Dann meine wertvolleren Besitztümer. Als erstes die roten Calantina-Würfel, ganz besondere zwölfseitige Würfel aus Estwilde. Einhundertvierundvierzig Zahlen konnte man damit würfeln, und jeder Zahl war traditionell ein Tiersymbol und ein Dreizeiler zugeordnet, der prophetisch sein sollte, meistens aber zu mehrdeutig war, um eine Hilfe darzustellen. Erst im nachhinein konnte man gewöhnlich sagen: »Ach, das war die Bedeutung.«
Sie waren wirklich keine große Hilfe, aber man hatte wenigstens das Gefühl, man würde die Dinge kommen sehen, und dieser Gedanke war seltsam beruhigend.
Nach den Würfeln meine Handschuhe. Ich hatte sie von einem Händler gekauft, der geschworen hatte, daß sie in der Schlacht von Chaktamir die Hände eines Hauptmanns von Solamnia geziert hätten. Bezahlt hatte ich sie mit dem Geld von Dienstboten, die gehört hatten, daß Sir Bayard kam. Er war ein ziemlich berühmter Held, so daß mich die jüngeren Bediensteten in der Spülküche, in der Besenkammer und unten in den Fluren angebettelt und mir ihre Pennys angeboten hatten, damit sie einen kurzen Blick auf die legendäre Rüstung werfen konnten.
Die Pennys waren jetzt weg. Ich hatte sie für das dicke Paar Lederhandschuhe ausgegeben, das ich neben die Würfel auf das Bett schmiß. Ich hatte nicht davon geträumt, sie in der Wasserburg zu tragen, weil sie zu kostbar bestickt waren. Auf den Knöcheln waren sogar die Phasen des roten Mondes aufgemalt. Mich so ausstaffiert vor Vater zu zeigen, hätte nur unangenehme Fragen nach sich gezogen.
Die jungen Diener hingegen waren so unschuldige, vertrauensvolle Seelen, daß sie keine solchen Fragen stellten. In der Nacht vor dem Diebstahl hatte ich ihnen erzählt, daß ein Blick auf die Rüstung unmöglich sei und daß mich allein die Bitte um diesen Blick all ihre Pennys gekostet hätte. Diese Erklärung kauften sie mir auch ab, denn sie dachten vielleicht, daß man so eben mit Rittern von Solamnia verhandelte.
Nachdem Pfeife, Würfel und Handschuhe auf dem Bett lagen, durchstöberte ich weiter meine Taschen.
»Irgendwo hier drin muß Wachs sein…«
Ich gab bei der einen Tasche auf und ging zur nächsten über, wobei ich die ganze Zeit über mein sich wandelndes Schicksal nachdachte. Und über Bayard Blitzklinge, der nun wirklich ein Geheimnis war.
»Erst lehnt er Alfrik als Knappen ab, weil der eingenickt ist und die Rüstung verloren hat, dann nimmt er mich für die gleiche Aufgabe an, obwohl er anscheinend argwöhnt, daß ich etwas viel Schlimmeres getan habe. Und er ist nicht gerade weichherzig. Den armen Mann in Schwarz hat er in den tiefsten Kerker geworfen und faselt von Hinrichtung. Köpfen! Ich wußte nicht, daß die Ritter von Solamnia so etwas zulassen, geschweige denn, daß Bayard es selbst auf sich nehmen würde! Der Witz ist, daß der arme Kerl kaum der Skorpion ist, denn der – wie ich und nur ich weiß – streift gegenwärtig im Körper eines Raben umher. Ha! Ha!« Ich sah nervös über meine Schulter für den Fall, daß jemand lauschte. Keiner da.
Bei der Erforschung der anderen Tasche stießen meine Finger auf etwas Ledernes. Ich zog den kleinen Beutel heraus und sah nach, ob er Wachs enthielt, aber er war leer bis auf die sechs Opale, die in jener schicksalhaften Nacht des ersten Besuchs des Skorpions darin gewesen waren. Ich erinnerte mich an den Skorpion auf meiner Hand und erschauerte.
Die Steine sahen aus wie Eier, und ich wünschte mir, der Rabe hätte sich mit ihnen zufrieden gegeben. Ich wollte sie in Brithelms Zimmer verstecken, überlegte es mir dann jedoch anders und legte sie einfach aufs Bett zu meinen anderen Besitztümern.
Ich brauchte das Wachs unbedingt. Es sah nämlich aus wie ein guter Plan: Ein bißchen davon über den Rüstungsteilen schmelzen zu lassen und es als eine Art Kleber zu verwenden.
