Der nächste Gitterstab fiel herunter, und die restlichen folgten erstaunlich schnell, und gleich darauf sprang ihnen eine schwere Gestalt nach. Ungläubig sperrte Rod die Augen auf. Er verstand jetzt, weshalb Tom und die Loguires hatten einschlafen müssen.
Er schluckte, kämpfte um seine Fassung, dann lächelte er. „Gut gemacht, Brom O'Berin.“
„Stets zu Diensten, Rod Gallowglass.“ Der kleine Mann verbeugte sich und lächelte boshaft. „Ich schulde dir Prügel für deine Impertinenz gegenüber der Königin — vielleicht aber auch großen Dank. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig.“ Er kniete sich neben Rod und drückte seinen Unterarm auf den Boden.
„Rühr dich nicht, sonst bist du um ein Stück Knochen ärmer!“
Er drückte den Meißel auf das erste Kettenglied am Eisenband und durchtrennte es mit einem einzigen Hammerhieb. Sofort machte er sich am anderen Arm zu schaffen.
„Du wirst zwar noch Armbänder tragen, aber keine Ketten mehr. Die Bänder müssen warten, bis wir zur Burgschmiede kommen.“
„Hm, das ist verdammt harte Bronze.“ Rod deutete auf den Meißel, der durch das Eisen glitt.
„Sehr hart“, stimmte Brom ihm zu und beschäftigte sich mit den Fußketten. „Nach einem alten Rezept meiner Familie.“
„Deiner Familie?“
Brom blickte auf. „Auch im vergessenen Griechenland gab es Elfen, wußtest du das nicht, Rod Gallowglass?“
Als er alle von den Ketten befreit hatte, bat Brom Rod, ihm zu helfen. Er sprang durch das Fenster und warf einen Strick herein. Rod band es unter Toms Achselhöhlen und stemmte den glücklich schnarchenden Riesen hoch, während Brom zog.
„Warum weckst du ihn nicht einfach auf, daß er selbst hinausklettert?“ fragte Rod schwitzend.
„Ich möchte nicht, daß mein Stand unter den Sterblichen bekannt wird“, brummte Rod.
„Und warum hast du mich nicht schlafen geschickt?“
„Einer von euch mußte mir schließlich mit den anderen helfen“, knurrte Brom, aber Rod hatte das Gefühl, daß das nicht die ganze Wahrheit war. Er stellte jedoch keine weiteren Fragen mehr, bis seine Zellengeno ssen aus dem Fenster waren und schließlich Brom ihn hochzog. Rod duckte sich und streckte Brom den Hintern zu.
„Was soll das?“ brummte Brom.
„Sagtest du nicht, du schuldest mir Prügel?“
Der Zwerg lachte und schlug ihm auf die Schulter. „Nein, Junge, du hast nur getan, was ich selbst vor Jahren hätte tun sollen, aber nie übers Herz brachte. Doch komm jetzt, wir müssen uns beeilen.“
Nicht viel später saßen sie um das Feuer in der königlichen Ratskammer. Catherine hatte sich wortreich bei Loguire entschuldigt und Tuan völlig ignoriert. Tuan hatte links vom Kamin Platz genommen, und Catherine so weit von ihm entfernt im Zimmer, wie es nur möglich war, mit einem schweren Eichentisch und Brom O'Berin zwischen sich und ihm.
„… ich bin nicht länger Herzog, und die Rebellen sind bereits auf dem Marsch“, beendete Loguire seinen Bericht.
„Ihr werdet wieder Herzog sein“, sagte Catherine kalt, „sobald wir die Verräter geschlagen haben.“
Loguire lächelte traurig. „Sie sind nicht so leicht zu schlagen, Catherine.“
„Eure Majestät!“ fauchte sie.
„,Catherine! „donnerte Rod. Sie funkelte ihn wütend an, und er funkelte zurück.
„Was bin ich, Brom?“
„,Eure Majestät'„, erwiderte Brom mit der Spur eines Lächelns. „Doch für Euren Onkel und seinen Sohn, Euren
Vetter, seid Ihr Catherine.“
Jetzt galt ihm der funkelnde Blick. „Stellst du dich auch gegen mich, Brom O'Berin?“
„Genausowenig wie dieser Falke hier…“ Er deutete auf Rod.
„Wenn Ihr das nur einsehen würdet.“
Catherine musterte Rod von oben bis unten. „Ein Falke, ja.
Und was ist mit diesem Laffen?“
Tuans Kopf schoß hoch, als hätte er eine Ohrfeige bekommen.
