Der Wagen war eigentlich ein großer Käfig, der einen Hund, eine Katze, einen kleinen Pavian, eine Maus, zwei Vögel und eine Schlange enthielt, und alle lebten friedlich miteinander wie gute Christen, betonte der Mann.
»Warum in aller Welt frisst die Katze die Maus nicht, Dodger?«, fragte Serendipity.
»Nun«, sagte er, »der Alte ist bestimmt nicht geneigt, seine Geheimnisse zu verraten, aber wenn man die Tiere friedlich miteinander aufwachsen lässt, werden sie, so heißt es, zu einer glücklichen Familie. Aber es heißt auch: Sollte eine Maus, die der Schlange noch nicht vorgestellt wurde, durch dieses Gitter schlüpfen, würde sie schnell zu einer Mahlzeit der Schlange.«
Serendipity nahm Dodgers Hand, und sie gingen über die Brücken und sahen sich alle Darbietungen an: den Mann, der schwere Gewichte hob, die Würfelspieler und den Mann, der auf den Händen stehen konnte. Als London im goldenen Abendlicht schließlich zu einem heidnischen Tempel aus glänzender Bronze zu werden schien und die Themse sich gleichsam in einen zweiten Ganges verwandelte, gingen sie nach Hause, ohne dem Kasperletheater Beachtung zu schenken.
Der nächste Morgen begann mit einem ziemlichen Lärm auf der Straße. Als Dodger schlaftrunken zum Fenster wankte und hinabblickte, entdeckte er zwei Männer mit federgeschmückten Helmen und einen kleineren Mann, der einerseits wichtigtuerisch wirkte und sich andererseits in der Gegend zu fürchten schien, in der er sich befand. Dodger schaffte es, das Fenster zu öffnen, und rief: »Was wollen Sie, Mister?« Der kleinere Mann gefiel ihm nicht. Offenbar war er der Boss, denn wann immer man einen kleinen Mann zusammen mit einem großen sah, hatte der große nichts zu melden. Der kleine Mann fragte nun: »Kennen Sie einen Gentleman namens … Mister Dodger?«
Dodger schluckte und erwiderte: »Hab nie von ihm gehört.«
Der Mann sah zu ihm hoch. »Bedaure sehr, das zu hören, Sir. Aber wenn Sie vielleicht besagtem Mister Dodger begegnen, so richten Sie ihm bitte aus, dass Ihre Majestät Königin Viktoria ihn morgen Nachmittag im Buckingham Palace erwartet!«
Hinter Dodger sagte Solomon schläfrig: » Mmm, Dodger, einen Ruf Ihrer Majestät kann man nicht überhören.«
Und so gab es für Dodger kein Entkommen, weshalb er die Treppe hinunterstieg und auf die Straße trat. Dort kamen bereits Menschen zusammen, sehr zum Verdruss der beiden Männer mit den federgeschmückten Helmen, denn es kursierte das Gerücht, dass Dodger zum Galgen gebracht werden sollte, und hier und dort wurden Stimmen laut, die dazu aufforderten, dergleichen zu verhindern. Und außerdem: Wenn ein Gerücht die Runde machte, so blieb es nicht lange allein, denn Gerüchte lieben die Gesellschaft weiterer Gerüchte.
Dodger stand da, blinzelte und sagte: »Na schön, Mister, und jetzt sagen Sie mir die Wahrheit!«
Der inzwischen recht beunruhigte kleine Mann versuchte, Würde in einer Welt zu zeigen, die gar keine Würde kannte. Er reichte Dodger ein Dokument. »Finden Sie sich morgen um vier Uhr dreißig am Tor des Buckingham Palace ein. Sie können insgesamt drei Mitglieder Ihrer Familie mitbringen. Ich werde Ihrer Majestät natürlich mitteilen, dass Sie sich demütigst einverstanden erklären.«
Es folgte ein seltsamer, geheimnisvoller Tag, selbst als die Leute das Interesse verloren und ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen – oder in einigen Fällen so vielen Angelegenheiten anderer Leute, wie sie stehlen konnten. Dodger begann ihn, indem er einen Spaziergang unternahm. Diesmal streifte er nicht durch die Kanalisation, sondern ging kreuz und quer durch London, und zwar in Begleitung von Onan, der voller Freude neben ihm hertappte und sich riesig freute, so lange draußen unterwegs sein zu dürfen. Schließlich führte der Weg, den Dodgers Beine beschritten – und die ihn besser kannten als er sich selbst – durch Covent Garden zur Fleet Street.
