Kahlan ergriff seine Hand und legte sie einen Moment an ihre Wange. Owens Geschichte hatte wenigstens ein Gutes.
»Das bedeutet, daß nicht etwa die Gabe im Begriff ist, dich zu töten, Richard«, raunte sie ihm mit vertraulicher Stimme zu. »Sondern das Gift.«
Sie war erleichtert, daß die Zeit noch nicht zu knapp war, um Hilfe für ihn zu holen, wie sie es noch auf der sich endlos hinziehenden Fahrt befürchtet hatte, als er bewußtlos im Wagen gelegen hatte.
»Die Kopfschmerzen hatte ich schon, bevor ich Owen zufällig begegnete, und sie halten unvermindert an. Und auch die Magie des Schwertes hatte schon vor meiner Vergiftung versagt.«
»Aber wenigstens läßt uns das jetzt mehr Zeit, eine Lösung für diese Probleme zu finden.«
Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Ich fürchte, unsere Schwierigkeiten sind eher noch gewachsen, und unsere Zeit ist knapper, als du denkst.«
»Eher noch gewachsen?«
Richard nickte. »Ist dir dieses Reich, aus dem Owen stammt, dieses Bandakar, ein Begriff? Weißt du überhaupt, was ›Bandakar‹ bedeutet?«
Kahlan blickte zu Owen, der in sich zusammengesunken ganz für sich allein auf seiner Kiste hockte. Sie schüttelte den Kopf, während ihr Blick wieder zu Richards grauen Augen zurückwanderte. Vor allem der unterdrückte Zorn in seiner Stimme war es, der sie beunruhigte.
»Nein, weiß ich nicht. Was denn?«
»Es ist ein Begriff aus dem Hoch-D’Haran und bedeutet: ›die Verdammten‹. Erinnerst du dich, was ich dir über das Buch Die Säulen der Schöpfung erzählt habe, und daß dort stand, man habe beschlossen, alle von der Gabe völlig Unbeleckten in die Alte Welt zu schicken – mit anderen Worten, sie zu verbannen? Erinnerst du dich noch, wie ich sagte, niemand wisse, was aus ihnen geworden sei? Nun, soeben haben wir es herausgefunden. Von nun an ist die Welt dem Volk aus dem Reich Bandakar schutzlos ausgeliefert.«
Kahlan runzelte nachdenklich die Stirn. »Wieso bist du so sicher, daß er ein Nachfahre dieser Leute ist?«
»Sieh ihn dir doch an. Er hat blondes Haar und gleicht auch sonst eher einem reinblütigen D’Haraner als den Menschen hier unten in der Alten Welt. Aber schwerwiegender ist, daß Magie bei ihm offensichtlich keine Wirkung hat.«
»Aber er könnte doch der Einzige sein, auf den das zutrifft.«
Richard beugte sich näher zu ihr. »In einer Gegend wie seiner Heimat, die Jahrtausende hermetisch von der Welt abgeriegelt war, hätte eine einzige Säule der Schöpfung genügt, um das Merkmal der völligen Unbeflecktheit von der Gabe bis heute in der gesamten Bevölkerung zu verbreiten.
Aber es war eben nicht nur einer; sie alle waren von der Gabe völlig unbeleckt. Aus diesem Grund hatte man sie schließlich in die Alte Welt verbannt – und als sie sich in der Alten Welt eine neue Existenz aufzubauen versuchten, wurden sie erneut zusammengetrieben und an diesen Ort jenseits der Berge verbannt – einen Ort, der, wie man ihnen erklärte, den Bandakaren, den Verbannten, vorbehalten war.«
»Und wie sind die Bewohner der Alten Welt ihnen auf die Schliche gekommen? Wie haben sie all die Menschen zusammengehalten, ohne daß ein Einziger überlebte, um das Merkmal der völligen Unbeflecktheit von der Gabe in der Bevölkerung zu verbreiten, und wie haben sie es geschafft, sie alle in dieser Gegend anzusiedeln?«
»Alles ausgezeichnete Fragen, die uns aber im Augenblick nicht weiterhelfen.« Richard dachte kurz nach.
»Owen«, rief er dann, »ich möchte dich bitten, dich nicht von der Stelle zu rühren, bis wir anderen einen einstimmigen Beschluss gefaßt haben, was jetzt zu tun ist.«
Konfrontiert mit einem Verfahren, das ihm vertraut war und das er respektieren konnte, hellte sich Owens Miene sogleich auf. Anders als Kahlan schien er Richards beißenden Unterton nicht bemerkt zu haben.
