Zurück im Jahr 1820 wurden sie von einem wolkenverhangenen Himmel und trostlosem Regen begrüßt. Mr Drake schien aufrichtig entsetzt und flatterte kreischend unter Deck. Unablässig prasselte der Regen den ganzen Nachmittag über auf sie nieder, bis endlich die unverkennbare dreieckige Silhouette von Mont Saint-Michel in Sicht kam.
Rose sah die beiden Schiffe, die über das vom Regen aufgewühlte Meer auf die Insel zuhielten, als Erste. Sofort rannte sie durch das ganze Schloss, klopfte an alle Türen und berichtete jedem die freudige Nachricht. Einzig und allein Océane Noire, die an einer »höllischen Migräne« laborierte, zeigte kein sonderliches Interesse daran, die Rückkehrer zu begrüßen.
Einer nach dem anderen fanden sich alle mit Regenschirmen bewaffnet auf dem Pier ein: Galliana Goethe, Jupitus Cole, der Kostümschneider Signore Gondolfino sowie Truman und Betty Wylder, Nathans Eltern und Topaz’ Vormunde. Sie waren noch vor Topaz’ Abreise über den geheimen Auftrag informiert worden, mit dem ihre Adoptivtochter betraut worden war, und wussten, dass sie nicht an Bord der Schiffe sein würde. Also hielten sie sich ein wenig im Hintergrund, während Betty sich mit einem Seidentuch ein paar Tränen von den Wangen tupfte.
Die Schiffe legten an, und als die Rückkehrer auf der Laufplanke erschienen, wurden sie von spontanem Applaus begrüßt. Jubelrufe erschallten für Alan und Miriam, und sogar noch lautere für Jake, der als Letzter an Land ging.
»Willkommen zu Hause, liebe Familie Djones!«, rief Signore Gondolfino, so laut er konnte.
»Hoch! Hoch!«, schrien die anderen im Chor.
Miriam übergab Galliana vorsichtig die Kiste mit den Pestfläschchen, und Nathan wartete, bis sich der allgemeine Aufruhr etwas gelegt hatte, um eine »spontane« Rede zu halten.
»Siegreich kehren wir zurück. Alle Agenten haben die ihnen zugedachte Rolle aufs Vortrefflichste erfüllt. Die Katastrophe, die sich in Italien anbahnte, wurde abgewendet«, sagte er und verkündete mit ausgebreiteten Armen: »Die Renaissance kann stattfinden!« Er schüttelte sich das braune Haar aus dem Gesicht und schloss für einen Moment die Augen. Dann fuhr er in feierlichem Tonfall fort: »Doch lasst uns in diesem Moment der Freude auch an Topaz St. Honoré denken, die sich mutig auf einen neuen Einsatz begeben hat.«
»Ein Hoch auf Topaz St. Honoré«, sagten alle, wenn auch etwas betreten, im Chor.
Da trat Jupitus Cole, der die ganze Zeit über sehr ruhig gewesen war, mit einem Räuspern vor und sagte: »In einer Stunde werden im Prunksaal Champagner und andere Erfrischungen serviert. Ich möchte alle Anwesenden um pünktliches Erscheinen bitten, da ich etwas Wichtiges mitzuteilen habe.«
Nachdem alle Reden vorbei waren, lief Rose zu Alan und Miriam und erwürgte sie fast, so fest umarmte sie die beiden. »Das war das letzte Mal, dass du auf einen Einsatz gegangen bist, ohne es mir zu sagen«, schimpfte sie mit Alan. »Du bist immer noch mein kleiner Bruder, vergiss das nicht.«
Galliana legte dem nach wie vor mit seinen Gedanken beschäftigten Jake einen Arm um die Schulter. »Du hast dich bestens geschlagen, wie ich gehört habe. Charlie schrieb, du wärst durch und durch ein Geschichtshüter geworden. Wir sind alle sehr stolz auf dich.«
Jake lächelte, aber Galliana spürte, wie sehr die Ereignisse der letzten Tage noch in ihm rumorten. »Ich weiß, wie du dich fühlen musst«, flüsterte sie ihm tröstend zu. »Zeitreisen sind etwas Magisches, aber sie haben auch etwas zutiefst Verstörendes.«
Als Jake mit seinen Eltern den Prunksaal betrat, war dieser mit hellen Kerzenleuchtern und frischen Blumen geschmückt. Durch die großen Fenster sah er, wie sich die Abenddämmerung über die stürmische See senkte.
