»Überdies stammt Jagang aus der Alten Welt«, setzte Richard hinzu. »Aller Wahrscheinlichkeit nach wußte er also von dem Reich jenseits der Grenze. Nach allem, was wir wissen, könnte Bandakar in der Alten Welt zu einer Legende geworden sein, wohingegen die Menschen in der Neuen Welt, seit dreitausend Jahren jenseits der großen Grenze, vermutlich gar nicht wußten, was diesen Menschen widerfahren war.
Ich denke, all diese Befehle Jagangs beziehen sich auf einen Angriff auf die Burg der Zauberer und ihre Eroberung im Namen der Imperialen Ordnung.«
Kahlan drohten die Beine unter ihrem Körper nachzugeben. Mit dem Fall der Burg würden sie ihren einzigen echten Vorteil, so gering dieser sein mochte, verlieren. Befand sich die Burg erst in der Gewalt der Imperialen Ordnung, hätte Jagang Zugriff auf all die uralten und todbringenden magischen Objekte – nicht auszudenken, welche Kräfte er damit entfesseln mochte. Es gab in der Burg Dinge, die ihrer aller, auch Jagangs, Untergang bedeuten konnten. Mit dem Auslösen der Pestepidemie hatte er schon einmal bewiesen, daß er, um seinen Willen durchzusetzen, nicht davor zurückschreckte, unzählige Menschen zu töten und jede nur erdenkliche Waffe einzusetzen – selbst auf Kosten der Dezimierung seines eigenes Volkes.
Aber auch wenn Jagang die Burg der Zauberer nicht für seine Zwecke einspannte – die Tatsache, daß er sie in seiner Gewalt hatte, nahm dem d’Haranischen Reich die Möglichkeit, dort Hilfe zu finden. Darin bestand, neben der Bewachung der Burg, Zedds eigentliche Aufgabe – er sollte etwas finden, das ihnen half, den Krieg zu gewinnen, oder doch zumindest die Imperiale Ordnung hinter eine Art Barriere zu verbannen, die ihren Einflußbereich auf die Alte Welt begrenzte.
Ohne die Burg der Zauberer war ihre Sache höchstwahrscheinlich verloren und jeder Widerstand nur ein Aufschub des Unvermeidlichen. Ohne die Unterstützung der Burg würde jeder Widerstand gegen Jagang letztendlich gebrochen werden. Seine Truppen würden die Neue Welt unaufhaltsam bis in den hintersten Winkel überrennen.
Mit zitternden Fingern raffte Kahlan ihren Umhang zusammen. Sie wußte, was ihrem Volk drohte, was es hieß, wenn Truppen der Imperialen Ordnung mit ihrer überwältigenden Kampfkraft in ein Gebiet einfielen. Seit nahezu einem Jahr war sie bei der Armee und kämpfte gegen diese Horden, die sich nicht selten wie ein Rudel räudiger Hunde gebärdeten. Solange einem solche Tiere im Nacken saßen, war an Frieden nicht zu denken. Sie würden erst Ruhe geben, wenn sie einen in Stücke gerissen hatten.
Die Welt außerhalb der Imperialen Ordnung stand schon jetzt am Rand eines bedrohlichen, zerstörerischen Schattens, der von der Ankunft finsterer Zeiten kündete; bedeutete dies bereits den Vorabend des Endes aller Zeiten?
Eine solche Frage durfte Kahlan natürlich nicht offen aussprechen, sie konnte ihnen nicht erklären, was sie empfand, durfte sich ihre Verzweiflung nicht anmerken lassen.
»Richard, wir dürfen auf keinen Fall zulassen, daß die Imperiale Ordnung die Burg einnimmt.« Sie konnte selbst kaum glauben, wie gefaßt und entschlossen ihre Stimme in diesem Moment klang, und sie fragte sich, ob ihr überhaupt jemand abnahm, daß sie noch an eine Chance glaubte. »Wir müssen sie daran hindern.«
»Das sehe ich genauso«, sagte Richard; auch er klang fest entschlossen.
»Das Einfache zuerst«, begann er. »Wir müssen Nicci und Victor mitteilen, daß wir im Augenblick unabkömmlich sind. Victor muß wissen, daß wir mit seinen Plänen einverstanden sind – daß er weitermachen soll wie bisher und nicht auf uns warten darf. Er muß sofort losschlagen, und Priska muß wissen, daß er ihn dabei nach Kräften unterstützen muß.
