Egwene begriff es nicht. Wollte man sie wieder zur Aufgenommenen erheben? Sie bezweifelte, dass Elaida ihr mehr Freiheiten zugestehen würde, und sie verbrachte nur selten Zeit in ihrem Zimmer, also würde der zusätzliche Platz nicht wichtig sein.
»Nein«, sagte Katerine und spielte mit den Fransen ihrer Stola. »Man hat entschieden, dass Ihr mehr Demut lernen müsst. Die Amyrlin hat von Eurer albernen Weigerung gehört, vor den Schwestern einen Knicks zu machen. Ihrer Meinung nach ist das das letzte Symbol Eurer trotzigen Natur, also sollt Ihr eine neue Art von Unterricht erhalten.«
Egwene verspürte einen Anflug von Furcht. »Was für ein Unterricht?«, fragte sie mit beherrschter Stimme.
»Arbeit«, erwiderte Katerine.
»Ich erledige bereits meine Arbeit, genau wie die Novizinnen.«
»Ihr versteht nicht«, sagte Katerine. »Von jetzt an werdet Ihr nur noch Hausarbeit erledigen. Ihr habt Euch sofort in der Küche zu melden - Ihr werdet dort jeden Nachmittag arbeiten. Am Abend werdet Ihr die Böden schrubben. Am Morgen meldet Ihr Euch beim Burgmeister zur Arbeit in den Gärten. Das wird Euer Leben sein, jeden Tag die gleichen drei Aktivitäten - jede von ihnen fünf Stunden lang -, bis Ihr Euren dummen Stolz aufgebt und lernt, den Euch Höhergestellten den nötigen Respekt zu erweisen.«
Das war das Ende von Egwenes Freiheit, so gering sie auch sein mochte. In Katerines Augen funkelte Schadenfreude.
»Ah, Ihr habt es begriffen. Schluss mit den Besuchen in Schwesterngemächern, um ihre Zeit mit dem Üben von Geweben zu verschwenden, die Ihr bereits gemeistert habt. Schluss mit der Faulheit; jetzt werdet Ihr stattdessen arbeiten. Wie findet Ihr das?«
Es war nicht der Gedanke an schwere Arbeit, der Egwene Sorgen bereitete - sie hatte nichts gegen die Hausarbeiten, die sie jeden Tag verrichtete. Es war der mangelnde Kontakt mit den anderen Schwestern, der sie vernichten würde. Wie sollte sie die Weiße Burg wieder vereinen? Beim Licht! Das war eine Katastrophe.
Sie biss die Zähne zusammen und bezwang ihre Gefühle. Dann erwiderte sie Katerines Blick und sagte: »Gut. Lasst uns gehen.«
Katerine blinzelte. Offensichtlich hatte sie einen Wutanfall erwartet oder zumindest eine Auseinandersetzung. Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Egwene wandte ihre Schritte der Küche zu und ließ das Quartier der Weißen hinter sich zurück. Sie durfte sie nicht wissen lassen, wie effektiv diese Bestrafung war.
Unterwegs kämpfte sie ihre Panik nieder; die höhlenartigen Gänge in den Tiefen der Burg waren mit in Haltern steckenden, langen und geschmeidigen Lampen versehen, die an Schlangenköpfe erinnerten, die winzige Flammen zur Decke spuckten. Sie konnte damit fertig werden. Sie würde damit fertig werden. Sie würden sie nicht brechen.
Vielleicht sollte sie ein paar Tage lang arbeiten und dann so tun, als hätte man ihr Demut eingebläut. Sollte sie den Knicks machen, den Elaida forderte? Eigentlich war das nur eine Kleinigkeit. Ein Knicks, und sie könnte sich wieder um ihre wichtigeren Pflichten kümmern.
Nein. Nein, damit würde es nicht aufhören. Ich würde in dem Augenblick verlieren, in dem ich das erste Mal einen Knicks mache.
Nachzugeben würde Elaida beweisen, dass man ihren Willen brechen konnte. Den Knicks zu machen wäre der Anfang in den Abstieg in die Vernichtung. Danach würde Elaida verlangen, dass sie die Aes Sedai mit ihrem Ehrentitel ansprach. Die falsche Amyrlin würde sie zurück an die Arbeit schicken, in dem Wissen, dass es schon einmal funktioniert hatte. Würde sie sich dann auch beugen? Wie lange würde es wohl dauern, bevor sie jegliche Glaubwürdigkeit verspielt hatte und in die Fliesen der Burgkorridore getrampelt worden war?
Sie konnte sich nicht beugen. Die Prügelstrafen hatten ihr Verhalten nicht beeinflussen können; der Arbeitseinsatz durfte sie ebenfalls nicht verändern.
