Die Amyrlin rückte noch einmal ihre Stola zurecht und überblickte finster das hastige Gewusel in der Küche. »Ich muß das wiedergutmachen. Ich mußte ohne Verzögerung mit Euch sprechen, aber Laras ist eine gute Frau, und sie verwaltet Küche und Vorratskammern ganz ausgezeichnet.«
Nynaeve schniefte und sprach zu ihren Händen am Griff der Kurbel. »Laras ist ein saurer Fettkloß und viel zu schnell mit diesem Löffel zur Hand.« Sie glaubte, das nahezu unhörbar geflüstert zu haben, aber dann hörte sie, wie die Amyrlin trocken auflachte.
»Ihr könnt aber Charaktere gut beurteilen, Kind. Ihr müßt für Euer Dorf eine gute Seherin gewesen sein. Es war Laras, die zu Sheriam ging, weil sie wissen wollte, wie lange sie euch noch die schmutzigste und härteste Arbeit zumuten müsse, ohne euch etwas Erleichterung zu gönnen. Sie sagte, sie wolle nicht verantworten, den Lebensmut und die Gesundheit einer Frau zu ruinieren, gleich, was ich befehle. Ihr könnt wirklich gut Charaktere beurteilen, Kind.«
Laras trat in dem Moment wieder in die Küchentür, zögerte aber, ihr eigenes Reich zu betreten. Die Amyrlin ging ihr entgegen, und die finsteren Blicke wichen nun dem Lächeln.
»Es sieht meiner Meinung nach alles bestens aus, Laras.« Die Worte der Amyrlin waren in der gesamten Küche gut zu hören. »Ich fand nichts Ungewöhnliches — alles ist recht. Ich muß Euch loben. Ich glaube, ich werde ›Herrin der Küche‹ zu einem offiziellen Titel machen.«
Der Gesichtsausdruck der fetten Frau wandelte sich von nervös über erschrocken hin zu einem breiten Strahlen. Als die Amyrlin aus der Küche fegte, herrschte eitel Freude. Doch als sie sich dann in der Küche umsah, runzelte sie sogleich die Stirn, und die ganze Küchenbesatzung wandte sich blitzschnell wieder der Arbeit zu. Laras' grimmiger Blick traf Nynaeve.
Die drehte den Spieß wieder und lächelte die massige Frau an.
Laras' Miene verfinsterte sich noch weiter, und sie begann, sich mit dem Löffel auf die Hüfte zu klatschen. Sie hatte wohl vergessen, daß er einmal wenigstens für seinen eigentlichen Zweck benützt worden war. Auf ihrer weißen Schürze blieben Suppenflecken zurück.
Ich lächle sie an, und wenn es mich umbringt, dachte Nynaeve, aber sie mußte dabei mit den Zähnen knirschen.
Egwene und Elayne erschienen wieder, verzogen die Gesichter und wischten sich die Münder mit den Ärmeln ab. Ein Blick von Laras, und sie zischten zum Bratspieß und nahmen ihre Arbeit wieder auf.
»Seife«, knurrte Elayne undeutlich, »schmeckt furchtbar!«
Egwene zitterte, als sie Saft aus der Pfanne über die Braten kippte. »Nynaeve, wenn du uns sagst, die Amyrlin wolle, daß wir hierbleiben, dann schreie ich. Dann laufe ich wirklich weg!«
»Wir gehen, sobald der Abwasch erledigt ist«, sagte sie zu ihnen. »So schnell wir eben unsere Sachen aus den Zimmern holen können.« Sie wünschte, sie könne die Freude teilen, die sich in zwei Augenpaaren zeigte. Licht, hilf uns, daß wir nicht in eine Falle rennen, aus der wir nicht mehr entkommen können. Licht, hilf!
Nachdem Nynaeve und die anderen gegangen waren, verbrachte Mat den größten Teil des Tages in seinem Zimmer, von einem kurzen Ausflug abgesehen. Er plante. Und aß. Er aß fast alles, was ihm die Dienerinnen brachten, und er bat um mehr. Sie waren nur zu froh, seinem Wunsch nachzukommen. Er wollte Brot, Käse und Obst haben, und als er alles hatte, verstaute er die im Winter verschrumpelten Äpfel und Birnen, Käsestücke und Brotlaibe im Kleiderschrank. Die leeren Tabletts ließ er wieder abholen.
Um die Mittagszeit mußte er den Besuch einer Aes Sedai über sich ergehen lassen. Wenn er sich richtig erinnerte, hieß sie Anaiya. Sie nahm seinen Kopf in die Hände, und es überlief ihn kalt dabei. Es war die Eine Macht, das war ihm klar, und nicht einfach die Berührung einer Aes Sedai. Trotz ihrer glatten Wangen und der typischen Würde einer Aes Sedai war sie eine ganz einfache Frau.
