstände, und Lucan wäre am liebsten fortgerannt. Doch dann spürte er, dass sich das Wesen, das ihn hierher gelockt hatte, im Gebäude befand.
Und dass es ihn brauchte...
Aus einer anderen Richtung hörte er Flügelschlag und wirbelte herum. Kaum hatte er das getan, ragte eine riesige Gestalt über ihm auf.
Obwohl Lucan es für unmöglich gehalten hatte, einen Drachen am Gesicht zu erkennen, war er sicher, dass dieser hier Lethon hieß. Der schwarzgeschuppte Drache, dessen geisterhafte Gestalt im kränklich grünlichen Licht des Albtraums erstrahlte, sah sich misstrauisch um.
Seine Augen, schwarze, bodenlose Klüfte, blickten in Lucans Richtung. Der Blick fand sein Ziel, kurz bevor er auf den Menschen traf.
Lethon schnaubte, dann ging er weiter.
Der Drache verschwand in der Ferne. Seufzend lehnte sich der Kartograf an die Wand.
Die Wand leuchtete auf.
Er fiel hindurch.
Doch er gelangte nicht in einen Raum, sondern in einen Wirbel magischer Kräfte, die ihn herumschleuderten. Dabei spürte Lucan, dass ihn seine eigenen Kräfte verließen. Er wusste, dass er nicht mehr lange wach bleiben konnte.
Ganz ruhig, junger Lucan... Ich wehre diese Effekte lange genug für dich ab... Ich hoffe ...
Er kannte die Stimme, kannte sie, selbst bevor sein Körper sich der Quelle zuwandte.
Wie der Mensch schwebte auch der große Drache Ysera im Zentrum der Kräfte. Wenngleich Ysera deutlich mehr davon angegriffen wurde. Ihre Flügel waren weit ausgebreitet, und sie war von einer dünnen smaragdgrünen Aura umgeben, die permanent flackerte, als wollte sie schwinden. Die langen schmalen Drachenaugen waren geschlossen, dennoch schien sie ihn sehen zu können.
Lucan spürte, dass der weibliche Drache alles andere als hilflos war, trotz der Gefangenschaft, und immer noch kämpfte...
Aber das konnte nicht sein. Er hatte gesehen, wie sie verloren hatte. Der Albtraum hatte sie überwältigt, sie seinem Willen unterworfen...
Vom Albtraum und seinem Herrn kommen nur Lügen , antwortete Ysera auf seine unausgesprochene Frage. Ich bin eine Gefangene, aber ich leiste noch ein wenig Widerstand... obwohl er schwindet, wie ich zugeben muss ...
Was ist das für ein Ort ?, fragte er leise.
Ihr Kopf drehte sich zur Seite. Vor langer Zeit, als Azeroth noch jung war und wir es zusammen mit dem Smaragdgrünen Traum zum ersten Mal beschützen mussten, ehrten mich die Mitglieder meiner Sippe, indem sie diesen Ort, das Auge von Ysera nannten. Von dort aus wachten wir über alles ... Ihr Gesichtsausdruck wurde traurig. Nun, durch Lethons Verrat... ist er zu meinem Kerker geworden ...
Der große Aspekt knurrte plötzlich vor Schmerz. Yseras Körper erzitterte, und einen Atemzug lang wurde sie feinstofflich.
Obwohl es vergeblich war, streckte Lucan die Hand aus, um Ysera zu trösten.
Die Grenze zwischen dem umkämpften Traum und Azeroth schwindet !, verkündete sie in schrecklicher Sorge. Obwohl ich immer noch kämpfe, binden sie immer schneller meinen Willen und nutzen meine Kräfte, um alles andere zu vernichten !
Was können wir tun ?, fragte der Kartograf entsetzt.
Sie sammelte alle Kraft, die sie noch hatte und antwortete: Erfahre die Wahrheit, Lucan Fuchsblut... Ich kenne dich schon, seit Eranikus dich gefunden hat... Ich entschied mich, abzuwarten, was aus dir werden würde... Selbst Eranikus wusste nichts davon... Er handelte nur, wie sein Herz es ihm befahl ...
