Topaz wiederum starrte ausdruckslos auf die Tafel, während Mina Schlitz die beiden aufmerksam beobachtete, ihre Schlange aus dem Gürtelkäfig nahm und zärtlich deren Unterkiefer streichelte.
Zeldt nahm auf seinem Thron Platz, breitete eine Serviette auf dem Schoß aus und ging ein paar Notizen durch, während einer der Diener ihm das Essen servierte.
Jake beobachtete angewidert, wie Zeldt genauso vornehm wie appetitlos sein Frühstück einnahm. Essen war für ihn nichts als ein notwendiges Übel, eine Einstellung, die zumindest zum Teil seine blasse, blutleere Erscheinung erklärte.
Schließlich schob Zeldt den Teller beiseite und goss sich eine Tasse dünnen Jasmintee ein, nippte kurz mit spitzen Lippen daran, um die Tasse dann exakt in der Mitte des Untertellers abzustellen.
»Um zwei Uhr heute Nachmittag wird eine Sonnenfinsternis stattfinden«, sagte er mit so leiser Stimme, dass die Agenten nicht sicher waren, ob er mit ihnen gesprochen hatte. »Da ihr lediglich aus reinem Übermut diesen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte besucht, hege ich keinen Zweifel, dass euch diese Tatsache bisher entgangen ist«, erklärte er feierlich und nahm einen weiteren Schluck Tee. »Wobei ich zugeben muss, dass dieses Ereignis nicht mein Werk ist. Es wäre eine beachtliche Leistung, zweifellos. Doch nein, ›der Himmel‹ schenkt sie mir. Einfach so.« Wieder hielt Zeldts Blick mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu bei Topaz inne. »Eine Sonnenfinsternis ist eines der wenigen Ereignisse im Verlauf der Erdgeschichte, auf die man sich absolut verlassen kann.«
Charlie warf Topaz und Jake einen fragenden Blick zu.
»Ein imposantes Ereignis, und die dummen, naiven Massen werden nur so zittern vor Angst«, fuhr Zeldt monoton fort. »Doch glaube ich, dass speziell diese Finsternis sich weit tiefer in ihr Gedächtnis einbrennen wird als alle anderen.«
»Wo ist meine Familie?«, unterbrach Jake Zeldts Monolog. »Meine Eltern, wo sind sie?«, wiederholte er und stand von seinem Stuhl auf.
Sofort packte eine der Wachen Jake an der Schulter, schlug ihm hart ins Genick und drückte ihn zurück in den Stuhl.
Unbeirrt nippte Zeldt weiter an seinem Tee.
»Was wisst ihr über die Renaissance?«, fragte er. Als er keine Antwort erhielt, blickte er auf und fixierte die Agenten mit kalten, grauen Augen. »Ich weiß, dass das Wort ›Renaissance‹ in diesem Jahrhundert noch nicht gebräuchlich ist, doch das ist ohne Belang. Die Renaissance . Noch nie davon gehört? Du da, links«, sagte er und deutete auf Charlie.
»Die Renaissance …?«
»Was für ein ignorantes Bürschlein«, schnaubte Zeldt verächtlich. »Was ist mit dir, Topaz St. Honoré?«
Einen Moment lang starrten die beiden einander an.
»Der Ausdruck Renaissance bezieht sich auf eine bestimmte Epoche der Geschichte – die jetzige Epoche«, sagte sie tonlos und mit gesenktem Blick. »Die Menschheit entdeckt Ideale und Philosophien der griechischen und römischen Antike neu …«
»Wie abgeschmackt!«, brauste Zeldt auf und brachte Topaz mit einem Fingerschnippen zum Schweigen. »Hat denn keiner von euch auch nur ein bisschen Charakter?«
Rot vor Zorn beobachtete Charlie, wie Zeldt aufstand und weitere Scheite ins Feuer trat.
Felson zuckte winselnd zusammen, wagte aber nicht, sich von der Stelle zu rühren, während Zeldt, den Rücken seinen Gefangenen zugewandt, in die Flammen starrte. Beinahe drei Minuten vergingen, bis der Prinz schließlich seufzend zu einem der Regale ging. »Der Buchdruck«, sagte er und fuhr mit blassen Fingern über die Einbände, »die Erfindung des Jahrhunderts, ja vielleicht sogar des Jahrtausends.«
Sein Gesicht verzog sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen, da schob er mit einem Ruck das scheinbar unbewegliche Regal zur Seite, und ein geheimer Durchgang kam dahinter zum Vorschein.
»Nehmt sie mit«, flüsterte Zeldt und betrat den Gang.