»Es scheint Euch schon viel besser zu gehen«, sagte sie ihm lächelnd. Ihr Lächeln erinnerte ihn an seine Mutter. »Noch hungriger, als ich erwartete, wie man mir sagte, aber um so besser. Ich wurde darüber aufgeklärt, daß Ihr Euch bemüht, die Vorratskammern leerzuessen. Glaubt mir, wenn ich Euch versichere: Wir werden dafür sorgen, daß Ihr alle Lebensmittel bekommt, die Ihr benötigt. Ihr müßt keine Angst haben, daß Ihr auch nur eine Mahlzeit verpaßt, bevor Ihr völlig gesund seid.«
Er grinste sie auf die Art an, die er immer bei seiner Mutter benützt hatte, wenn er wollte, daß sie ihm unbedingt glaubte. »Ich weiß das zu schätzen. Und ich fühle mich auch viel besser. Ich denke, heute nachmittag sehe ich mich ein wenig in der Stadt um. Falls Ihr nichts dagegen habt, natürlich. Vielleicht besuche ich am Abend noch eine Schenke. Es gibt nichts Besseres als die Gespräche im Schankraum, um jemanden aufzumuntern.«
Er glaubte, ihre Lippen zucken zu sehen. Beinahe hätte sie noch breiter gelächelt. »Niemand wird versuchen, Euch aufzuhalten, Mat. Aber versucht nicht, die Stadt zu verlassen. Das wird die Wachen aufregen und Euch nichts weiter einbringen, als von ihnen hierher zurückgebracht zu werden.«
»Das würde ich doch nicht machen, Aes Sedai. Die Amyrlin meinte, ich würde nach wenigen Tagen verhungern, wenn ich die Stadt verließe.«
Sie nickte, als glaube sie ihm kein Wort. »Natürlich.« Als sie sich von ihm abwandte, fiel ihr Blick auf den Bauernspieß, den er vom Übungsgelände mitgebracht und in eine Zimmerecke gestellt hatte. »Ihr müßt Euch nicht vor uns schützen, Mat. Ihr seid hier so sicher, wie es nur geht. Bestimmt sicherer als außerhalb.«
»Ach, das weiß ich doch, Aes Sedai. Das weiß ich.« Nachdem sie gegangen war, sah er die Tür finster an und fragte sich, ob er wirklich überzeugend auf sie gewirkt habe.
Es war schon eher Abend als Nachmittag, da verließ er sein Zimmer zum, wie er hoffte, allerletzten Mal. Der Himmel färbte sich purpurn, und die Wolken im Westen strahlten in allen möglichen Rottönen. Als er seinen Umhang angelegt hatte und die große Ledertasche umhängte, die er bei seinem früheren ›Ausflug‹ gefunden hatte — vollgestopft mit dem Brot, Käse und Obst, die er sich erschwindelt hatte —, sah er in den Spiegel, und da wurde ihm klar, daß er seine Absicht so nicht verbergen konnte. Er schnappte sich eine Decke vom Bett, rollte seine Kleider hinein und hängte sich das Ganze auch noch über die Schulter. Der Bauernspieß erfüllte auch als Wanderstock seinen Zweck. Er ließ nichts zurück. Seine kleineren Besitztümer steckten in den Manteltaschen, und in der Gürteltasche steckte das Allerwichtigste: das Dokument der Amyrlin. Elaynes Brief. Und seine Würfelbecher.
Er sah einige Aes Sedai, als er aus der Burg hinausmarschierte, und ein paar davon bemerkten ihn ebenfalls, doch sie hoben höchstens erstaunt eine Augenbraue, sprachen ihn aber nicht an. Eine davon war Anaiya. Sie lächelte ihn amüsiert an und schüttelte leicht mißbilligend den Kopf. Er antwortete mit einem Achselzucken und dem schuldbewußtesten Grinsen, das er fertigbrachte. Sie ging schweigend weiter und schüttelte dabei noch mal den Kopf. Die Wachen am Eingang der Burg blickten ihm lediglich nach.
Erst als er den großen Vorplatz überquert hatte und durch die Straßen der Stadt schlenderte, kam in ihm ein Gefühl der Erleichterung auf. Und des Triumphs. Wenn du nicht verbergen kannst, was du vorhast, dann übertreibe so, daß dich die anderen für einen Narren halten. Dann stehen sie lediglich herum und warten darauf, daß du auf die Schnauze fällst. Diese Aes Sedai warten bestimmt darauf, daß ich von den Wachen zurückgebracht werde. Wenn ich am Morgen noch nicht zurück bin, werden sie zu suchen beginnen. Zuerst aber nicht so schrecklich eifrig, weil sie glauben, ich sei irgendwo in der Stadt untergetaucht. Wenn es ihnen schließlich klar wird, was ich getan habe, bin ich schon weit genug flußabwärts. Dieses Kaninchen wird einen großen Vorsprung vor den Jagdhunden gewinnen.
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