»Glaub mir! Wenn die Prüfung irgend etwas bewirkt hat, dann hat sie das bewirkt!«
Der Glanz, der den Zauberkundigen umgeben hatte, verblaßte plötzlich, und Huma bemerkte die Angst auf dem Gesicht seines Freundes. Nicht nur Angst um sich selbst, sondern auch um ihn.
»Horch.« Jetzt bedeckten die Schatten das Gesicht des Zauberers und verliehen ihm einen unirdischen Ausdruck. »Diese Wesen werden dich nicht länger belästigen. Ich bin es, den ihre Herren suchen. Sie haben sie mir nachgeschickt, als sie erfuhren, daß ich weg war.«
Fröstelnd stellte Huma fest: »Du fliehst vor den Kreaturen der Drachenkönigin.«
Ein trockener Zweig knackte. Beide Männer erstarrten. Huma sah sich im Wald um, konnte jedoch nichts erkennen. Magus beugte sich vor und flüsterte: »Ich muß gehen. Du kennst mich, Huma. Du weißt, wozu ich fähig bin. Glaube daran. Wenn die Dinge eine Wendung zum Guten oder zum Bösen nehmen, werde ich mich mit dir in Verbindung setzen.«
Große, dunkle Umrisse erschienen zwischen den Bäumen. Magus funkelte sie an und eilte davon. Huma machte den Mund auf, um zu sprechen, merkte dann jedoch, daß das gefährlich und dumm wäre. Er betete, daß Magus recht damit gehabt hatte, Humas Schwert an dem Baum zu lassen, wo es jene Mißgeburt an den Stamm genagelt hatte.
Unter Aufbietung seines gesamten Mutes nahm Huma seinen Weg zum Lager wieder auf und betete beim Gehen, daß er als erstes einem Ritter und nicht einem Wesen aus dem Alptraum eines Zauberers begegnen würde.
Glücklicherweise traf er die Suchenden nur Minuten von der Stelle entfernt, wo der Posten verschwunden war. Huma fühlte sich schuldig, den unglückseligen Posten vergessen zu haben, einen, der noch unerfahrener war als er. Es gab jedoch nichts, was Huma für den Mann tun konnte, und er wußte, daß er sich eher um das sorgen sollte, was noch außerhalb des Lagers lauern konnte, und was das bedeuten konnte. Wenn der Feind so weit hinter die Linien vorgedrungen war…
Rennard nahm seine Meldung ab, offenbar nicht allzu überrascht, daß ausgerechnet Huma in Schwierigkeiten geraten war. Die Nachricht von dem Angreifer, der nur ein Magier gewesen sein konnte, machte ihm zu schaffen, auch wenn seine Miene keine Regung zeigte. Mit einem Suchtrupp kehrten Huma und Rennard zu dem Platz zurück, an den Huma geführt worden war. Die leblose Gestalt des Postens zeigte keine Kampfspuren, ganz als wäre der arme Mann einfach tot umgefallen. Rennard spuckte aus und verfluchte in einem nie dagewesenen Gefühlsausbruch alle Magier dieser Welt. Huma schrumpfte zusammen. Er hatte nichts von Magus erwähnt, auch wenn es dem Kodex und dem Maßstab zuwiderlief. Wie ehrenhaft war ein Ritter, der log?
Aber Magus war sein Freund.
Bei klarem Verstand betrachtet, erwies sich der Angreifer als nur allzu real. Rennard zog das Schwert aus dem Baum und ließ den Körper des Zauberers herunter. Zu seiner eigenen Überraschung griff Huma selbst hinunter und zog ihm die Kapuze vom Gesicht. Selbst im Dunkeln war das Gesicht abstoßend. Nur Rennard schien von dem Bösen, das darauf geschrieben stand, unbeeindruckt.
Der Magier mochte ein Mensch gewesen sein, doch er glich eher einem Reptil. Seine Haut war dunkel und schuppig und glitzerte im Fackellicht. Die Augen waren schmale Schlitze, die Nase kaum vorhanden. Huma bemerkte Zähne, die die des Minotaurus in den Schatten gestellt hätten. Mehr als ein Ritter rief Paladin an.
Der Tote steckte in einer dicken, groben Robe aus braunem Tuch. Rennard betastete sie, um sie dann loszulassen, als wäre sie eine Viper. »Er trägt nicht das Schwarz der Drachenkönigin.« Er zeigte auf zwei Ritter. »Bringt das hier ins Lager zurück. Ich will wissen, was die Zauberkundigen zu sagen haben. Die anderen: ausschwärmen. Überzeugt euch davon, daß er keine Überraschungen zurückgelassen hat. Huma, du bleibst bei mir.«
Sie sahen die anderen gehen, dann fuhr Rennard herum und blitzte Huma so zornig an, daß der bloße Anblick des sonst ungerührten Gesichts den jungen Ritter zurückweichen ließ.
