»Wie viele sind es?«, rief Richard Cara zu, als sie sich dem Wagen näherten.
»Achtundzwanzig, mit den vier oben in den Hügeln, die Torn erledigt hat, sowie dem einen hier.«
»Dann haben wir sie also alle erwischt«, stellte Richard erleichtert fest.
Kahlan spürte, wie seine Hand von ihrem Rücken glitt und sah ihn wankend stehen bleiben. Sie wußte nicht weshalb er nicht weiterging, und hielt ebenfalls an. Richard sank auf ein Knie hinunter. Sofort war Kahlan bei ihm, ging in die Hocke und legte ihm einen Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. Die Augen vor Schmerzen fest geschlossen, eine Hand auf den Unterleib gepresst krümmte er sich gequält.
Cara setzte sofort über die Seitenwand des Wagens hinweg und lief zu ihnen hinüber.
Trotz ihrer ungeheuren Erschöpfung war Kahlan mit einem Schlag hellwach. »Wir müssen augenblicklich zu den Sliph«, befand sie, gleichermaßen an Cara wie an Richard gewandt. »Wir müssen unbedingt zu Zedd. Wir brauchen dringend eine Erklärung – und Hilfe. Zedd wird uns gewiß helfen können.«
Das Atmen bereitete Richard mittlerweile große Mühe, bis er schließlich überhaupt kein Wort mehr hervorbrachte, weil ein Schmerzanfall ihn zwang, die Luft anzuhalten. Kahlan wußte weder aus noch ein und fühlte sich vollkommen hilflos.
»Lord Rahl«, redete die vor ihm kniende Cara auf ihn ein, »Ihr habt gelernt, den Schmerz zu beherrschen. Genau das müßt Ihr jetzt tun.« Mit ihrer Hand griff sie in sein Haar und bog seinen Kopf in den Nacken, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. »Denkt nach«, fuhr sie ihn an. »Versucht Euch zu erinnern. Weist den Schmerz in seine Schranken. So macht schon!«
Richard klammerte sich mit beiden Händen an ihren Unterarm, als wollte er ihr für ihre Worte danken. »Geht nicht«, brachte er schließlich unter großen Mühen an Kahlan gewandt hervor. »Wir können nicht durch die Sliph reisen.«
»Aber wir müssen«, beharrte sie. »Es ist der schnellste Weg.«
»Und was ist, wenn ich in die Sliph hinabsteige, das Quecksilber in meine Lungen atme – und meine Magie versagt?«
Kahlan war der Verzweiflung nahe. »Aber wir müssen durch die Sliph reisen, wenn wir ... schnell zu Nicci gelangen wollen.« Das Wörtchen »rechtzeitig« hatte sie bewußt vermieden.
»Und wenn irgend etwas schief geht, sterbe ich.« Keuchend versuchte er trotz der ungeheuren Schmerzen wieder zu Atem zu kommen. »Ohne Magie bedeutet es den Tod, wenn man die Sliph einatmet. Das Schwert versagt mir bereits seinen Dienst.« Er würgte, hustete, schnappte keuchend nach Luft. »Wenn meine Gabe die Ursache der Kopfschmerzen ist und sie auch das Versagen meiner Magie bewirkt, bin ich nach dem ersten Atemzug in der Sliph tot. Und die Möglichkeit, es vorher auszuprobieren, gibt es nicht.«
Eine eiskalte Woge von Angst schoß durch ihre Adern. Ein Besuch bei Zedd war Richards letzte Hoffnung. Ohne seine Hilfe waren die durch die Gabe verursachten Kopfschmerzen sein sicherer Tod.
Sie glaubte allerdings, den Grund für das Versagen der Magie des Schwertes zu kennen – an den Kopfschmerzen lag es jedenfalls nicht. Sie befürchtete, daß es dieselbe Ursache hatte, die auch für den Bruch des Siegels verantwortlich war. Das Warnzeichen war ein unmißverständlicher Hinweis darauf, daß sie die eigentliche Ursache war. In diesem Fall hatte sie auch noch so manches andere zu verantworten.
Wenn sie tatsächlich Recht hatte, wurde ihr schlagartig bewußt, dann stimmte auch, was Richard über die Sliph gesagt hatte: Eine Reise durch sie wäre sein sicherer Tod.
»Richard Rahl, statt meine besten Einfälle als undurchführbar abzulehnen, solltest du besser selbst den einen oder anderen Vorschlag machen.«
Mittlerweile wand er sich keuchend unter einer heftigen Schmerzattacke. Plötzlich sah Kahlan, daß er beim Husten Blut spuckte.