Richard deutete auf den Mann, den Kahlan berührt hatte. »Du da, setz dich zu ihm und sorg dafür, daß er nicht von deiner Seite weicht.«
Während der Angesprochene seiner Aufforderung beflissen nachkam, bedeutete Richard den anderen mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. »Wir haben etwas zu besprechen.«
Friedrich, Tom, Jennsen, Cara und Kahlan folgten ihm. Während die anderen sich um ihn scharten, lehnte sich Richard mit verschränkten Armen gegen das Stabgitter des Wagens und nahm sich die Zeit, ausgiebig jedes einzelne der ihm entgegenblickenden Gesichter zu betrachten.
»Wir stecken in allergrößten Schwierigkeiten«, begann er schließlich, »und das nicht nur wegen des Giftes, das Owen mir verabreicht hat. Owen ist nicht mit der Gabe gesegnet; er ist genau wie du, Jennsen. Er ist immun gegen Magie.« Er sah Jennsen fest in die Augen. »Die übrigen aus seinem Volk sind ebenfalls wie er – und wie du.«
Jennsen klappte vor Verblüffung der Unterkiefer runter. Sie schien verwirrt, so als wäre sie außerstande, all dies in ihren Gedanken miteinander in Einklang zu bringen. Friedrich und Tom wirkten kaum weniger verstört, und Cara hatte eine düstere Miene aufgesetzt.
Schließlich meinte Jennsen: »Das kann doch gar nicht sein, Richard. Dafür sind es viel zu viele. Sie können unmöglich alle Halbbrüder und – Schwestern von uns beiden sein.«
»Das sind sie auch nicht. Sie alle gehören einem Volksstamm an, der auf das Geschlecht der Rahl zurückgeht – wie du auch. Mir fehlt im Augenblick die Zeit, es dir in allen Einzelheiten begreiflich zu machen; erinnerst du dich, wie ich dir erklärte, deine Kinder würden wie du sein und dieses Merkmal der völligen Unbeflecktheit von der Gabe an alle künftigen Generationen weitergeben? Nun, vor langer Zeit begab es sich, daß diese Menschen in D’Hara plötzlich überhand nahmen; die damalige Bevölkerung trieb diese nicht mit der Gabe Gesegneten zusammen und schob sie in die Alte Welt ab, worauf die hier unten lebenden Menschen sie hinter jenen Bergen dort wegsperrten. Der Name ihres Reiches, Bandakar, bedeutet ›die Verbannten‹.«
Jennsens große, blaue Augen füllten sich mit Tranen. Auch sie war einer dieser Menschen, Menschen, die so verhaßt waren, daß man sie von der übrigen Bevölkerung ihres Landes abgesondert und ins Exil geschickt hatte.
Kahlan legte ihr einen Arm um die Schultern. »Erinnerst du dich noch, wie du sagtest, du fühlst dich so allein in der Welt?«, versuchte sie Jennsen lächelnd aufzumuntern. »Jetzt brauchst du dich nicht mehr allein zu fühlen; es gibt noch andere wie dich.«
Unvermittelt hob Jennsen den Kopf und sah Richard an. »Das kann gar nicht sein. Man hatte eine Grenze errichtet, die sie an diesem Ort festhielt. Wären sie wie ich, hätte eine magische Grenze keinerlei Einfluß auf sie gehabt. Sie hätten das Land jederzeit verlassen können. In dieser unendlich langen Zeitspanne müßten doch wenigstens ein paar von ihnen in die Außenwelt gelangt sein – zumindest hätte die Magie der Grenze sie nicht daran hindern können.«
»Ich glaube, das stimmt nicht«, erwiderte Richard. »Erinnerst du dich noch an den seitwärts rieselnden Sand in dem Warnzeichen, das Sabar uns mitbrachte? Das war Magie, und trotzdem konntest du sie sehen. Erinnerst du dich an das Gebiet, das wir vor einer Weile passiert haben?«, fragte Richard. »Diese Gegend, wo so gut wie nichts wuchs?«
Jennsen nickte. »Ja, natürlich.«
»Nun, Sabar berichtete, er habe etwas nördlich von hier ein ganz ähnliches Gebiet passiert.«
»Stimmt«, warf Kahlan ein. »Es führte mitten hinein in die Wüste, zu den Säulen der Schöpfung – genau wie der Streifen, der uns aufgefallen ist. Die beiden dürften ungefähr parallel verlaufen.«
Richard vermerkte ihren aufkeimenden Verdacht mit einem Nicken. »Darüber hinaus endeten beide seitlich jenes Einschnitts, der nach Bandakar hineinführt. Sie lagen nicht sehr weit auseinander. Genau in diesem Gebiet befinden wir uns jetzt, in dem Geländestreifen zwischen diesen beiden Grenzen.«
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