Es würde die Teile nicht lange zusammenhalten, aber vielleicht lange genug, daß ich einen nichtsahnenden Küchenjungen bitten konnte, die Rüstung in Bayards Zimmer zu bringen. Wenn die Teile dann auseinanderfielen, konnte ich dem armen Jungen lautstark die Schuld geben.
Das war meine Strategie, aber man weiß ja, wie es mit den Plänen von Mann und Maus aussieht.
Gleiches gilt offenbar auch für Wiesel.
Als ich einen Schlüssel im Schloß vernahm, dachte ich an Alfrik, der mich jetzt noch weniger ausstehen konnte, weil ich statt seiner Bayards Knappe geworden war. Er war weiterhin dazu verurteilt, in der Wasserburg herumzuhängen, während Vater über seine Unzulänglichkeiten nachgrübelte, und obwohl er sich in Gegenwart von anderen normalerweise zusammennahm, bezweifelte ich nicht, daß er Übles im Schild führte.
Ich kroch also tief in den Schrank, Tür zu und hinter die dort hängenden Roben wie hinter einen Vorhang, wo ich überprüfte, ob da tatsächlich ein Vorhang war. Dann untersuchte ich die Rückwand auf geheime Türen oder Gänge, jedoch ohne Erfolg. Ich stand sozusagen mit dem Rücken zur Wand.
Draußen hörte ich Metall an Stein oder gegen Metall schlagen.
Jemand machte etwas mit der Rüstung.
Manchmal ist Neugier stärker als Vorsicht. Ich teilte den Kleidervorhang und öffnete die Schranktür gerade so weit, daß das Licht vom Kamin und von der einzigen Lampe im Raum hereinfallen konnte.
Natürlich dachte ich als erstes an eine Illusion, als ich durch den Türspalt spähte und Bayards Brustharnisch über dem Bett in der Luft schweben sah. Er hing einfach so in der dunklen Luft. Ein Spiegeltrick, ganz klar. Ich meine, ist das nicht der erste Gedanke, wenn in ein ansonsten ganz normales Leben plötzlich Magie einbricht? Ich machte das, was fast jeder von uns tun würde: Ich sah mich nach Falltüren und Tricks um.
Von denen im Moment nichts zu sehen war. Nur Brithelm, der reglos in der Mitte des Zimmers stand. Er sah ruhig, regelrecht verspielt zu, wie die Rüstung erst rot, dann gelb, dann weiß erglühte. Langsam setzte sie sich selbst zusammen. Die Beinschienen standen auf und marschierten vom Kamin zu seinem Lager, als wären sie an den Körper eines alten Gespenstes gebunden. Als dann eine unirdische Musik aus den Wänden drang, gesellten sich die Beinschienen zu der sich zusammensetzenden Rüstung.
Und all das hatte etwas mit meinem mittleren Bruder zu tun, der gelassen dastand, die linke Hand in die Luft hielt und zu der Musik aus den Wänden sang. Die jetzt vollständige Rüstung stand zitternd in der Luft. Dann wurde die Musik leiser, und Brithelm setzte sich leise lachend auf seine Matratze.
Ich sank staunend zurück in den Schrank. Saß unablässig staunend noch ein paar Minuten lang so da. Draußen vor meiner Tür ertönte leises Metallgeklirr, dann ein Geräusch, als Brithelm quer durch den Raum ging, dann Stille. Vor dem Fenster erklang das Lied einer Nachtigall, grad wie in der Nacht, wo der Eindringling in Alfriks Zimmer gekrochen war und der ganze Schlamassel seinen Lauf nahm. Das letzte Lied vor dem Aufbruch.
Durch das Vogelgezwitscher drang das Wiehern eines Pferdes. Bayard hatte die Stallburschen aufgescheucht und bereitete alles für unsere Abreise vor.
Aber ich hatte die Abreise angesichts dieser Enthüllung beinahe vergessen – dieses Tricks, den mein mittlerer Bruder mit der Rüstung anstellen konnte. Wahrscheinlich war das nicht der einzige Trick, den er auf Lager hatte. Anscheinend hatte ich jahrelang den falschen Bruder hofiert. Wenn Brithelm auf diese Art eine Rüstung zusammensetzen konnte, was hätte er da mit Würfeln anstellen können!
Was mich an etwas erinnerte. Die Handschuhe, die Calantina-Würfel, die Hundepfeife und der Beutel lagen offen da, sichtbar selbst für die Augen des geistesabwesendsten Bruders der Welt.
Ich betrat das Zimmer. Die fertige Rüstung hatte sich in der Ecke an der Tür zum Gang niedergelassen, als wäre sie dort von einem Geist abgelegt worden, der sie nicht mehr tragen wollte und sorgfältig beiseite gepackt hatte.
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