»Richard!«
Tom kam herbeigeeilt, einen bestürzten Ausdruck im Gesicht. Als er das Blut an Richards Kinn herunterrinnen sah, wurde er leichenblaß.
»Helft ihm auf den Wagen«, ordnete Kahlan an, um einen beherrschten Tonfall bemüht.
Cara legte seinen Arm über ihre Schulter. Tom schob ihm einen Arm um die Hüfte und half den beiden Frauen, ihn auf die Beine zu ziehen.
»Nicci«, stieß Richard hervor.
»Was?«
»Du wolltest doch wissen, ob ich eine Idee habe. Nicci.« Er stöhnte vor Schmerzen und hatte sichtlich Mühe, Luft zu holen. Als er hustete, erbrach er einen ganzen Schwall von Blut, das ihm in langen Fäden vom Kinn herabtroff.
Nicci war Hexenmeisterin und kein Zauberer, doch was Richard brauchte, war ein Zauberer. Selbst wenn sie gezwungen waren, den Landweg zu nehmen, konnten sie es bis zu ihr schaffen – vorausgesetzt, sie beeilten sich. »Aber Zedd könnte doch viel eher ...«
»Bis zu Zedd ist es zu weit«, stöhnte er. »Wir müssen zu Nicci. Sie weiß sich beider Seiten der Gabe zu bedienen.«
Das hatte Kahlan nicht bedacht. Womöglich konnte sie ihnen tatsächlich helfen.
Kahlan sah hoch zu Tom, der – nachdem sie Richard mit vereinten Kräften auf den Wagen gebettet hatten – bereits auf dem Bock saß. »Fahren wir und suchen uns einen Lagerplatz für die Nacht.«
Tom nickte und löste die Handbremse. Auf seine Aufforderung stemmten sich die Pferde mit ihrem ganzen Gewicht in die Kummete, und der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.
Betty hatte es sich leise meckernd neben dem zeitweilig bewußtlosen Richard bequem gemacht und ihren Kopf auf seine Schulter gelegt. Jennsen strich ihrer Ziege über den Kopf.
Kahlan sah, daß ihr Tränen über die Wangen liefen. »Tut mir leid, wegen Rusty.«
Betty hob den Kopf und gab ein klägliches Meckern von sich.
Jennsen nickte bloß. »Richard wird es schaffen«, sagte sie mit tränenerfüllter Stimme und ergriff Kahlans Hand. »Ich weiß es, ganz bestimmt.«
Zedd schaufelte soeben die achte Kelle Eintopf in seine Schale, als er ein Geräusch vernahm. Seine Hand erstarrte über dem sachte brodelnden Kessel. Vermutlich, so sein erster Gedanke, das leise Klingeln eines Glöckchens.
Zedd neigte weder zu Anfällen übersteigerter Phantasie, noch war er übermäßig nervös, trotzdem überlief ihn eine Gänsehaut, so als hätten ihn die eisigen Finger einer Seele aus dem Jenseits gestreift. Regungslos stand er da, halb über den überm Feuer hängenden Kessel gebeugt, halb zum Flur gedreht, und horchte.
Womöglich eine Katze. Vielleicht hatte er die feine Schnur nicht hoch genug gespannt, so daß eine darunter herlaufende Katze das Glöckchen mit ihrem Schwanz zum Klingen gebracht hatte. Vielleicht trieb eine Katze ihren Schabernack mit ihm und hatte das Glöckchen mit einer wedelnden Bewegung ihres Schwanzes ausgelöst. Eine Katze konnte es gewesen sein.
Oder aber ein Vogel hatte sich auf der Schnur niedergelassen, um dort zu übernachten. Ein Mensch hätte gar nicht die zusätzlich von ihm errichteten Schilde passieren können, um über eine der mit Glöckchen versehenen Schnüre zu stolpern. Nein, es mußte ein Tier gewesen sein – eine Katze oder ein Vogel.
Zum wiederholten Mal fragte er sich auch, wo eigentlich Adie abgeblieben war.
Allen plausiblen Erklärungsversuchen zum Trotz versuchten seine Haare sich nach Kräften aufzurichten. Vor allem gefiel ihm nicht, wie das Glöckchen ausgelöst worden war; etwas an der Art des Geräusches sagte ihm, daß es kein Tier gewesen sein konnte. Das Geräusch hatte zu entschieden, zu abrupt geklungen, war zu unvermittelt abgebrochen.
Auf einmal war er absolut sicher, daß tatsächlich ein Glöckchen erklungen war; das konnte schlichtweg keine Einbildung gewesen sein! Er versuchte, sich das Geräusch noch einmal in Erinnerung zu rufen, um dem Wesen, das gegen die Schnur gestoßen war, Gestalt zu verleihen.
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