Dennoch hasste er es, darauf zu sitzen. Gleichzeitig war er davon überzeugt, dass es seiner Autorität Schaden zufügen würde, sollte er einen Fehler begehen.
Kristoff kannte seine Grenzen. Er war eben kein geborener Führer. Er hatte Jahre damit verbracht, wirkliche Führer aus erster Hand zu studieren und solche, an die er nicht herankam, aus Büchern. Inzwischen wusste er, was gute Führer auszeichnete, was sie richtig und was schlechte falsch machten. Etwas, was er früh gelernt hatte, war, dass sich arrogante Herrscher selten lange hielten. Herrscher machten Fehler. Die Arroganten gestanden sich das jedoch nicht ein. Das führte oft zur Selbstzerstörung oder zur Zerstörung durch Kräfte von außen.
Mit Sicherheit traf das auf Kristoffs vorherigen Arbeitgeber, Garithos, zu. Wenn der Hochlord auf Kristoff gehört hätte, oder einen der anderen sechs Ratgeber, hätte er sich nicht mit den Verdammten eingelassen. Kristoff hatte vorhergesagt, dass die untoten Kreaturen Garithos verraten und seine Krieger in den Untergang führen würden.
Unglücklicherweise waren die Arroganten normalerweise auch diejenigen, die sich vor allen anderen in Führungspositionen drängten. Kristoff hatte sich schon als junger Student damit auseinander gesetzt, denn es erklärte, warum es so wenige wirklich große Führungspersönlichkeiten gab.
Kristoff kannte sich gut genug, um zu wissen, dass er selbst unglaublich arrogant war. Das überlegene Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten war der Grund, warum er ein so guter Ratgeber für Lady Proudmoore war. Gleichzeitig verhinderte es aber auch, dass er ihren Platz einnehmen konnte.
Nichtsdestotrotz würde er tun, was ihm aufgetragen worden war und die Stelle der Lady vertreten, bis sie von ihrem Abstecher, den er keinesfalls befürwortete, zurückkehrte.
Mehr als alles andere aber hasste Kristoff den Thron als solchen, auch wegen seiner Unbequemlichkeit. Um den richtigen Effekt zu erzielen, musste man gerade sitzen, die Arme auf den Lehnen abgelegt, und auf den Bittsteller mit einem allwissenden Blick herabschauen. Allerdings war das aufrechte Sitzen für Kristoffs Rücken die Hölle. Die Wirbelsäulen malträtierende Position ließ sich nur vermeiden, wenn er mit dem Gesäß nach vorn rutschte und sich zu einer Seite neigte. Nur sah das dann aus, als würde er den Thron wie ein Sofa benutzen, was nicht ganz der Eindruck war, den er vermitteln wollte.
Es war eine schwierige Situation. Kristoff wünschte sich inbrünstig, dass die Lady nicht ins Orc-Land verschwunden wäre, um irgendeiner aberwitzigen Sache nachzugehen. Schließlich waren die Bedürfnisse von Theramore deutlich wichtiger als die Umsiedlung irgendwelcher randalierenden Reptilien auf Durotar.
Lady Proudmoore hatte erstaunliche Dinge vollbracht. Nur wenige Personen ihres Geschlechts wären in der Lage gewesen zu erreichen, was sie geschafft hatte. Dabei spielte es keine Rolle, ob als Magier oder Herrscher. Natürlich, es gab viele weibliche Monarchen, aber sie erlangten ihr Amt durch Erbfolge oder Heirat, nicht durch bloße Willensstärke, wie es im Fall der Lady geschehen war. Medivh hatte die Absicht formuliert, aber Jaina Proudmoore hatte die unvorstellbare Aufgabe bewältigt , Menschen und Orcs zu einen. Nach seiner Meinung als Experte war sie die größte Anführerin, die die Welt je erblickt hatte, und Kristoff betrachtete es als Ehre, einer ihrer vertrautesten Ratgeber zu sein.
Deshalb trieb ihn ihre Blindheit in Bezug auf die Orcs auch in den Wahnsinn. Kristoff konnte sie ja verstehen. Von allen Anführern, die er getroffen und studiert hatte, war Thrall Lady Proudmoore am ähnlichsten. Wie er die Orcs geeint und vom Joch des Dämonenfluchs, das sie so erniedrigte, befreit hatte, war noch beeindruckender gewesen.
Aber Thrall war einzigartig unter den Orcs. In ihrer Seele waren die Orcs unzivilisierte Bestien, kaum in der Lage, sich zu artikulieren. Ihre Sitten und Gebräuche waren barbarisch, ihr Verhalten inakzeptabel. Ja, Thrall hatte sie auf Linie gehalten und dabei das genutzt, was er in seiner Zeit gelernt hatte, als er unter Menschen aufgewachsen war. Dadurch hatte er ihnen etwas Zivilisation beigebracht.
