„Gewiß, Mylord.“ Der Spötter huschte voraus und öffnete die innere Tür. Rod trat hindurch — und mitten in einen Halbkreis von Bettlern und Dieben, die ihn in einer Dreierreihe mit Knüppeln und Dolchen erwarteten.
Rods Hände härteten sich zu Karateschwertern. Er wandte sich an den Spötter. „Ich komme als Freund.“
„O wirklich?“ Haß leuchtete aus den Augen des Buckligen.
„Auf welcher Seite steht Ihr denn? Auf der der Edlen? Der Königin? Oder seid Ihr für das Haus Clovis?“
„Genug deines Gequassels! Bring mich sofort zu Lord Loguire!“
„Das werden wir!“ Jetzt funkelten des Spötters Augen vor Hohn. Er warf einen Blick über Rods Schulter und nickte. Rod wollte sich umdrehen, aber da schien sein Schädel bereits zu explodieren.
Als er allmählich wieder zu sich kam, spürte er etwas Kaltes, Feuchtes unter seiner Wange. Alles um ihn wirkte verschwommen. Er schüttelte den Kopf, und fast hätte er vor Schmerzen aufgeschrien. Er blinzelte mehrmals, bis er endlich klarer sehen konnte. Ihm gegenüber lehnte Tuan Loguire mit dem Rücken gegen altersschwarzen Stein, aus dem von Eisenklammern Ketten herabhingen, die zu metallenen Armbändern um Tuans Handgelenke führten. Er hob eine Hand
und sagte sarkastisch: „Willkommen!“
Stumm wanderte Rods Blick weiter. Der alte Herzog war an die nächste Wand gekettet. „Ich dachte, Euer Knappe sollte mich in Sicherheit bringen“, sagte er düster.
Verrat! Rod hätte es besser wissen müssen, als Tom zu vertrauen. „Tom…“
„Hier, Herr!“ Rod drehte sich um. Tom lehnte an der dem Herzog gegenüberliegenden Wand. Er lächelte mit den traurigen Augen eines Hundes. „Ich hatte gehofft, Ihr würdet uns befreien. Und jetzt seid Ihr selbst in Ketten!“
Rod runzelte die Stirn. Erst jetzt bemerkte er, daß er genauso angekettet war wie die anderen. Schweigend blickte er sich weiter um. Das einzige Licht fiel von einem hohen vergitterten Fenster in das Verlies, das etwa dreieinhalb Meter breit, fünf lang und drei hoch war. Moos wucherte aus den klammen, verrottenden Steinen, auch auf dem Boden, wo er nicht mit fauligem Stroh bedeckt war. Die einzige Verschönerung des Raumes war ein Skelett, das durch mumifizierte Sehnen zusammengehalten, genau wie sie an die Wand gekettet war.
Rod drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. „Gekab, wo bist du?“ flüsterte er so leise, daß die anderen die Worte nicht verstehen konnten. „In dem schmutzigsten, baufälligsten Stall, den ich je gesehen habe“, erwiderte der Roboter. „Zusammen mit fünf klapprigen Gäulen. Ich glaube, wir sollen als die Kavallerie des Hauses Clovis dienen.“
Rod kicherte leise. „Ist eine Maus mit großen grünen Augen in deiner Nähe?“
„Nein, Rod. Aber auf meinem Kopf sitzt ein Zaunkönig.“
„Frag ihn, ich meine, sie, ob sie Macht über kaltes Eisen hat.“
„Wie soll ich denn mit ihr sprechen, Rod?“
„Du brauchst nur auf der Frequenz menschlicher Gedanken wellen zu senden. Sie ist Telepathin.“ Nach einer Weile hörte Rod eine Reihe schwacher Zwitscherläute. „Was ist dieses Zwitschern, Gekab?“
„Gwendylon, Rod. Sie reagierte, wie ich es erwartet hatte, als ein Pferd sie etwas fragte.“
„Aha, sie ist also fast von deinem Kopf hinuntergefallen. Aber hat sie etwas gesagt?“
„Natürlich, Rod. Sie sagte, sie sei jetzt ganz sicher, daß Sie ein Zauberer sind.“ Rod rollte die Augen zur Decke. „Komm zur Sache, Gekab. Kann sie uns von diesen Ketten befreien und etwas gegen das Fenstergitter unternehmen?“
Nach kurzer Pause antwortete der Roboter: „Sie sagt, sie hat keine Macht über kaltes Eisen, Rod, genausowenig wie irgendeine andere Hexe oder Elfen, die sie kennt. Sie schlägt einen Schmied vor, befürchtet jedoch, daß er nicht zu Ihnen vorgelassen würde.“
„Sag ihr, ich freue mich, daß sie ihren Humor nicht verloren hat. Und frag sie, wie, zum Teufel, sie uns hier herausholen will.“
„Sie meint, daß der Elfenkönig in der Lage ist, Sie zu befreien.