Charlie war nicht da, aber als Dodger um ein Gespräch mit dem Herausgeber bat und sagte, wer er war, wurde er sogleich nach oben geführt und erfuhr dort, dass seinem Konto weitere sieben Guineen gutgeschrieben worden waren. Woraufhin Dodger den Wunsch äußerte, das übrige Geld der Sammlung dafür zu verwenden, das Leben für Mister Todd erträglicher zu machen, der, soweit er wusste, im Hospital von Bedlam einsaß, einer Örtlichkeit, die sich nicht unbedingt für empfindliche Gemüter eignete.
Mister Doyle erklärte sich einverstanden und wollte darüber hinaus dafür sorgen, dass das Geld tatsächlich seiner Bestimmung zugeführt wurde. Dadurch fühlte sich Dodger besser. Nach diesem Gespräch setzte er seine Wanderung fort und unterbrach sie nur, um beim Metzger einen Knochen für Onan zu kaufen. Anschließend besuchte er einen Getränkeladen, besorgte sich dort eine Flasche mit gutem Brandy und ging damit zum Fluss, wo er sich von einem Fährmann zum Kai bei Four Farthings übersetzen ließ.
Der Coroner war nicht anwesend, aber sein Beamter versicherte, er werde das Geschenk weiterreichen, das angeblich von einer Alten stammte, die die Hilfe des Coroners empfangen und versprochen hatte, sich dafür erkenntlich zu zeigen. Was den Beamten zu der Bemerkung veranlasste, dass es um die Welt besser bestellt wäre, wenn alle Menschen ihr Wort halten würden. In Four Farthings gab es nicht viel, das nicht bald in den größeren Bezirken aufgehen würde, aber Dodger sah sich die Kirche von St. Never an, gewidmet einem wenig bekannten Heiligen, der für Belange zuständig war, die nie geschahen, vermutlich einer der Gründe, warum hier so viele junge Frauen beteten. Er warf einen Shilling in den Opferstock, hörte aber, wie die Münze auf Holz traf; vermutlich würde sie in dem Kasten lange Zeit allein bleiben.
Er fand genug Zeit für einen Umweg, der ihn zu Mister und Missus Mayhew führte, denen er die Hand schüttelte, ihnen für ihr Beileid und auch für die Hilfe dankte, die sie der kürzlich verstorbenen armen Simplicity gewährt hatten. Und die, wie Dodger betonte, zweifellos sehr dankbar gewesen wäre, wenn das Schicksal sie vor dem viel zu frühen Tod bewahrt hätte. In dieser Hinsicht sei er völlig sicher, fügte er hinzu, als hätte er es aus ihrem eigenen Mund gehört. Als ihn die Mayhews durch den Flur zur vorderen Tür führten, beschloss er einen weiteren Umweg und machte einen Abstecher zur Küche, wo er sogar für Missus Sharples ein fröhliches Lächeln erübrigte und einen dicken Kuss von Missus Quickly empfing.
Als er zur anderen Seite des Flusses zurückkehrte, fragte er sich, warum er dies alles unternahm, und das fragte sich vermutlich auch Onan, der einen der schönsten Tage seines Lebens erlebte – nie zuvor hatte er in einem Stück so lange und so weit laufen dürfen. Dodger fiel ein, dass es vielleicht eine Person gab, die ihm Antwort geben konnte. Das führte dazu, dass er erneut auf die Dienste eines Fährmanns zurückgriff und sich diesmal ein ganzes Stück stromaufwärts bringen ließ. Es folgten ein recht langer Fußweg zu Serendipitys Pension und dann eine Fahrt mit der Kutsche zum Anwesen einer gewissen Angela Burdett-Coutts. Die Tür wurde von einem überaus respektvollen Butler geöffnet, der sagte: »Guten Tag, Mister Dodger. Ich werde nachsehen, ob Miss Angela zu Hause ist.«
Angela erschien weniger als eine Minute später. Beim Kaffee berichtete Dodger von den Neuigkeiten und bat Serendipity, ihn in den Palast zu begleiten.
Serendipity nahm die Nachricht auf weibliche Art und Weise entgegen – sie geriet in Panik, weil sie nichts anzuziehen hatte. »Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, meine Liebe«, warf Angela munter ein. »Wir könnten meinem Schneider einen Besuch abstatten. Es ist zwar sehr kurzfristig, aber bestimmt lässt sich etwas bewerkstelligen.« Sie wandte sich an Dodger. »Wenn ich an Kleider denke, fallen mir Ringe ein, und deshalb wäre ich Ihnen dankbar, Mister Dodger, wenn Sie mir Ihre Absichten erklären könnten. Wenn ich richtig verstanden habe, sind Sie beide verlobt. Wann soll daraus eine Ehe werden, wenn ich fragen darf? Ich persönlich habe nie den Sinn von langen Verlobungen verstanden, aber könnte es vielleicht … Schwierigkeiten geben?«
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