Ein Schatten bewegte sich an der anderen Kaminöffnung vorbei. Augenblicklich griff Egwene nach der Quelle - aber natürlich war nichts zu finden. Nicht, solange die Spaltwurzel ihren Verstand vernebelte. Aber da war definitiv jemand vor dem Kamin, der sich bückte und mit leisen Bewegungen ...
Egwene packte den Kratzer fester und griff mit der anderen Hand langsam nach der Bürste, mit der sie die Asche aufgewischt hatte. Dann fuhr sie herum.
Laras erstarrte, spähte in den Kamin. Die Herrin der Küchen trug eine große weiße Schürze, die ebenfalls mit ein paar Rußflecken beschmutzt war. Ihr dickes rundes Gesicht hatte seinen Anteil an Wintern gesehen; ihr Haar fing an grau zu werden, tiefe Falten gingen von ihren Augen aus. Wie sie sich so vorbeugte, bildeten ihre Wangen ein zweites, drittes und viertes Kinn, und sie hielt sich mit den dicken Fingern an der Kaminöffnung fest.
Egwene entspannte sich. Warum war sie sich so sicher gewesen, dass sich jemand anschlich? Es war nur Laras, die sie kontrollieren kam.
Aber warum war die Frau so leise? Mit zusammengekniffenen Augen spähte Laras zur Seite. Dann hob sie einen Finger an die Lippen. Egwene fühlte, wie die Anspannung wieder von ihr Besitz ergriff. Was ging hier vor?
Laras bewegte sich rückwärts aus dem Kamin und bedeutete Egwene, ihr zu folgen. Die Herrin der Küchen bewegte sich anmutig und viel leiser, als sie für möglich gehalten hätte. In anderen Teilen der Küche arbeiteten Hilfsköche und Küchenjungen, aber niemand war direkt zu sehen. Egwene kroch aus dem Kamin, schob den Kratzer in den Gürtel und wischte sich die Hände am Kleid ab. Dann zog sie das Tuch vom Gesicht und atmete die süße rußfreie Luft. Sie tat einen tiefen Atemzug und kassierte einen bösen Blick von Laras, dem ein weiterer Finger an die Lippen folgte.
Egwene nickte und folgte Laras durch die Küche. Wenige Augenblicke später standen sie in einer Speisekammer, in der der Duft von getrocknetem Getreide und alterndem Käse in der Luft hing. Hier wichen die Fliesen beständigeren Ziegeln. Laras schob ein paar Säcke zur Seite und hob ein Stück des Bodens an. Es handelte sich um eine hölzerne Falltür, deren Oberseite mit schmalen Ziegeln besetzt war, um sie wie einen Teil des Bodens aussehen zu lassen. Sie enthüllte einen kleinen Raum mit Felswänden, groß genug für eine Person, auch wenn es für einen hochgewachsenen Mann etwas eng gewesen wäre.
»Ihr wartet dort bis zum Einbruch der Nacht«, sagte Laras leise. »Ich kann Euch jetzt nicht rausschaffen, nicht, wenn es in der Burg so hektisch zugeht wie auf einem Hühnerhof, auf dem der Fuchs umgeht. Aber spät in der Nacht wird der Abfall herausgeschafft, und ich verstecke Euch unter den Mädchen, die ihn abladen. Ein Hafenarbeiter bringt Euch dann zu einem kleinen Boot und rudert Euch über den Fluss. Ich habe Freunde bei der Wache; sie werden wegschauen. Sobald Ihr die andere Seite erreicht habt, seid Ihr auf Euch gestellt. Ich rate Euch ab, zurück zu diesen Narren zu gehen, die Euch zu ihrer Marionette gemacht haben. Findet einen Ort, an dem Ihr Euch verstecken könnt, bis das alles vorbei ist, dann kommt zurück und seht, ob Euch diejenige wieder aufnimmt, die dann das Sagen hat. Unwahrscheinlich, dass das Elaida sein wird, so wie die Dinge laufen ...«
Egwene blinzelte überrascht.
»Nun«, sagte die dicke Frau. »Hinein mit Euch.«
»Ich ...«
»Keine Zeit für Geplauder!«, sagte Laras, als wäre sie nicht die Einzige, die hier redete. Offensichtlich war sie nervös, so wie sie sich ständig umsah und mit dem Fuß auftippte. Aber offensichtlich hatte sie so etwas schon zuvor getan. Warum war eine einfache Köchin der Weißen Burg so geschickt in verstohlenen Unternehmungen, hatte mühelos einen Plan, Egwene aus der befestigten und belagerten Stadt zu schaffen? Und warum hatte sie überhaupt ein Versteck in der Küche? Beim Licht! Wie hatte sie das überhaupt erschaffen?
