Als es still genug geworden war, um wieder Gehör zu finden, rief er: „Meldet euch!“
Elf Stimmen antworteten, einige mit Schmerz in der Stimme. Elf, nicht fünfzehn.
Die Verwüstung ließ es sinnlos erscheinen, nachzusehen, ob die anderen vier noch lebten. Dughan musste den Rest seiner Männer in Sicherheit bringen. Ihnen blieb nur noch die Möglichkeit, zu der Stelle zurückzukehren, wo sie gegen die Kobolde gekämpft hatten. Manchmal gruben Kobolde unter Tage tiefe Höhlen neben den Stollen, die Fluchtwege nach draußen beinhalteten.
Darauf setzte er all seine Hoffnung.
„Folgt mir!“
Der Weg war dunkler und länger, als er ihn in Erinnerung hatte. Nur der starke Gestank schien Dughan darin zu bestätigen, dass sie sich ihrem Ziel näherten. Doch als er die Gruppe zügig durch einen der Gänge führte, standen sie plötzlich vor einer geschlossenen Felswand.
„Was ist das?“
Die Wand bedeutete, dass sie an dem Punkt, an dem sie die Kobolde das erste Mal gesehen hatten, schon vorbei waren. Aber wo waren die Leichen?
Dughan suchte in seinen Beuteln nach etwas, womit er die Umgebung erhellen konnte, doch er fand nichts.
Plötzlich entstand jedoch ein violettes Leuchten neben ihm. Der Marschall wirbelte mit erhobenem Streitkolben herum.
Zaldimar blickte ihn aus dem Leuchten heraus an. Dughan konnte nichts außer dem Gesicht des Magiers sehen. Sein Gesichtsausdruck wirkte verhärmt.
„Hilft das?“, krächzte er.
„Beim Licht, wo seid Ihr gewesen? Habt Ihr irgendein Anzeichen für einen Weg nach draußen gefunden? Der Gang, durch den wir kamen, ist unpassierbar!“
Zaldimar nickte. „Ich weiß. Ich habe dafür gesorgt.“
„Ihr habt... was ?“
Das Leuchten breitete sich aus. Dughans Augen weiteten sich.
Die Kleidung des Magiers hatte sich verändert. Er trug nun eine schwarze Rüstung mit Schädeln an Knieschutz und Brustteil. Er hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen. Seine Augen leuchteten dunkelviolett.
„Und um zu fliehen, wird mir ein einfacher Zauber genügen.“
Marschall Dughan drückte Zaldimar grob die Spitze seines Streitkolbens unter das Kinn. „Dann nehmt Ihr uns mit Euch!“
Etwas bewegte sich am Rande des Lichtscheins. Es schlug die Waffe des Marschalls nieder. Während Dughan sich bemühte, den Streitkolben nicht entgleiten zu lassen, erkannte er eine vertraut wirkende Schnauze.
„Kobolde...“ Doch das Wort erstarb auf seinen Lippen, als Zaldimar das unheimliche Licht noch verstärkte.
Es war kein normaler Kobold – sondern ein toter. Der Wanst der Kreatur war aufgeschlitzt, verfaulende Organe hingen heraus. Der Kobold umklammerte seine Waffe und starrte den Offizier mit blicklosen Augen an.
Als das Licht sich ausbreitete, erkannte Marschall Dughan, dass es noch viele andere gab, die so waren wie er – all die Kobolde eben, die er und seine Männer getötet hatten. Vielleicht sogar noch mehr, Kreaturen, die lange vor dem jüngsten Gemetzel gefallen waren...
„Was ist passiert?“, wollte er wissen.
„Sie dienen nun mir... so, wie ich unserem rechtmäßigen Herrn diene...“, krächzte Zaldimar und grinste, als gehörte er ebenfalls zu den Untoten. „Und so, wie Ihr es auch bald tun werdet, guter Marschall...“
Die Kobolde bewegten sich auf ihn zu. Marschall Dughan und seine Männer kauerten sich zusammen.
„Es wird nicht lange wehtun...“
Völlig lautlos drängten die Kobolde vor. Dughan schnitt einem von ihnen die Kehle durch, aber es schien nichts zu nützen. Verzweifelt schlug er härter zu und enthauptete ihn.
Doch der Leichnam griff unvermindert wütend an.
„Ich muss Euch für eine kleine Weile verlassen“, sagte Zaldimar. „Ich werde mir als Nächstes Goldhain vornehmen, eine Aufgabe, bei der Ihr und Eure Männer mir behilflich sein werdet, sobald Ihr erst... umgewandelt worden seid.“
„Seid verdammt, Ihr...“ Doch Marschall Dughans Stimme vermummte wie abgeschnitten, als der Nekromant verschwand – und mit ihm das Licht .
