Es brach ihm fast das Herz, sie so zerschunden zu sehen. »Adie, was haben sie dir bloß angetan?«
Sie schmunzelte. »Sie sind längst noch nicht fertig, fürchte ich.«
Im trüben Schein der Laterne sah Zedd, daß man ihr ebenfalls einen dieser abscheulichen Halsringe umgelegt hatte.
»Dein Eintopf war übrigens ausgezeichnet.«
Adie stöhnte. »Ich flehe dich an, alter Mann, erwähne in meiner Gegenwart nichts Essbares.«
Zedd drehte vorsichtig den Kopf bis er im Dunkel seitlich neben dem Wagen weitere Männer erblickte. Sie hatten hinter ihm gestanden, weswegen er sie zuvor nicht bemerkt hatte. Seine Gabe hatte ihm ihre Anwesenheit nicht angezeigt.
»Ich denke, wir stecken bis zum Hals in Schwierigkeiten«, meinte er leise an niemand Bestimmten gerichtet.
»Ach ja?«, schnarrte Adie. »Und was bringt dich auf die Idee?«
Zedd wußte, sie wollte ihn nur zum Schmunzeln bringen, doch er konnte sich nicht einmal ansatzweise dazu überwinden.
»Tut mir leid, Zedd.«
Er nickte, so gut es mit auf dem Rücken gefesselten Handgelenken auf der Seite liegend eben ging. »Ich hielt mich für so gerissen, als ich alle Arten von Fallen aufstellte, die mir gerade in den Sinn kamen. Leider haben sie bei diesen Leuten, die immun sind gegen Magie, nicht funktioniert.«
»Das konntest du nicht wissen«, versuchte Adie ihn zu trösten.
Seine Stimmung schlug in bitterliche Reue um. »Aber nach unserer Begegnung mit diesem Menschen im Palast der Konfessoren im Frühjahr hätte ich es bedenken müssen. Ich hatte die Gefahr erkennen müssen.« Erstarrte in die Dunkelheit hinaus. »Ich habe unserer Sache einen Bärendienst erwiesen.«
»Aber woher mögen diese Leute auf einmal alle kommen?« Sie schien kurz davor, in Panik auszubrechen. »Mein Leben lang bin ich keinem einzigen dieser Menschen begegnet, und jetzt steht da eine ganze Bande von ihnen.«
Zedd ertrug es nicht. Adie so bestürzt zu sehen. Nur anhand der verräterischen Geräusche, die sie machten, vermochte sie zu erkennen, daß es mehrere waren, während er die Männer, wenn schon nicht mit seiner Gabe, so doch wenigstens mit den Augen wahrnehmen konnte.
Die Männer standen herum und ließen die Köpfe hängen; offenbar warteten sie auf Befehle. Sie machten nicht den Eindruck, als seien sie über das Geschehen erfreut. Alle schienen jung zu sein, etwa Mitte zwanzig, und ein paar von ihnen hatten Tränen in den Augen. Es war ein befremdlicher Anblick, diese ausgewachsenen Männer weinen zu sehen. Fast bedauerte es Zedd, einen von ihnen getötet zu haben. Aber nur fast.
»Ihr drei da«, fuhr die Frau unwirsch eine Gruppe der in den Schatten wartenden Männer an, während sie einem von ihnen eine weitere Laterne abnahm und die Flamme von ihrer Hand auf diese überspringen ließ, »rein mit Euch, und fangt mit der Suche an.«
Adie, das Gesicht ernst, wandte sich mit ihren vollkommen weißen Augen an Zedd. »Eine Schwester der Finsternis«, raunte sie ihm zu.
Und jetzt war die Burg der Zauberer in ihrem Besitz.
»Und was macht Euch so gewiß, daß Ihr tatsächlich eine Schwester der Finsternis gesehen habt?«, fragte Verna in Gedanken, während sie ihre Feder erneut eintauchte.
Sie setzte ihre Initialen unter den Antrag einer Schwester auf eine Reise in eine Ortschaft tief im Süden, um die Pläne einer dortigen Hexenmeisterin zur Verteidigung ihres Gebietes zu begutachten. Die Schreibarbeiten des Büros der Prälatin schienen sie selbst hierher, bis ins Feld, zu verfolgen. Ihr Palast war zerstört, der Prophet war auf freiem Fuß, und die echte Prälatin hatte sich allein aufgemacht, ihn zu verfolgen; einige Schwestern des Lichts hatten ihre Seelen an den Hüter der Unterwelt verpfändet und diesen dadurch seinem Ziel, sie alle in ewige Finsternis zu verdammen, einen Schritt näher gebracht; eine nicht unbeträchtliche Zahl von Schwestern – sowohl des Lichts als auch der Finsternis – befand sich in der Gewalt des grausamen Feindes und gehorchte seinen Befehlen, die Barriere, die einst die Neue von der Alten Welt getrennt hatte, war gefallen, die ganze Welt stand Kopf, und der einzige Mann, dem laut Prophezeiungen eine Chance eingeräumt wurde, die Gefahr der Imperialen Ordnung abzuwehren – Richard Rahl –, war mit unbekanntem Ziel verschwunden. Normalerweise wurden die Schreibarbeiten und Gesuche von ihren Gehilfinnen erledigt, aber so ungern Verna sich auch mit diesen langweiligen Dingen beschäftigte, hielt sie es doch für ihre Pflicht, auf alles ein Auge zu halten. Außerdem bot sie – so lästig die Büroarbeit auch sein mochte -eine willkommene Ablenkung, die verhinderte, daß sie sich über vertane Gelegenheiten den Kopf zerbrach.
