Vielleicht wollten sie ihn hier nur verfaulen lassen, doch fürchtete er, daß ihm die Kraft fehlte, lange Zeit zu faulen. Mit jedem Tag wurde er schwächer, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Mords Tritte und Hiebe ihn ernstlich verletzten, vorausgesetzt, daß der Kerkermeister ihn nicht vorher schon verhungern ließ. Noch ein paar Nächte Kälte und Hunger, und das Blau riefe auch nach ihm.
Er fragte sich, was jenseits der Mauern seiner Zelle geschah. Lord Tywin hatte sicher Reiter ausgesandt, als ihn die Nachricht erreicht hatte. Vielleicht führte Jaime schon jetzt ein
Heer durch die Berge des Mondes… falls er nicht statt dessen gegen Winterfell ritt. Wußte eigentlich irgendwer außerhalb des Tales, wohin Catelyn Stark ihn gebracht hatte? Er überlegte, was Cersei tun würde, wenn sie es hörte. Der König konnte befehlen, ihn freizulassen, doch würde Robert auf seine Frau oder seine Rechte Hand hören? Tyrion machte sich keine Illusionen hinsichtlich der Liebe des Königs zu seiner Schwester.
Falls Cersei ihren Verstand gebrauchte, würde sie darauf bestehen, daß der König selbst über Tyrion zu Gericht säße. Dagegen konnte nicht einmal Ned Stark etwas einzuwenden haben, nicht ohne die Ehre des Königs in Zweifel zu ziehen. Und Tyrion wäre nur allzu glücklich, vor Gericht sein Glück zu versuchen. Welche Morde sie ihm auch immer vorwerfen sollten, hatten die Starks doch, soweit er sehen konnte, keinerlei Beweis für irgendwas. Sollten sie ihren Fall vor den Eisernen Thron und die Lords des Landes bringen. Es würde ihr Ende sein. Wenn nur Cersei klug genug wäre, das zu erkennen…
Tyrion Lannister seufzte. Seine Schwester war sicher nicht ohne eine gewisse Niedertracht, doch war sie von ihrem Stolz geblendet. Sie würde die in der Anklage liegende Beleidigung erkennen, aber nicht die Gelegenheit. Und Jaime war noch schlimmer, unbesonnen und stur und leicht aufzubringen. Sein Bruder löste keinen Knoten, solange er diesen mit seinem Schwert in Stücke schlagen konnte.
Er fragte sich, wer von ihnen den Attentäter geschickt hatte, der den kleinen Stark zum Schweigen bringen sollte, und ob sie sich tatsächlich zum Tod Lord Arryns verschworen hatten. Wenn die alte Hand des Königs ermordet worden war, dann war es geschickt und voller Heimtücke vor sich gegangen. Männer seines Alters erlagen dauernd plötzlichen Erkrankungen. Dagegen irgendeinen Esel mit gestohlenem Messer auf Brandon Stark zu hetzen, erschien ihm unfaßbar plump. Und das war nicht so absonderlich, wenn man es recht bedachte…
Ein Schauer lief Tyrion über den Rücken. Das war nun aber ein bösartiger Verdacht. Der Schattenwolf und der Löwe waren nicht die einzigen wilden Tiere im Wald, und falls es zutraf, benutzte ihn jemand als Werkzeug. Tyrion Lannister haßte es, benutzt zu werden.
Er mußte hier raus, und zwar bald. Seine Chancen, diesen Kerkermeister Mord zu überwältigen, waren bestenfalls gering, und niemand würde ihm ein sechshundert Fuß langes Seil hereinschmuggeln, daher würde er sich im wahrsten Sinne des Wortes herausreden müssen. Sein Mundwerk hatte ihn in diese Zelle gebracht, da konnte es ihn, verdammt noch mal, auch wieder herausholen.
Tyrion kam auf die Beine, gab sein Bestes, den abschüssigen Boden zu ignorieren. Mit der Faust hämmerte er an die Tür.»Mord!«rief er,»Kerkermeister! Mord, ich brauche Euch!«Gut zehn Minuten mußte er rufen, bis er Schritte hörte. Nur einen Augenblick, bevor die Tür mit einem Krachen aufflog, trat Tyrion zurück.
«Macht Lärm«, knurrte Mord mit Blut in den Augen. Von seiner fleischigen Hand baumelte ein Lederband, breit und dick, doppelt um die Faust gewickelt.
Zeig ihnen niemals, daß du dich fürchtest, sagte sich Tyrion.»Wie würde es dir gefallen, reich zu sein?«fragte er.
Mord schlug ihn. Er schwang den Riemen mit der Rückhand, träge nur, doch traf das Leder Tyrion oben am Arm. Die Wucht ließ ihn taumeln, und der Schmerz ließ ihn die Zähne zusammenbeißen.»Kein Mund, Zwergmann«, warnte Mord.