»Wer war der andere?«
»Es gab keinen anderen.«
»Es gab einen.« Kälte folgte diesen Worten. »Ich weiß es. Ich sehe keinen Grund, warum du versuchen solltest, die Anwesenheit eines Zauberers zu vertuschen, außer – « Er starrte Huma direkt in die Augen. Huma erwiderte den Blick und kämpfte dagegen an. Zu seiner Überraschung war es Rennard, der zum Wegsehen gezwungen war.
Es war ein schaler Triumph. »Eindeutig. Bei so viel Anstrengung kann ich mir nur einen vorstellen, den du schützen würdest – aber was macht Magus hier draußen?«
»Ich habe nicht – « Huma fehlten die Worte. Woher wußte Rennard überhaupt von seinem Jugendfreund?
»Du bist ein Dummkopf, Huma. Ein tapferer, fähiger Ritter, aber du hast zu viel Menschlichkeit in dir, zu viel Vertrauen zu anderen. Ausgerechnet ein Zauberer. Zauberern kann man nicht trauen. Sie werden sich immer gegen dich wenden. Sie sind Verräter.«
Trotz seines Respekts vor Rennard reckte Huma sich bei dieser Beleidigung. »Magus ist nichts dergleichen. Wir sind zusammen aufgewachsen. Er würde nicht das verraten, woran er geglaubt hat.«
Rennard schüttelte betrübt den Kopf. »Du wirst erst begreifen, wenn es zu spät ist.« Dann ließ Rennard das Thema fallen, weil alles gesagt war. »Komm. Wir kehren lieber zum Lager zurück. Ich glaube, das ist etwas, wovon Fürst Oswal erfahren sollte.«
Der blasse Krieger gab Huma sein Schwert zurück. Ohne sich davon zu überzeugen, daß Huma ihm folgte, ging Rennard los. Huma lief ihm nach, wobei er sich fragte, was der andere Ritter melden würde und was Huma selbst sagen würde, wenn er genau wußte, daß einer seiner Zuhörer bereits wußte, daß er gelogen hatte.
Was würden der Kodex und der Maßstab fordern?
Es hatte einmal einen Ausbilder namens Garig gegeben, der beschlossen hatte, daß der Knappe Huma die Vorbereitung auf die Ritterschaft nicht bestehen sollte. Garig war ein Ungeheuer von Mann gewesen, dessen Gestalt und Gesicht eher einem Bären geglichen hatten. Manche wunderten sich, daß er überhaupt ein Ritter war, so brutal, wie er sein konnte. Jedenfalls hatte Garig sich vorgenommen, Huma innerhalb von einem Monat kleinzukriegen. Huma jedoch blieb. Blieb, lernte und zeichnete sich aus, obwohl er eine Heidenangst vor Garig hatte. Fürst Oswal, der Oberste Kommandant, machte ihm Mut. Wie Rennard hatte Fürst Oswal in Huma etwas gesehen, das er trotz der zweifelhaften Herkunft des Jungen unbedingt kultivieren wollte. Zuletzt lehnte sich der Knappe gegen den übermächtigen Ausbilder auf und besiegte ihn eindeutig in einem Schaukampf, der diesen Namen kaum noch verdiente. Das war ebensosehr ein Sieg über seine Angst wie über Garig.
Jetzt hatte Huma wieder Angst, als er vor den Mann trat, der ihm geholfen hatte, diese Hürde zu überwinden.
Der Oberste Kommandant war trotz der späten Stunde vollständig angezogen und hellwach. Huma staunte – wie viele andere –, daß der alte Ritter nie zu schlafen schien. Der Befehlshaber der Militäraktion saß auf einem einfachen Holzstuhl, der in scharfem Kontrast zu seiner prächtigen Uniform stand. Sein Helm lag neben ihm auf dem Tisch, auf dem auch ein gutes Dutzend Karten ausgebreitet waren. Huma kam sich vor, als würde ihn auch der Helm irgendwie inspizieren.
Nur zwei weitere Ritter waren anwesend. Der eine war ein eher kleiner, rundlicher Mann, dessen äußere Erscheinung seine innere Stärke und Intelligenz verdeckte. Sein Haupt war nur von wenigen Haaren geziert: Er hatte nur einen kleinen Spitzbart und ein paar Locken am Hinterkopf. Arak Falkenauge war kein besonders humorvoller Mensch. Sein zweiter Name rührte von seiner Präzision als Bogenschütze her. Selbst die Nomadenstämme des Südens kannten Falkenauge. Im Reiten und Schießen konnte er jeden von ihnen schlagen. Es war sein persönlicher Ehrgeiz, eine Rittergruppe so auszubilden, daß sie ritt und schoß wie die Männer aus den Ebenen. Er trug die Wappen des Ordens der Krone, den er bei dieser Aktion befehligte.
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