Jake, Topaz und Charlie wurden von ihren Stühlen hochgezerrt und durch die Öffnung in der Wand auf eine steinerne Brücke geschoben, unter der sie die Katakomben sehen konnten, in denen sie zuvor gefangen genommen worden waren. Mina folgte dicht hinter ihnen.
»Sicherlich habt ihr meine Druckerpresse bereits gesehen«, sagte Zeldt und deutete nach unten. »Ohne Zweifel die dümmste und gefährlichste Erfindung der gesamten Menschheitsgeschichte«, fügte er hinzu. »Stets stand Wissen nur einer Handvoll Auserwählter zur Verfügung. Der Buchdruck jedoch schickt sich nun an, alle mit Wissen zu beglücken … selbst die Kanalarbeiter, deren einziger Lebenszweck es ist, unsere Ausscheidungen zu beseitigen.« Sein Blick verfinsterte sich. »Wissen und Bildung für alle? Welch verwerfliches Ansinnen. Was kommt als Nächstes? Die Tiere vielleicht – Würmer und Käfer, die Philosophie studieren?«
»Wenn Bildung etwas so Dummes und Gefährliches ist«, fragte Jake, »warum benehmt Ihr Euch dann, als hättet Ihr welche?«
Zeldt ignorierte die Spitze und lächelte heimtückisch, bevor er antwortete. »Sei unbesorgt, ich werde den Menschen geben, wonach sie verlangen – für kurze Zeit zumindest.« Er senkte die Stimme. »Gerade lange genug, damit sie … sterben können. Kommt und besichtigt mein Labor.«
Der Prinz überquerte die Brücke und führte sie in ein großes, reich mit wissenschaftlichen Gerätschaften ausgestattetes Gewölbe. Jake sah Messbecher, Reagenzgläser und Waagen mit kompliziert anmutenden Skalen daran. In der Mitte des Gewölbes befand sich ein weiterer Raum, ein Würfel mit Wänden aus dicken Glasscheiben, in dem mit einer Art Schutzanzügen bekleidete Arbeiter äußerst vorsichtig an einem geheimnisvollen Gegenstand herumhantierten.
Zeldt brachte die Gruppe zu einem Tisch und nahm das dicke Buch zur Hand, das darauf lag. »Dies ist eine Ausgabe des Buches, das ich gerade herstellen lasse. Ich habe es Das Buch des Lebens genannt; ein wahrlich amüsanter Titel, wie ich finde.« Er blätterte ein paar Seiten des druckfrischen, mit vielen Illustrationen versehenen Wälzers durch. »Es finden sich Kapitel über alle ›wissenschaftlichen‹ Disziplinen darin: Chemie, Astronomie, Physik und, das heimtückischste aller Übel, Mathematik. Dieses Buch hier ist ein umfassendes Kompendium des neu erwachenden Wissens. Doch es hat seinen Preis«, fügte er im Flüsterton hinzu, und bei den Worten umspielte ein eiskaltes Lächeln Minas Lippen. »Sobald der Wissbegierige es öffnet, erlebt er eine kleine Überraschung.«
Die Vorderseite des Einbandes war mit einem goldenen Schloss versehen, in dem ein Schlüssel steckte. Vorsichtig zog Zeldt mit den Fingerspitzen ein winziges Glasfläschchen aus dem Schließmechanismus und hielt es ans Licht. Eine pechschwarze Flüssigkeit glänzte darin.
»Sobald man den Schlüssel dreht«, erklärte er, »zerbricht dieses Fläschchen und setzt seinen Inhalt frei.«
»Und um was für einen Inhalt handelt es sich dabei?«, fragte Charlie.
»Oh, die Früchte langer Jahre harter Arbeit«, erwiderte Zeldt stolz.
Er führte sie in den würfelförmigen gläsernen Raum. Darin stand auf einem eisernen Tisch ein ebenfalls gläserner Kasten, in dem die beiden Männer mit Schutzhandschuhen aus Schweinedarm eine schwarze Flüssigkeit destillierten.
»Was ist das für eine Flüssigkeit?«, fragte Topaz, nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich hören wollte.
»Ihr werdet soeben Zeugen eines einzigartigen Vorgangs. Die Substanz hier links ist ein aus infizierten Flöhen hergestellter Brei. Wir brauchten eine Milliarde Flöhe von einer Million Ratten, um diese winzige Menge brauchbaren Materials herzustellen.«
»Ratten …« Charlie warf Jake einen schnellen Blick zu.
»Das Reagens, mit dem wir den Brei kombinieren« – Zeldt deutete auf einen weiteren Behälter –, »ist ein trefflicher Katalysator, der die Effektivität des Gemischs um nicht weniger als das Hundertfache steigert.«
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