Zutiefst gekränkt starrte er Catherine an. Doch dann preßte er die Lippen zusammen, und eine Falte zeichnete sich zwischen den Brauen ab. Eines Tages, dachte Rod, wird sie bei ihm ein kleines bißchen zu weit gehen, und das könnte vielleicht der glücklichste Tag ihres Lebens sein — wenn sie ihn übersteht!
„Ich bin für Euch!“ hauchte Tuan. „Selbst jetzt noch, Catherine, meine Königin.“
Sie lächelte selbstzufrieden und abfällig. „Das hatte ich gewußt.“
„Verdammtes Miststück!“ murmelte Rod.
„Was habt Ihr da vor Euch hinzubrummen, Meister Gallowglass?“
„Nur etwas, dessen ich mich nicht enthalten konnte, kleine Königin. Aber was die Rebellen betrifft, was beabsichtigt Ihr, gegen sie zu unternehmen?“
„Wir marschieren ihnen entgegen und stellen sie auf dem Bredenfeld.“
„Nein!“ Loguire sprang auf. „Ihre Stärke ist zehnmal die unsere!“
„Wir werden nicht hierbleiben und uns wie eine Ratte im Loch verkriechen!“ Diesmal galt das Funkeln ihrer Augen ihrem Onkel.
„Dann werdet Ihr geschlagen werden!“ erklärte ihr Rod.
Sie schaute auf ihn herab (was nicht einfach war, wenn man bedachte, daß sie saß und er stand). „Daran ist nichts Unehrenhaftes, Meister Gallowglass!“
Rod schlug sich auf die Stirn und rollte die Augen himmelwärts.
„Was sollte ich sonst tun? Mich vielleicht auf eine Belagerung vorbereiten?“ fragte sie höhnisch.
„Genau das“, erwiderte Rod.
„Wenn Ihr marschiert, habt Ihr auch noch das Haus Clovis zu befürchten, das Euch in den Rücken fallen wird“, sagte Tuan mit tonloser Stimme.
Verächtlich verzog sie die Lippen. „Bettler!“
„Bettler und Mordbuben!“ erinnerte sie Rod. „Mit sehr scharfen Messern!“
„Soll die Königin sich vor einem solchen Lumpenpack fürchten? Nein! Sie sind Staub unter meinen Füßen!“
„Was im Staub unter Euren Füßen kriecht, ist eine Schlange“, brummte Brom, „und ihre Zähne sind spitz und verspritzen Gift!“
Catherine schaute unsicher zu Boden, dann hob sie das Kinn und starrte Tuan böse an. „Dann hast du sie also zu einer Armee gegen mich gedrillt und zu einem heimtückischen Dolch für meinen Rücken gemacht, König der Vagabunden!“
Sie wandte sich an den Herzog. „Ich werde gegen die Rebellen ziehen! Marschiert Ihr an meiner Seite, mein Lord Loguire?“
„Ihr seid eine Törin, Catherine, und werdet den Tod finden, aber ich werde mit Euch sterben.“
Einen Herzschlag lang glitzerten ihre Augen feucht. Hastig drehte sie sich zu Brom um. „Und du, Brom O'Berin?“
„Ich war der Wachhund Eures Vaters, jetzt bin ich Eurer.“
Sie lächelte ihn an. Dann verfinsterte sich ihr Gesicht. „Und du, Tuan Loguire?“
Der junge Mann schaute sie nachdenklich an. „Es ist erstaunlich, wie ich mich immer wieder zum Toren mache.
Doch wenn ich seit meiner Kindheit dein Narr war, Catherine, werde ich wohl auch noch die Torheit auf mich nehmen, an deiner Seite zu sterben.“
Ihr Gesicht war aschfahl. „Torheit…“, wisperte sie.
Rod schlug Tuan freundschaftlich auf die Schulter. „He, König der Vagabunden! Wir überleben diesen Irrsinn vielleicht doch!
Wenn der Spötter und seine Helfershelfer nicht mehr wären, könntet Ihr dann die Bettler dazu bringen, für die Königin zu kämpfen?“
Tuans Augen verrieten neue Hoffnung. „Ganz gewiß!“
Es war nicht leicht gewesen, Tom zu überreden, daß er mitmachte. Rod hatte es auch verkehrt angepackt, da er angenommen hatte, Toms Loyalität gegenüber der proletarischen Idee hätte ihr Ende gefunden, als er ins Verlies geworfen worden war. „Was hältst du von einer Chance, es deinen Freunden heimzuzahlen?“ hatte er gefragt.
„Es ihnen heimzahlen?“
„Haben sie dir nicht übel mitgespielt und sind jetzt erst recht auf dein Blut aus?“
Tom grinste. „Ganz sicher nicht, Meister. Sie hätten mich befreit, sobald die Schwierigkeiten behoben waren.“
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