Sie glaubt auch, daß er kommen wird, aber es wird noch eine Weile dauern, weil er einen weiten Weg hat.“
„Ich dachte, sie sagte, Elfen hätten keine Macht über Eisen?“
Nach einer weiteren kurzen Pause erklärte Gekab: „Sie sagt, der Elfenkönig ist nicht ganz ein Elf, sondern halb vom Alten Blut.“
„Nur halb… Du willst doch nicht sagen, daß ein Elternteil ein Mensch war?“
„Gewiß, Rod!“
Rod versuchte sich vorzustellen, wie ein fünfundvierzig Zentimeter großer Elf und ein normal großer Mensch miteinander Kinder haben konnten, aber Gekab unterbrach seinen Gedankengang.
„Sie macht sich jetzt auf den Weg, um ihn zu holen, Rod. Sie sagt, Sie sollen guten Mutes sein.“
„Wenn ich noch besseren Mutes wäre, wäre es nicht mehr auszuhalten. Sag ihr, sie soll gut auf sich aufpassen.“
„Er spricht in die leere Luft“, murmelte Tuan.
Tom lachte polternd. „Durchaus nicht, meine Lords. Dieser Mann redet mit Geistern.“
Rod lächelte düster. „Wieso plötzlich so fröhlich, Tom?“
Der Riese räkelte sich, daß die Ketten klirrten. „Einen Augenblick hielt ich Euch für geschlagen, Meister, aber jetzt weiß ich, daß alles wieder gut wird!“ Er streckte sich aus.
Rod grinste, als Tom zu schnarchen begann. „Das nennt man Vertrauen“, wandte er sich an die beiden Loguires.
„Hoffen wir, daß es gerechtfertigt ist“, brummte Tuan und betrachtete Rod zweifelnd.
„Hoffen wir es“, echote Rod grimmig. Er nickte dem Herzog zu. „Nun, habt Ihr Euch mit Eurem Sohn schon ausgesprochen?“
Der alte Loguire nickte. „Ich bin glücklich, ihn wiederzusehen, obgleich es mir unter anderen Umständen lieber gewesen wäre.“
Tuan starrte stirnrunzelnd auf seine Hände. „Es sind traurige Neuigkeiten, die ich von ihm erfuhr, Rod Gallowglass. Ich wußte, daß mein Bruder voll Haß und Ehrgeiz ist, aber nie hätte ich gedacht, er würde so tief sinken.“
„Oh, urteilt nicht so hart.“ Rod lehnte sich ebenfalls an die Wand und schloß müde die Lider. „Durer hat ihn völlig unter seinem Einfluß. Und wenn sein Zauber fast auch auf seinen Vater gewirkt hätte, wie konnte er da bei ihm versagen?“
„Ja“, stimmte Tuan ihm finster bei. „Und ich bin auf den Spötter hereingefallen.“
„Oh?“ Rod hob eine Braue. „Es wurde Euch also bewußt!“
„Ja. Er ist der schlimmste aller Halunken. Während er sich demütigst vor einem krümmt, schlitzen seine Helfershelfer einem den Beutel auf. Fragt nicht, wie er mich hintergangen hat!“
„War nicht er es, der Euch nahelegte, die Bettler zu organisieren?“
„Ja.“ Tuan nickte schwer. „Ich hatte ursprünglich beabsichtigt, ihr schweres Los zu erleichtern, aber er brachte mich auf die Idee, eine Armee zur Verteidigung der Königin aufzustellen.
Ich hatte so manches aus dem Süden gehört, das mir die Überzeugung verlieh, eine solche Armee würde vielleicht vonnöten sein.“
„Als der Spötter erfuhr, daß der Süden zu den Waffen griff, hielt er die Zeit für gekommen, die Macht an sich zu reißen und die Königin zu stürzen. Richtig?“ fragte Rod.
„Ja. Ich sprach dagegen, sagte, jetzt sei die Zeit, der Königin zu Hilfe zu kommen, da schimpfte er mich einen Verräter, und…“
Tuans Gesicht verdüsterte sich, und die Worte fielen ihm schwer. „Und einer seiner Bettler hätte mich getötet, aber der Spötter verwehrte es ihm und ließ mich hier hereinwerfen.“ Er blickte Rod stirnrunzelnd an. „Findet Ihr das nicht auch für sehr merkwürdig, Rod Gallowglass? Ich meine, daß er mich nicht töten ließ.“
„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Er braucht einen nominellen König, wenn Catherine gestürzt ist.“
„Keinen König. Er schreit herum, daß wir nie wieder einen König haben werden, nur eine Art Häuptling.“
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