»Oh, ich dachte, das bleibt unter uns«, sagte Snape mit eisiger Stimme. »Die Schüler sollen schließlich nichts vom Stein der Weisen erfahren.«
Harry lehnte sich weiter vor. Quirrell murmelte etwas. Snape unterbrach ihn.
»Haben Sie schon herausgefunden, wie Sie an diesem Untier von Hagrid vorbeikommen?«
»A-a-ber, Severus, ich -«
»Sie wollen mich doch nicht zum Feind haben, Quirrell«, sagte Snape und trat einen Schritt auf ihn zu.
»I-ich weiß nicht, w-was Sie -«
»Sie wissen genau, was ich meine.«
Beim lauten Schrei einer Eule fiel Harry fast aus dem Baum. Er brachte sich noch rechtzeitig ins Gleichgewicht, um zu hören, wie Snape sagte:»… Ihr kleines bißchen Hokuspokus. Ich warte.«
»A-aber i-ich -«
»Sehr schön«, unterbrach ihn Snape. »Wir sprechen uns bald wieder, wenn Sie Zeit hatten, sich die Dinge zu überlegen, und sich im Klaren sind, wem Sie verpflichtet sind.«
Er warf sich die Kapuze über den Kopf und entfernte sich von der Lichtung. Es war jetzt fast dunkel, doch Harry konnte Quirrell sehen, der so unbeweglich dastand, als sei er versteinert.
»Harry, wo hast du gesteckt?«, keifte Hermine.
»Wir haben gewonnen! Du hast gewonnen! Wir haben gewonnen!«, rief Ron und klatschte Harry auf den Rücken. »Und ich hab Malfoy ein blaues Auge verpaßt und Neville hat versucht, es allein mit Crabbe und Goyle aufzunehmen. Er ist immer noch bewußtlos, aber Madam Pomfrey sagt, es wird schon wieder – redet die ganze Zeit davon, es Slytherin zu zeigen! Im Gemeinschaftsraum warten alle auf dich – wir machen ein Fest, Fred und George haben ein bißchen Kuchen und was zu trinken aus der Küche organisiert.«
»Das ist jetzt nicht so wichtig«, sagte Harry außer Atem. »Suchen wir uns erst mal ein Zimmer, wo wir allein sind, und dann wartet ab, was ich euch erzähle… «
Er sah erst nach, ob Peeves drin war, bevor er die Tür hinter ihnen schloß, und dann erzählte er ihnen, was er gesehen und gehört hatte.
»Also hatten wir Recht, es ist der Stein der Weisen, und Snape versucht Quirrell zu zwingen, ihm zu helfen. Er hat ihn gefragt, ob er wüßte, wie er an Fluffy vorbeikommen kann – und er hat etwas über Quirrells ›Hokuspokus‹ gesagt – ich wette, es gibt noch mehr außer Fluffy, was den Stein bewacht, eine Menge Zaubersprüche wahrscheinlich, und Quirrell wird einige Gegenflüche zum Schutz gegen die schwarze Magie ausgesprochen haben, die Snape durchbrechen muß.«
»Du meinst also, der Stein ist nur sicher, solange Snape Quirrell nicht das Rückgrat bricht?«, fragte Hermine bestürzt.
»Nächsten Dienstag ist er weg«, meinte Ron.
Norbert, der Norwegische Stachelbuckel
Quirrell mußte freilich mutiger sein, als sie dachten. In den folgenden Wochen schien er zwar blasser und dünner zu werden, doch es sah nicht danach aus, als ob ihm Snape schon das Rückgrat gebrochen hätte.
jedes Mal, wenn sie an dem Korridor im dritten Stock vorbeigingen, drückten Harry, Ron und Hermine die Ohren an die Tür, um zu hören, ob Fluffy dahinter noch knurrte. Snape huschte in seiner üblichen schlechten Laune umher, was sicher bedeutete, daß der Stein noch dort lag, wo er hingehörte. Immer wenn Harry in diesen Tagen an Quirrell vorbeikam, schenkte er ihm ein Lächeln, das ihn aufmuntern sollte, und Ron hatte angefangen die andern dafür zu tadeln, wenn sie bei Quirrells Stottern lachten.
Hermine jedoch hatte mehr im Kopf als den Stein der Weisen. Sie hatte begonnen einen Zeitplan für die Wiederholung des Unterrichtsstoffes aufzustellen und ihre gesamten Notizen mit verschiedenen Farben angestrichen. Harry und Ron hätten sich nicht darum gekümmert, doch sie lag ihnen ständig damit in den Ohren.