«Gold«, sagte Tyrion mit gespieltem Lächeln.»Casterly Rock ist voller Gold.. ahhhh.. «Diesmal war der Hieb eine Vorhand, und Mord legte mehr von seinem Arm in den Schwung, ließ das Leder knallen und springen. Er traf Tyrion in die Rippen, daß dieser wimmernd auf die Knie fiel. Tyrion zwang sich, zum Kerkermeister aufzusehen.»Reich wie die Lannisters«, keuchte er.»So sagt man, Mord…«
Mord grunzte. Der Riemen pfiff durch die Luft und traf Tyrion mit voller Wucht ins Gesicht. Der Schmerz war so schlimm, daß er sich nicht erinnern konnte, gefallen zu sein, doch als er die Augen wieder aufschlug, lag er am Boden seiner Zelle. In seinem Ohr klingelte es, und sein Mund war voller Blut. Er suchte Halt, um sich hochzuziehen, und seine Finger strichen über… nichts. Tyrion riß seine Hand so schnell zurück, als hätte er sich verbrüht, und gab sich alle Mühe, nicht zu atmen. Er war direkt auf die Kante gefallen, nur einen Daumenbreit vom Blau.
«Noch was?«Mord hielt den Riemen in seiner Faust und riß daran. Das Knallen ließ Tyrion zusammenzucken. Der Kerkermeister lachte.
Er wird mich nicht hinunter stoßen, betete sich Tyrion verzweifelt vor, als er vor dem Rand zurückwich. Catelyn Stark will mich lebend, er wird nicht wagen, mich zu töten. Mit dem Handrücken wischte er sich das Blut von den Lippen und grinste.»Das war nicht übel, Mord. «Der Kerkermeister blinzelte ihn an, versuchte herauszufinden, ob er verspottet wurde.»Ich hätte Verwendung für einen starken Mann wie Euch. «Der Riemen flog ihm entgegen, doch diesmal gelang es Tyrion, ihm auszuweichen. Er bekam einen Streifschlag an die Schulter, mehr nicht.»Gold«, wiederholte er und kroch rückwärts wie ein Krebs,»mehr Gold, als du je im Leben gesehen hast. Genug, um Land zu kaufen, Frauen, Pferde.. Du könntest Lord werden. Lord Mord. «Tyrion hustete Blut und Speichel hervor und spuckte beides in den Himmel.
«Ist kein Gold«, sagte Mord.
Er hört mir zu! dachte Tyrion.»Man hat mir meinen Geldbeutel genommen, als ich gefangen wurde, doch das Gold gehört noch immer mir. Catelyn Stark mag einen Mann gefangennehmen, aber sie wird sich nicht soweit erniedrigen, ihn zu berauben. Hilf mir, und das ganze Gold gehört dir. «Mords Riemen schnalzte vor, doch nur mit einem halbherzigen, flüchtigen Hieb, langsam und verächtlich. Tyrion fing das Leder mit der Hand und hielt es fest.»Es gibt für dich kein Risiko. Du bräuchtest nur eine Nachricht zu übermitteln.«
Der Kerkermeister riß den Lederriemen aus Tyrions Griff.»Nachricht«, sagte er, als hätte er das Wort nie zuvor gehört. Sein fragender Blick zog tiefe Falten über seine Stirn.
«Ihr habt mich gehört, Mylord. Überbringt nur meine Worte Eurer Lady. Sagt ihr…«Was? Was mochte Lady Arryn einlenken lassen? Die Eingebung kam Tyrion Lannister ganz plötzlich.»… sagt ihr, ich möchte meine Verbrechen gestehen.«
Mord hob seinen Arm, und Tyrion machte sich für den nächsten Hieb bereit, doch zögerte der Kerkermeister. Mißtrauen und Gier rangen in seinem Blick miteinander. Er wollte dieses Gold, nur fürchtete er eine List. Er sah aus wie jemand, der oft überlistet worden war.»Ist Lüge«, murmelte er finster.»Zwergmann betrügt mich.«
«Ich werde mein Versprechen schriftlich festhalten«, schwor Tyrion.
Manche Analphabeten verachteten alles Schriftliche. Andere schienen eine abergläubische Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort zu haben, als wäre es eine Art Zauber. Glücklicherweise gehörte Mord zu letzteren. Der Kerkermeister ließ den Riemen sinken.»Schreib auf Gold. Viel Gold.«
«Oh, viel Gold«, versicherte ihm Tyrion.»Die Börse ist nur ein Vorgeschmack, mein Freund. Mein Bruder trägt eine Rüstung aus reinem Gold. «In Wahrheit war Jaimes Rüstung aus vergoldetem Stahl, das hingegen würde dieser Esel nie merken.
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