Nicci muß über unser Ziel unterrichtet werden; außerdem muß sie erfahren, daß wir glauben, den Zweck des Warnzeichens herausgefunden zu haben. Des Weiteren müssen wir ihr unseren derzeitigen Aufenthaltsort mitteilen.«
Er erwähnte nicht, daß sie herkommen und ihm helfen mußte, sollte er es aufgrund seiner lebensbedrohlichen Probleme mit der Gabe nicht bis zu ihr schaffen.
»Ferner muß sie darüber unterrichtet werden«, fuhr er fort, »daß wir ihre Warnung betreffs der Bemühungen Jagangs, die Schwestern der Finsternis Menschen in Waffen verwandeln zu lassen, nur teilweise lesen konnten, weil ihr Brief bei dem Kampf im Lager ein Opfer der Flammen geworden ist.«
»Na ja«, meinte Kahlan, »angesichts der anderen Probleme, die wir haben, müssen wir uns mit diesem Problem wenigstens nicht sofort befassen.«
»Zumindest das spricht im Augenblick für uns«, pflichtete Richard ihr bei. Er deutete mit einer Handbewegung auf den Mann, der sie beobachtete und darauf wartete, daß Kahlan ihm endlich einen Befehl erteilte. »Wir werden ihn zu Victor und Nicci schicken, damit sie umfassend unterrichtet sind.«
»Und was dann?«, fragte Cara.
»Ich möchte, daß Kahlan ihm befiehlt, er soll, sobald dieser Teil seines Befehls ausgeführt ist, nach Norden gehen, dort die Armee der Imperialen Ordnung aufsuchen, sich als einen der ihren ausgeben, um auf diese Weise in die unmittelbare Umgebung Kaiser Jagangs zu gelangen, und ihn töten.«
Kahlan wußte, wie unwahrscheinlich das Gelingen eines solchen Planes war; nach den erstaunten Mienen der anderen zu urteilen, sahen sie dies ähnlich.
»Jagang ist von mehreren Ringen aus Leibwächtern umgeben, die ihn genau davor beschützen sollen«, gab Jennsen zu bedenken. »Er ist stets von besonders ausgebildeten Wachen umringt. Gewöhnliche Soldaten läßt man nicht einmal in seine Nähe.«
»Nun ja«, lenkte Richard ein. »Höchstwahrscheinlich wird er getötet, ehe er bis zu Jagang vordringen kann. Aber das unstillbare Verlangen, Kahlans Befehl auszuführen, wird ihn nicht ruhen lassen; er wird nur noch diesen einen Gedanken kennen. Ich gehe also davon aus, daß er nichts unversucht lassen wird. Das Wissen, daß jeder seiner Männer ein gedungener Meuchler sein könnte, soll Jagang kostbare Stunden seines Schlafes rauben. Ich will, daß ihn der Gedanke quält, niemals zu wissen, wer ihm nach dem Leben trachtet. Ich will, daß er keine Minute mehr ruhig schläft, daß er von Alpträumen heimgesucht wird, weil er nicht weiß, was ihn als Nächstes erwartet, und welcher seiner Männer nur auf eine günstige Gelegenheit lauert.«
Kahlan nickte zustimmend. Richard musterte die wild entschlossenen Mienen, die gespannt darauf warteten, daß er fortfuhr.
»Und nun das Wichtigste. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß wir zur Burg der Zauberer gelangen und Zedd warnen. Jagang ist uns in allem stets einen Schritt voraus – er plant und handelt schon seit geraumer Zeit, ohne daß wir auch nur geahnt hätten, was er im Schilde führt. Wir wissen nicht einmal, wie bald diese nicht mit der Gabe gesegneten Männer in den Norden geschickt werden sollen. Mit anderen Worten, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Lord Rahl«, erinnerte ihn Cara, »Ihr müßt zuvor, ehe es zu spät ist, noch das Gegengift beschaffen. Ihr könnt nicht einfach zur Burg der Zauberer aufbrechen ... Oh, nein, Augenblick mal – Ihr werdet mich nicht noch einmal in diese Burg schicken. Ich werde Euch in einer Zeit wie dieser, da Ihr nahezu hilflos seid, auf keinen Fall allein lassen. Das höre ich mir gar nicht erst an; ich gehe auf keinen Fall.«
Richard legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich habe nicht die Absicht, Euch dorthin zu schicken, Cara, trotzdem vielen Dank für Euer Angebot.«
Cara verschränkte trotzig die Arme und warf ihm einen zornigen Blick zu.
»Den Wagen können wir nach Bandakar nicht mitnehmen, es gibt keine Straße ...«
»Lord Rahl«, fiel Tom ihm ins Wort, »jetzt, da Eure Magie versagt, werdet ihr allen Stahl benötigen, den Ihr aufbieten könnt.« Er klang kaum weniger entschieden als zuvor Cara.
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