Dem mochte Kahlan nicht widersprechen, trotzdem wollte sie sich mit dem Gedanken noch nicht recht anfreunden. »Nehmen wir einmal an, es verhält sich so, wie du denkst – daß wir ihn zufällig dabei ertappt haben, wie er uns nachspioniert. Warum hätten uns die Riesenkrähen dann angreifen sollen?«
Richards Stiefel wirbelte eine kleine Staubwolke auf, als er beiläufig nach einem kleinen Stein trat. »Ich weiß es nicht. Vielleicht war er einfach wütend, weil er sich verraten hatte.«
»Du meinst, er hat die Riesenkrähen aus Verärgerung veranlaßt, Bettys Junge zu töten und dich anzugreifen?«
Richard zuckte die Achseln. »Ich stelle nur eine Vermutung auf; das heißt nicht, daß es meiner Ansicht nach so gewesen sein muß.«
Schließlich sann er noch einmal darüber nach, und sein Ton bekam etwas Grüblerisches. »Denkbar wäre sogar, daß, wer immer sich der Riesenkrähen bedient, überhaupt nichts mit dem Angriff zu tun hatte. Vielleicht haben die Vögel aus eigenem Entschluß gehandelt.«
Kahlan stieß einen verzweifelten Seufzer aus. »Richard«, sagte sie, außerstande, ihre Zweifel länger für sich zu behalten, »ich weiß eine Menge über alle möglichen Arten von Magie, aber ich habe noch nie gehört, daß so etwas möglich wäre.«
Richard beugte sich zu ihr und betrachtete sie erneut mit seinen eindrucksvollen grauen Augen. »Mit der Magie in den Midlands kennst du dich hervorragend aus, aber möglicherweise gibt es hier unten Dinge, mit denen du noch nie in Berührung gekommen bist. Hattest du zum Beispiel, vor unserer Begegnung mit Jagang, jemals von einem Traumwandler gehört? Oder auch nur für möglich gehalten, es könnte so etwas geben?«
Kahlan biß sich verlegen auf die Unterlippe und betrachtete lange sein ernstes Gesicht. Richard war fernab aller Magie aufgewachsen – diese Dinge waren für ihn vollkommen neu –, in gewisser Weise aber war das eher von Vorteil, denn er hatte keine vorgefaßte Meinung, was möglich war und was nicht. Schließlich waren sie schon des Öfteren auf Dinge gestoßen, die bislang als beispiellos galten – was in Richards Augen auf so ziemlich alles zutraf, was irgendwie mit Magie zu tun hatte.
»Was sollen wir deiner Meinung nach also tun?«, wandte sie sich schließlich in vertraulichem Ton an ihn.
»Wir halten auf jeden Fall an unserem Plan fest.« Er blickte über seine Schulter und sah Cara links von ihnen in einiger Entfernung das Gelände erkunden. »Es gibt bestimmt eine Verbindung zu allem anderen.«
»Cara wollte uns doch nur beschützen.«
»Das weiß ich doch. Und wer weiß, vielleicht wäre alles noch viel schlimmer gekommen, hätte sie den Gegenstand einfach liegen lassen. Womöglich haben wir dadurch sogar Zeit gewonnen.«
Da war plötzlich wieder etwas in seinen Augen, etwas, das sie davon abhielt zu fragen, ob er denn glaube, daß die angesprochene Möglichkeit ihnen überhaupt weiterhelfen würde.
»Du hast Kopfschmerzen, hab ich Recht?«, fragte sie.
Sein Lächeln erlosch. »Ja. Sie sind zwar anders als damals, trotzdem bin ich einigermaßen sicher, daß sie die gleiche Ursache haben.«
Die Gabe – das war es, was er meinte.