»Hermine, es ist noch eine Ewigkeit bis zu den Prüfungen.«
»Zehn Wochen«, meinte sie barsch. »Das ist keine Ewigkeit, das ist für Nicolas Flamel nur eine Sekunde.«
»Aber wir sind nicht sechshundert Jahre alt«, erinnerte sie Ron. »Und außerdem, wozu wiederholst du den Stoff eigentlich, du weißt doch ohnehin alles.«
»Wozu ich wiederhole? Seid ihr verrückt? Euch ist doch klar, daß wir diese Prüfungen schaffen müssen, um ins zweite Schuljahr zu kommen? Sie sind sehr wichtig, ich hätte schon vor einem Monat anfangen sollen zu büffeln, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist… «
Unglücklicherweise schienen die Lehrer ganz genauso zu denken wie Hermine. Sie halsten ihnen eine Unmenge von Hausaufgaben auf, so daß sie in den Osterferien nicht annähernd so viel Spaß hatten wie noch in den Weihnachtsferien. Wenn Hermine neben ihnen die zwölf Anwendungen von Drachenblut aufzählte oder Bewegungen mit dem Zauberstab übte, konnten sie sich kaum entspannen. Harry und Ron verbrachten den größten Teil ihrer freien Zeit stöhnend und gähnend mit Hermine in der Bibliothek und versuchten mit ihren vielen zusätzlichen Hausaufgaben fertig zu werden.
»Das kann ich mir nie merken«, platzte Ron eines Nachmittags los, warf seine Feder auf den Tisch und ließ den Blick sehnsüchtig aus dem Fenster der Bibliothek schweifen. Seit Monaten war dies der erste wirklich schöne Tag. Der Himmel war klar und vergißmeinnichtblau und in der Luft lag ein Hauch des kommenden Sommers.
Harry, der in Tausend Zauberkräutern und -pilzen nach »Diptam« suchte, sah erst auf, als er Ron sagen hörte:»Hagrid, was machst du denn in der Bibliothek?«
Hagrid, der in seinem Biberfellmantel hier recht fehl am Platze wirkte, schlurfte zu ihnen herüber. Hinter dem Rücken hielt er etwas versteckt.
»Nur mal schauen«, sagte er mit unsicherer Stimme, die sogleich ihre Neugier erregte. »Und wonach schaut ihr denn?« Plötzlich sah er sie mißtrauisch an. »Nicht etwa immer noch nach Nicolas Flamel?«
»Ach was, das haben wir schon ewig lange rausgefunden«, sagte Ron wichtigtuerisch,»und wir wissen auch, was dieser Hund bewacht, es ist der Stein der W-«
»Schhhh!«, Hagrid sah rasch nach links und rechts, ob jemand lauschte. »Schreit das doch nicht so herum, was ist denn los mit euch?«
»Wir wollten dich tatsächlich ein paar Dinge fragen«, sagte Harry,»nämlich was außer Fluffy noch dazu da ist, diesen Stein zu bewachen -«
»SCHHHH!«, zischte Hagrid wieder. »Hört mal, kommt später rüber zu mir, ich versprech euch zwar nicht, daß ich irgendwas erzähle, aber quasselt bloß nicht hier drin rum, die Schüler sollen's nämlich nicht wissen. Nachher heißt's noch, ich hätt's euch gesagt -«
»Bis später dann«, sagte Harry.
Hagrid schlurfte davon.
»Was hat er hinter dem Rücken versteckt?«, sagte Hermine nachdenklich.
»Glaubt ihr, es hat was mit dem Stein zu tun?«
»Ich seh mal nach, in welcher Abteilung er war«, sagte Ron, der vom Arbeiten genug hatte. Eine Minute später kam er mit einem Stapel Bücher in den Armen zurück und ließ sie auf den Tisch knallen.
»Drachen!«, flüsterte er. »Hagrid hat nach Büchern über Drachen gesucht! Seht mal: Drachenarten Großbritanniens und Irlands; Vom Ei zum Inferno: Ein Handbuch für Drachenhalter.«
»Hagrid wollte immer einen Drachen haben, das hat er mir schon gesagt, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind«, sagte Harry.
»Aber das ist gegen unsere Gesetze«, sagte Ron. »Der Zaubererkonvent von 1709 hat die Drachenzucht verboten, das weiß doch jedes Kind. Die Muggel merken es doch gleich, wenn wir Drachen im Garten hinter dem Haus halten – außerdem kann man Drachen nicht zähmen, es ist zu gefährlich. Du solltest mal sehen, wie sich Charlie bei den wilden Drachen in Rumänien verbrannt hat.«
»Aber es gibt doch keine wilden Drachen in Großbritannien?«, fragte Harry.
»Natürlich gibt es welche«, sagte Ron. »Den Gemeinen Walisischen Gründrachen und den Hebridischen Schwarzdrachen. Das Zaubereiministerium hat alle Hände voll zu tun, das zu vertuschen, kann ich euch sagen. Unsere Leute müssen die Muggel, die welche gesehen haben, ständig mit Zaubersprüchen verhexen, damit sie es wieder vergessen.«
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