Die Luft wurde dick und schwer. Der Gestank der toten Kobolde war allgegenwärtig. Ohne das magische Licht konnte Dughan nicht sehen, wie die Gestalten auf ihn zukamen.
Ein Mann schrie gellend auf, und Angstrufe lösten sich aus den Mündern der anderen. Dughan versuchte verzweifelt, die Flut von Angreifern abzuwehren.
Noch ein Mann schrie auf. Einen Augenblick später hallte das monströse Geräusch von etwas, das zerrissen wurde, durch den Schacht.
„Marschall?“, flehte der Mann neben ihm.
„Kämpft weiter!“
Doch dann fiel Dughan beinahe zur Seite, als der Soldat hinter ihm fortgezerrt wurde. Der Soldat brüllte erneut... dann mischte sich ein hässlicher Schrei in das vertraute Geräusch von Waffen, die in Fleisch eindrangen. All das hallte von den Wänden wider.
Das Klirren der Waffen wurde schwächer und schwächer...
Marschall Dughan wusste, dass er der letzte Überlebende war. Er spürte, wie sich die untoten Kobolde um ihn scharten. Zum ersten Mal leuchteten ihre Augen. Sie strahlten ein tödliches weißes Licht aus, das Gänsehaut erzeugte.
Und unter diesen Gegnern erkannte Dughan nun auch andere, die sich von den Toten erhoben hatten. Sie sahen fürchterlich zugerichtet aus. Seine eigenen Männer waren jetzt Teil der gottlosen Meute... und drängten vorwärts.
Marschall Dughan kämpfte wild entschlossen. Sein Streitkolben traf immer wieder auf Fleisch, doch die Kobolde und die veränderten Soldaten stürmten unbeeindruckt weiter vor. Sie waren jetzt überall, rissen mit ihren Klauen an ihm, bissen ihn oder hieben mit ihren Waffen auf ihn ein.
Er schrie, als ihn die Untoten unter sich begruben...
Marschall Dughan lag in seinem Bett, obwohl im Städtchen Goldhain bereits der Tag angebrochen war und die Sonne schien.
Er bewegte sich unruhig und runzelte die Stirn. Sein Körper war verschwitzt. Seine Lippen bewegten sich, als wolle er sprechen – oder schreien -, und seine Hände verkrampften sich so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Abrupt setzte sich Dughan auf und schrie. Doch der Marschall wachte nicht auf, sondern fiel wieder auf das Bett zurück. Er wälzte sich hin und her und keuchte, als kämpfe er im Traum gegen etwas.
Sein Schrei war laut genug gewesen, um weithin in der Stadt gehört zu werden. Dennoch kam niemand, weder seine Familie noch irgendwelche Diener, um nachzusehen, was den Marschall quälte.
Sie konnten es nicht. Niemand in Goldhain konnte es, weil alle in ihren Betten lagen, alle schliefen... und unter fürchterlichen Träumen litten.
Obwohl sie eine Hohepriesterin der Mondgöttin war, hielt Tyrande den Sonnenaufgang für etwas Erhabenes, wenngleich das helle Licht ein wenig in den Augen eines Nachtwesens stach. In ihrer Jugend hatte sie es nicht als so schmerzhaft empfunden. Tatsächlich waren sie, Malfurion und Illidan oftmals bei Tag ausgeritten, wenn die meisten anderen schliefen, und hatten die von Helligkeit erfüllte Welt erforscht. Selbst Malfurions Unterricht bei Cenarius war bei Tag erfolgt.
Vielleicht werde ich doch alt , dachte sie. Unter den Nachtelfen war Tyrande eine der ältesten. Sie hatte so viele überlebt, auch all ihre geliebten Freunde, mit Ausnahme von zweien.
Der Weg zur Mondlichtung war lang. Deshalb mussten sie, ihre Leibwache und Erzdruide Fandral samt seinen Druiden alle einen Tag lang rasten, bevor sie nach Darnassus zurückkehren konnten. Während es vielen der Druiden reichte, in den Grüften, den unterirdischen Kammern, zu schlafen, erinnerten sie Tyrande zu sehr an andere Orte der Vergangenheit, die sie vergessen wollte, so wie die Gewölbe unter Azsharas Palast.
Als Königin wollte Azshara ihr Volk ihrem Wahn und ihrer Besessenheit opfern und hatte der Brennenden Legion willentlich den Weg geöffnet. Ihr oberster Berater, Xavius, hatte sie noch weiter angestachelt, und die beiden waren für viele der zahllosen Toten verantwortlich, die den Dämonen zum Opfer fielen. Tyrande wollte niemals mehr in Azshara denken müssen. Doch es gab so viele Erinnerungen, die sie zwangen, es doch zu tun.
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