Lucan beobachtete sie mit offenem Mund.
Ich konnte an den Umständen deiner Geburt nichts ändern, doch vielleicht... war ich anmaßend, als ich dir nicht zumindest von Anfang an... ein wenig Schutz gab . Ysera keuchte erneut, dann fuhr sie fort: Aber wir haben keine Zeit, in der Vergangenheit zu schwelgen... Ich habe erfolglos versucht... jemand anderen zu kontaktieren... Doch deine Einzigartigkeit kann mir dabei helfen, ihn noch zu erreichen ...
Ich? Was kann ich tun ?
Wieder litt der Drache große Schmerzen und verschwand fast. Wir... wir erreichen den Punkt ohne Wiederkehr !, sagte Ysera schließlich. Du könntest mir den Weg bereiten, um die Zauber des Albtraumlords zu überlisten, die mich an der Kontaktaufnahme zu Malfurion Sturmgrimm hindern ...
Malfurion? Ich tue alles, um dir zu helfen, selbst wenn es mich mein Leben kostet !, antwortete der Kartograf. Er erkannte, dass er es auch so meinte. Was war sein Leben schon wert, wenn alles andere an den Albtraum fiel?
Lass uns hoffen, dass es nicht so weit kommen wird , meinte der Aspekt und schien wieder seine Gedanken zu lesen. Mit geschlossenen Augen fügte Ysera hinzu: Bist du dir sicher, Lucan Fuchsblut? Bist du dir sicher, dass du die Risiken verstehst ?
Er nickte.
Ich werde versuchen, so sanft wie möglich zu sein ...
Ysera öffnete die Augen. Ihr Blick traf den des Menschen.
Für den Menschen war es, als ob jeder Traum, den er je gehabt hatte, von Neuem beginnen würde. In Yseras Augen befand sich ein ganzes Kaleidoskop von Bildern, die allesamt mit Lucan verbunden waren... und Bilder jeder anderen Kreatur, die träumte. Er wurde ein Teil dieser Träume und öffnete dem Drachen so die verstecktesten Regionen seines Unterbewusstseins...
Lucan Fuchsblut erstarrte in Ehrfurcht, als er in die Aura des Aspekts eintauchte.
Wir müssen zurück nach Azeroth , ermahnte Varian Hamuul. Sag Malfurion Sturmgrimm, dass es sein muss! Sie greifen unsere Körper an, selbst jetzt, wo wir hier gegen sie kämpfen !
Der Tauren nahm seine Worte wahr, antwortete aber nicht. Doch er suchte augenblicklich nach Malfurion, um ihn vor dem drohenden Desaster zu warnen.
Die Sorgen des Tauren erreichten Malfurion, gerade als der Nachtelf die Wahrheit hinter Xavius’ erstaunlicher Kraft erkannte. Er hatte das uralte Böse schon zuvor gespürt und konnte es nicht vergessen. Kein Wunder, dass Xavius so viel erreicht hatte, denn eine noch viel größere Finsternis stand hinter ihm.
Noch behielt Malfurion dies jedoch für sich. Weil er wusste, dass alles verloren war, wenn erst einmal alle Hoffnung schwand. Er hörte, wie Varians Wunsch ihn durch Hamuul erreichte. Der Erzdruide verstand, was der König wollte und warum. Malfurion verfluchte sich, weil er so etwas zugelassen hatte. Er hatte schon befürchtet, dass Xavius die ungeschützten sterblichen Hüllen der Verteidiger angreifen würde.
Der Erzdruide berichtete Tyrande, was gerade geschah und was er zu tun hatte. Sie nickte verstehend, obwohl auf ihrem Gesicht Schrecken und Mitleid lagen für alles, was sich Malfurion auf die Schultern geladen hatte.
„Sind wir dann verloren?“, fragte die Hohepriesterin direkt. Sie hatte offensichtlich die Dinge ebenso überdacht wie er. „Ist ganz Azeroth verloren?“
Bevor er antworten konnte, erreichte ihn wieder eine Stimme in seinem Kopf. Eine Stimme, um die er gebetet hatte, sie zu hören, bevor es zu spät war.
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