Jupitus Cole goss Champagner in die bereitstehenden Kelche. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle anwesend waren, schlug er mit einem Löffel dreimal gegen sein Glas, um für Ruhe zu sorgen.
»Ich bin kein Mann vieler Worte, also werde ich mich kurzfassen. Es gibt frohe Neuigkeiten«, sagte er ohne auch nur den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht. »Océane Noire und ich haben uns verlobt und werden bald heiraten.«
Es entstand eine kurze, verwunderte Stille. Océane schob ihre Frisur zurecht, schritt quer durch den Saal und nahm ihren Platz neben Jupitus ein. Endlich durchbrach zurückhaltender Applaus das unbehagliche Schweigen.
Rose war die Einzige, die nicht klatschte. Sie war so überrascht, dass sie es nicht einmal schaffte, den Mund zu schließen. »Wie bitte …?«, murmelte sie nur und tat so, als müsste sie etwas in ihrer Reisetasche suchen.
Da warf Jupitus ihr einen schnellen Blick zu. Nur Rose selbst und Galliana wussten von seinen Gefühlen, aber keine von beiden schaute in diesem Moment in seine Richtung, und niemand auf Mont Saint-Michel bemerkte den zutiefst verzweifelten Ausdruck auf seinem Gesicht.
Jake bekam die Nachricht von Jupitus’ Verlobung mit Océane gar nicht mit. Seine Gedanken waren mit für ihn schwerwiegenderen Dingen beschäftigt. Seine Eltern waren irgendwo in den Untiefen der Zeit verschollen gewesen; mit unbeirrbarer Beharrlichkeit und einer Portion Glück hatte er sie schließlich wiedergefunden, nur um einen weiteren Verlust zu erleiden: Topaz. Düstere Gedanken quälten ihn. Denn so sehr Galliana und die anderen Geschichtshüter seine Verdienste auch gelobt haben mochten, wusste er doch, dass er in dem einen Ziel, das er sich selbst gesetzt hatte, versagt hatte. Er hatte Topaz retten wollen. Und jetzt fürchtete er, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde. Die Welt allein war schon groß genug, um darin verloren zu gehen, aber die Zeit, wie er nun aus eigener Erfahrung wusste, war mehr, als der menschliche Geist erfassen konnte – unendlich und komplex wie das Universum selbst und erfüllt von unergründlicher Dunkelheit.
Jake atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen. Dann ging er zu einem der hohen Fenster und betrachtete den Horizont.
Felson, der brav am Eingang des Saals gewartet hatte, kam herbeigelaufen und stellte sich neben Jake. Freudig blickte er seinen neuen Herrn an und schaute dann ebenfalls hinaus aufs Meer.
Weit draußen erhellte ein Blitz die Wellen, und Jake musste daran denken, wie sein Abenteuer begonnen hatte, an den schweren Sturm in London, der bei seinem Eintritt in diese aufregende und bizarre Welt getobt hatte. Seine gesamte Weltsicht hatte sich verändert. Dinge wie Gefahr, Ehre, Pflicht, Liebe und Furcht waren nun feste Größen in seinem Leben geworden.
Er war jetzt ein Geschichtshüter.
In sein altes Leben führte kein Weg mehr zurück.
Jake stand ganz dicht am Fenster, sah, wie der Hauch seines Atems sich daran niederschlug, und in diesem Augenblick gab er sich ein feierliches Versprechen, sprach die Worte so leise, dass nur er selbst sie hören konnte:
»Ich werde dich finden, Topaz. Wo auch immer du bist. Egal wo, egal in welchem Zeitalter. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich werde dich finden …«
Danksagung
Zuerst ein Dank an all die einzigartigen Frauen – Becky Stradwick dafür, dass sie das Projekt ins Rollen gebracht hat, und für alles, was sie seitdem für mich getan hat, Jo Unwin für ihre Weisheit und ihren aufrichtigen Rat, Sue Cook für ihre unbezahlbaren Einfälle und Rachel Holroyd sowie Sophie Dolan für die großartige Zusammenarbeit und jede Menge Spaß.
Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die Hilfe von Ali Lowry, Richard Batty, die unvergleichlichen Morrisons sowie allen meinen anderen fabelhaften Freunden, die mich mit ihrer Großzügigkeit vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahrt haben!
Ein besonderer Dank geht an Dick, der mich immer von der Schule abgeholt hat, an Dudley, der stets ein Auge auf mich hatte, sowie an Rufo, Justin und meine Mutter, die mir beigebracht haben, dass ein guter Humor stets das Wichtigste ist.