»Immerhin«, setzte sie hinzu, »hätte es doch ebenso gut eine Schwester des Lichts sein können. Jagang bedient sich beider wegen ihres Geschicks im Umgang mit Magie. Ihr könnt nicht mit Sicherheit wissen, daß es eine Schwester der Finsternis war. Er läßt seine Späher schon den ganzen Winter und Frühling über von Schwestern begleiten.«
Die Mord-Sith stemmte sich mit den Knöcheln auf den kleinen Schreibtisch und beugte sich vor. »Aber wenn ich es Euch doch sage, Prälatin, es war eine Schwester der Finsternis.«
Verna sah keinen Sinn darin, zu widersprechen, zumal es ohnehin fast keine Rolle spielte. »Wenn Ihr es sagt, Rikka.«
Verna legte das Gesuch beiseite und widmete sich dem nächsten Blatt auf dem Stapel, der Bitte um eine Schwester, die vor Kindern über die Berufung der Schwestern des Lichts sprechen sollte, verbunden mit einem Vortrag über das Thema, warum der Schöpfer die Methoden der Imperialen Ordnung nicht billige und deshalb auf ihrer Seite stehe. Verna lächelte bei sich, als sie sich vorstellte, wie Zedd allein schon bei dem Gedanken, daß eine Schwester mitten in der Neuen Welt einen Vortrag über ihre Sicht dieser Dinge halten sollte, außer sich geriet.
Rikka richtete sich wieder auf. »Ich dachte mir, daß Ihr das sagen würdet.«
»Nun, seht Ihr, da habt Ihr es«, murmelte Verna, während sie die nächste Mitteilung der Schwestern des Lichts im Süden las, in der sie über die Gebirgspässe und die zu ihrer Absperrung getroffenen Maßnahmen berichteten.
»Rührt Euch nicht von der Stelle«, brummte Rikka, ehe sie wütend aus dem Zelt stürmte.
»Ich hatte nicht die Absicht, irgendwohin zu gehen«, seufzte Verna, während sie die detaillierte Darstellung überflog, doch die aufgebrachte blonde Frau war schon verschwunden.
Verna vernahm einen Tumult draußen vor dem Zelt; offenbar hielt Rikka jemandem eine bissige Strafpredigt. Diese Mord-Sith waren unverbesserlich, aber vermutlich mochte Verna sie – trotz allem – gerade deswegen.
Seit Warrens Tod allerdings war Verna nicht mehr recht mit dem Herzen bei der Sache. Sie tat, was sie tun mußte, versah ihre Pflicht, dennoch gelang es ihr nicht, dabei etwas anderes als Hoffnungslosigkeit zu empfinden. Der Mann, den sie liebte und den sie geheiratet hatte, der prächtigste Mensch auf der ganzen Welt ... lebte nicht mehr.
Seitdem war nichts mehr wirklich wichtig.
Verna war bemüht, ihre Rolle auszufüllen und den Erfordernissen zu genügen, weil so viele Menschen auf sie zählten, aber wenn sie ehrlich sein sollte, gab es nur einen Grund, weshalb sie sich fast zu Tode schuftete: Sie brauchte Ablenkung, sie mußte an etwas anderes denken als an Warren, was es auch sei. Es funktionierte nicht, aber sie klammerte sich daran.
Gedankenverloren zog sie ihr Reisebuch aus dem Gürtel. Was sie dazu veranlaßt haben mochte, wußte sie nicht, außer vielleicht, daß sie schon eine Weile nicht mehr nachgesehen hatte, ob es Nachricht von der echten Prälatin gab. Seit Kahlan ihr die Schuld für so vieles – nicht zuletzt am Ausbruch des Krieges – in die Schuhe geschoben hatte, machte auch Ann derzeit eine Krise durch. Verna fand, daß Kahlan ihr in vielem Unrecht tat, verstand aber durchaus, warum sie glaubte, Ann sei für das Chaos in ihrem Leben verantwortlich; eine Zeit lang hatte sie ebenso gedacht.
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