»Sorgt Euch nicht um mich«, sagte Laras und musterte Egwene. »Ich komme schon zurecht. Ich halte das Küchenpersonal von Eurer Arbeitsstelle fern. Diese Aes Sedai sehen nur ungefähr jede halbe Stunde nach Euch - und da sie vor einer Minute da waren, wird es eine Weile dauern, bis sie wieder da sind. Wenn sie es dann tun, kann ich Unwissenheit vorschützen, und alle werden glauben, dass Ihr Euch aus der Küche geschlichen habt. Wir haben Euch bald aus der Stadt, und keiner wird etwas merken.«
»Ja«, sagte Egwene, die endlich ihre Stimme wiederfand, »aber warum?« Sie hätte angenommen, dass Laras nicht darauf versessen war, noch einem Flüchtling zu helfen, nicht, nachdem sie schon Min und Siuan bei der Flucht geholfen hatte.
Laras erwiderte ihren Blick; die Entschlossenheit in ihren Augen war so unumstößlich wie die einer jeden Aes Sedai. Egwene hatte diese Frau offenbar übersehen! Wer war sie wirklich?
»Ich werde nicht dabei helfen, den Willen eines Mädchens zu brechen«, sagte Laras ernst. »Diese Prügelstrafen sind beschämend! Diese dummen Aes Sedai. All die Jahre habe ich loyal gedient, das habe ich wirklich, aber jetzt hat man mir befohlen, Euch so hart zu schinden, wie ich kann, und das auf unbestimmte Zeit. Nun, ich erkenne, wenn ein Mädchen nicht länger unterrichtet und stattdessen niedergeknüppelt werden soll. Das lasse ich nicht zu, nicht in meiner Küche. Das Licht soll Elaida verbrennen, wenn sie tatsächlich glaubt, sie könnte so etwas tun! Mir ist egal, ob sie Euch hinrichtet oder zur Novizin macht. Aber dieser Versuch, Euren Geist zu brechen, ist nicht akzeptabel!«
Die Frau stemmte beide Hände in die Hüften, eine Mehlwolke flog aus ihrer Schürze. Seltsamerweise ertappte sich Egwene dabei, ernsthaft über das Angebot nachzudenken. Sie hatte Siuans Rettungsangebot abgelehnt, aber wenn sie jetzt floh, würde sie ins Rebellenlager zurückkehren, nachdem sie aus eigener Kraft entkommen war. Das wäre viel besser, als gerettet zu werden. Sie konnte all dem hier entkommen, den ewigen Schlägen, der sinnlosen Schinderei.
Um was zu tun? Draußen zu sitzen und zuzusehen, wie die Burg in sich zusammenbrach?
»Nein«, sagte sie. »Euer Angebot ist sehr großzügig, aber ich kann das nicht annehmen. Es tut mir leid.«
Laras runzelte die Stirn. »Also jetzt hört genau zu ...«
»Laras«, unterbrach Egwene sie, »diesen Ton schlägt man nicht gegenüber einer Aes Sedai an, auch die Herrin der Küchen nicht.«
Laras zögerte. »Dummes Mädchen. Ihr seid keine Aes Sedai.«
»Akzeptiert es oder lasst es, ich kann trotzdem nicht gehen. Wenn Ihr also nicht vorhabt, mich selbst in dieses Loch zu stecken - und mich fesselt und knebelt, damit ich nicht schreie, und mich persönlich über den Fluss schafft -, schlage ich vor, dass Ihr mich zurück an die Arbeit lasst.«
»Aber warum?«
Egwene schaute zurück in Richtung Kamin. »Weil jemand sie bekämpfen muss.«
»So könnt Ihr aber nicht kämpfen.«
»Jeder Tag ist eine Schlacht. Jeder Tag, an dem ich mich nicht beuge, bedeutet etwas. Selbst wenn es allein Elaida und ihre Roten erfahren, bedeutet es etwas. Nur eine Kleinigkeit, aber immer noch mehr, als ich von draußen erreichen könnte. Kommt. Ich muss noch zwei Stunden arbeiten.«
Sie drehte sich um und verließ die Speisekammer. Eine zögernde Laras schloss die Falltür zu ihrem Versteck und folgte ihr dann. Jetzt machte sie beim Gehen viel mehr Lärm, strich an Theken vorbei, trat lautstark auf. Seltsam, dass sie so leise sein konnte, wenn sie nur wollte.
Rotes Tuch blitzte auf, wie das Blut eines toten Hasen im Schnee, eilte durch die Küche. Egwene erstarrte, als Katerine sie erspähte. Die Aes Sedai trug ein Kleid mit einem blutroten Rock und gelbem Besatz. Ihre Lippen waren verkniffen, die Augen ganz schmal. Hatte sie gesehen, wie sich Laras und Egwene verdrückten?
Laras erstarrte.
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