»Wie meinst du das: Sie sind anders als damals? Und wenn sie tatsächlich anders sind, wie kommst du dann darauf, sie könnten dieselbe Ursache haben?«
Er überlegte einen Augenblick. »Erinnerst du dich noch, wie ich Jennsen erklärte, daß die Gabe nach Ausgewogenheit verlangt und ich das Kämpfen und Töten durch meinen Verzicht auf Fleisch ausgleichen muß?« Als sie nickte, fuhr er fort: »In diesem Augenblick wurden sie schlimmer.«
»Kopfschmerzen, auch diese Art, fühlen sich nicht immer gleich an.«
»Mag sein ...« Er legte die Stirn nachdenklich in Falten und schien nach den passenden Worten zu suchen. »Nein, eigentlich war es eher so, als waren sie durch das Gespräch über – oder auch nur den Gedanken an – die Notwendigkeit, als Ausgleich für die Gabe kein Fleisch zu essen, weiter in den Vordergrund gerückt und dadurch schlimmer geworden.«
Die Vorstellung behagte Kahlan ganz und gar nicht. »Willst du damit sagen, deine Gabe, die Ursache deiner Kopfschmerzen, versucht dich auf die Bedeutung der Ausgewogenheit in allem, was du mit der Gabe tust, aufmerksam zu machen?«
Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich weiß es nicht. Irgendwie scheint es noch komplizierter zu sein, nur komme ich offenbar einfach nicht darauf. Manchmal, wenn ich es versuche und den Gedankengang, einen Ausgleich für das Töten schaffen zu müssen, weiterverfolge, werden die Schmerzen so unerträglich, daß ich nicht länger darüber nachdenken kann.«
»Aber das ist noch nicht alles«, fügte er hinzu. »Möglicherweise gibt es ein Problem mit meiner Verbindung zur Magie des Schwertes.«
»Was? Wie ist das möglich?«
»Ich weiß es nicht.«
Kahlan versuchte zu verhindern, daß sich ihre Bestürzung auf ihre Stimme übertrug. »Bist du ganz sicher?«
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Eben nicht, das ist es ja. Aber als ich heute Morgen das Bedürfnis verspürte, das Schwert zu ziehen, schien sie sich irgendwie verändert zu haben. Fast war es, als widerstrebte es ihm, diesem Bedürfnis gerecht zu werden.«
Kahlan dachte einen Moment darüber nach. »Das könnte darauf hindeuten, daß die Kopfschmerzen diesmal eine andere Ursache haben. Vielleicht werden sie gar nicht von der Gabe hervorgerufen.«
Er widersprach: »Auch wenn sie in mancher Hinsicht anders sind, glaube ich trotzdem, daß meine Gabe sie verursacht. In einem Punkt jedenfalls verhalten sie sich ganz ähnlich wie beim letzten Mal: Sie werden allmählich immer unerträglicher.«
»Und was gedenkst du dagegen zu tun?«
Er hob die Arme in einer hilflosen Geste und ließ sie wieder fallen. »Im Augenblick bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als an unserem Plan festzuhalten.«
»Wir könnten Zedd aufsuchen. Wenn die Gabe, wie du vermutest, tatsächlich die Ursache ist, wird Zedd wissen, was zu tun ist. Er kann dir sicherlich helfen.«
»Glaubst du allen Ernstes, wir hätten auch nur den Hauch einer Chance, es rechtzeitig bis Aydindril zu schaffen? Auch ohne alles andere wäre ich, wenn die Gabe tatsächlich die Ursache der Kopfschmerzen ist, bereits mehrere Wochen tot, ehe wir den weiten Weg bis nach Aydindril zurückgelegt hätten. Und dabei habe ich noch nicht einmal die gewaltigen Schwierigkeiten berücksichtigt, die uns bei der Umgehung von Jagangs über die gesamten Midlands verteilten und vor allem unmittelbar vor Aydindril stehenden Truppen höchstwahrscheinlich erwarten.«
»Vielleicht steht er zur Zeit ja gar nicht dort.«
Richard trat erneut gegen ein auf dem Pfad liegendes Steinchen. »Glaubst du wirklich, Jagang würde die Burg der Zauberer mit allem, was sich darin befindet, einfach aufgeben – und uns diese magischen Objekte überlassen, damit wir sie gegen ihn verwenden?«
Zedd war der Oberste Zauberer. Für einen Mann von seinen Fähigkeiten war die Verteidigung der Burg der Zauberer gewiß kein unlösbares Problem, zumal er in Adie eine unschätzbare Hilfe hatte. Vermutlich wäre die alte Hexenmeisterin allein bereits imstande, einen solchen magischen Ort zu verteidigen. Zedd wußte, welche Bedeutung die Burg im Falle einer Eroberung für Jagang hätte, und würde sie mit allen Mitteln verteidigen.
»Jagang kann die dort errichteten Barrieren unmöglich überwinden«, sagte Kahlan. Zumindest in diesem Punkt konnten sie also ganz unbesorgt sein. »Das weiß er selbst auch, weshalb er seine Zeit wohl kaum damit vergeuden wird, dort sinnlos eine Armee in Stellung gehen zu lassen.«
»Da magst du Recht haben, es nützt uns leider trotzdem nichts – es ist einfach zu weit.«
Zu weit. Kahlan packte Richards Arm und zwang ihn, stehen zu bleiben. »Die Sliph. Wenn es uns gelingt, einen ihrer Brunnen ausfindig zu machen, könnten wir durch die Sliph reisen. Wir wissen von mindestens einem Brunnen hier in der Alten Welt – in Tanimura. Schon das wäre erheblich näher als eine Reise auf dem Landweg nach Aydindril.«
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