Doch Thrall würde nicht ewig leben. Wenn er starb, würde mit ihm auch der Flirt der Orcs mit den Menschen enden. Sie würden wieder zu den bösartigen Tieren degenerieren, die sie waren, als Sargeras sie erstmals hierher brachte.
Doch Lady Proudmoore würde diese Worte nicht hören wollen. Kristoff hatte es versucht, aber auch die größten Anführer konnten blind für gewisse Dinge sein, und dies war eben ihre Schwäche. Sie glaubte so fest daran, dass die Orcs in Frieden mit den Menschen leben konnten, dass sie ihren eigenen Vater verraten hatte.
An diesem Punkt hatte Kristoff erkannt, dass er zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen musste. Die Lady ließ eher ihren eigenen Vater töten, als das Vertrauen der Kreaturen zu enttäuschen, die, mit Ausnahme von Thrall, ihr diesen Gefallen niemals vergelten würden.
Unter anderen Umständen hätte Kristoff niemals getan, was er jetzt tat. Jeden Tag wachte er auf und fragte sich, ob er den richtigen Weg verfolgte. Aber jeden Tag wachte er auch in Furcht auf. Vom ersten Moment an, da er nach Kalimdor gekommen war, vom Ende des Krieges bis hin zur Gründung von Theramore, lebte Kristoff in der fürchterlichen Panik, dass alles, was sie aufgebaut hatten, zerstört werden könnte. Mit Ausnahme des kleinen Forts an der Handelsküste reduzierte sich die menschliche Präsenz in Kalimdor auf eine kleine Insel vor der östlichen Küste, auf drei Seiten von Kreaturen umgeben, die ihnen im besten Fall gleichgültig gesinnt waren – und im schlimmsten feindlich. Auf der vierten Seite begrenzte die Große See ihr Hoheitsgebiet.
Trotz seiner Ängste und trotz seines lautstarken Rates, bevorteilte die Lady die Orcs ständig – zum Schaden der Menschen. Sie bezeichnete es als Glücksfall für die Allianz, und dass sie verbündet stärker seien als getrennt. Das wahrhaft Tragische daran war, dass sie dies auch glaubte.
Aber Kristoff wusste es besser. Und als sich Lady Proudmoore als unfähig erwies, die Gesamtsituation zu erfassen, das große Bild, das Kristoff sein ganzes Leben lang bemüht war zu erkennen, holte er sich Hilfe von außen.
Duree streckte ihre verschrumpelte Hand in die Kammer.
»Sir, der magische Stein von Northwatch glüht. Ich glaube, er hat eine Botschaft.«
Trocken versetzte Kristoff: »Das bedeutet es für gewöhnlich, ja.« Er stand vom Tisch der Lady auf und ging hinaus in den Thronsaal, wo der Stein aufbewahrt wurde. Vermutlich war das entweder Lorena oder Davin, die ihn darüber unterrichten wollten, dass der Oberst endlich eingetroffen war. Ihre Truppen waren an diesem Morgen angekommen.
Kristoffs Plan, Lorena bereits dort zu haben, wenn der Truppentransport eintraf, war von mechanischen Problemen am Luftschiff vereitelt worden. Der Start hatte sich verzögert. Außerdem war der Truppentransporter durch starke Winde früher als erwartet eingetroffen.
Als er zu dem Stein ging, der auf einem Podest in der südwestlichen Ecke des Thronsaals ruhte, sah Kristoff, dass er tatsächlich rot leuchtete. Was darauf hinwies, dass sein Gegenpart in Northwatch aktiviert worden war.
Einen Moment zögerte er, dann ergriff er den Stein. Wie erwartet schoss ein schmerzhafter Schock durch seinen Arm, der ihn fast zwang, den Stein wieder fallen zu lassen. Das Leuchten verschwand jedoch ebenso wie der Schmerz, und dann folgte Major Davins Stimme. Es klang, als würde Davin aus einer Höhle heraus brüllen.
»Lord Kämmerer, es ist meine traurige Pflicht, Euch davon in Kenntnis zu setzen, dass sich Oberst Lorenas Luftschiff noch nicht gemeldet hat. Beobachter sahen das Luftschiff, doch es fuhr Richtung Nordosten. Die Truppen sind angekommen, aber ich weiß nicht, was der Oberst mit ihnen vorhatte. Bitte gebt mir Anweisungen.«
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