Drei Stunden Arbeit in der Küche konnten ihre Stimmung kaum aufhellen. Laras, die derbe Herrin der Küchen, hatte ihr befohlen, einen der kaminähnlichen Öfen zu schrubben. Es war eine schmutzige Arbeit, die Nachdenken nicht förderte. Nicht, dass es viele Auswege aus ihrer Situation gegeben hätte.
Egwene hockte sich auf die Fersen, hob den Arm und fuhr sich über die Stirn. Nun war auch der Ärmel voller Ruß. Sie seufzte leise; Mund und Nase wurden von einem feuchten Tuch geschützt, um nicht zu viel Asche einzuatmen. Ihr Atem fühlte sich heiß und stickig an, auf ihrer Haut klebte der Schweiß. Die Tropfen, die sich von ihrem Gesicht lösten, waren ebenfalls mit Ruß geschwärzt. Durch das Tuch konnte sie den dumpfen Geruch der Asche riechen, die zahllose Male verbrannt worden war.
Der Kaminofen war eine rechteckige Konstruktion aus gebrannten roten Ziegeln. An beiden Seiten offen war er groß genug, dass man hineinkriechen konnte - was Egwene auch tun musste. Auf der Innenseite des Abzugs hatten sich dunkle Krusten gebildet, die man abschrubben musste, damit sie den Kamin nicht irgendwann verstopften oder sich lösten und ins Essen fielen. Draußen im Speisesaal konnte sie Katerine und Lirene plaudern und lachen hören. Gelegentlich steckten die Roten den Kopf durch die Tür, um sie zu überprüfen, aber ihre eigentliche Aufpasserin war Laras, die auf der anderen Seite des Raumes Töpfe spülte.
Für diese Arbeit war Egwene in ein Arbeitskleid geschlüpft. Einst war es weiß gewesen, aber Novizinnen hatten es speziell zum Ofenreinigen benutzt, und der Ruß hatte sich im Stoff festgesetzt. Überall wies er graue Flecken auf, wie Schatten.
Sie rieb sich das Kreuz, ließ sich wieder auf Hände und Knie nieder und kroch tiefer in den Kamin. Mit einem kleinen Holzkratzer stocherte sie Ascheklumpen aus den Spalten zwischen den Ziegeln, dann sammelte sie sie auf und warf sie in Messingeimer, deren Ränder weiß und grau mit Asche gepudert waren. Ihre erste Aufgabe hatte darin bestanden, sämtlichen losen Ruß herauszugraben und in die Eimer zu füllen. Ihre Hände waren von der Arbeit so schwarz geworden, dass sie Angst hatte, sie selbst durch gründliches Schrubben nicht mehr sauber zu bekommen. Ihre Knie schmerzten, und sie bildeten ein seltsames Gegengewicht zu ihrem Hintern, der noch immer von den Morgenprügeln schmerzte.
Sie arbeitete weiter, kratzte an den geschwärzten Ziegeln herum. Eine Laterne, die sie an der Ecke des Kamins platziert hatte, sorgte für schwaches Licht. Es hatte sie in den Fingern gejuckt, die Eine Macht zu benutzen, aber die Roten draußen würden mitbekommen, dass sie die Macht lenkte. Außerdem hatte sie entdeckt, dass die Nachmittagsdosis Spaltwurzel uncharakteristisch stark gewesen war, sodass sie kaum mehr als ein Tröpfeln hätte lenken können. Tatsächlich war sie stark genug gewesen, um sie schläfrig zu machen, was die Arbeit noch viel schwerer machte.
Sollte ihr Leben von jetzt an so aussehen? Gefangen in einem Kamin, um Ziegel abzukratzen, die nie jemand zu Gesicht bekam, abgeschnitten von der Welt? Sie konnte Elaida nicht entgegentreten, wenn sie jeder vergessen hatte. Sie hustete leise, und der Laut hallte durch das Kamininnere.
Sie brauchte einen Plan. Ihre einzige Möglichkeit schienen die Schwestern zu sein, die versuchten, die Schwarzen Ajah zu entlarven. Aber wie sollte sie sie besuchen? Ohne den Unterricht durch die Schwestern konnte sie ihren Roten Aufpassern nicht entkommen, indem sie die Domänen anderer Ajahs betrat. Konnte sie sich irgendwie während der Arbeit wegschleichen? Sollte man ihre Abwesenheit entdecken, würde sie möglicherweise in einer noch schlimmeren Situation enden.
Aber sie konnte nicht zulassen, dass ihr Leben von dieser unwürdigen Arbeit bestimmt wurde! Die Letzte Schlacht nahte, der Wiedergeborene Drache streifte frei umher, und die Amyrlin säuberte auf Händen und Knien irgendwelche Kamine! Wütend kratzte sie weiter. Der Ruß war so lange festgebacken, dass er den Stein wie eine funkelnde schwarze Patina bedeckte. Sie würde niemals alles abbekommen. Sie musste nur dafür sorgen, dass alles sauber genug war, dass sich nichts davon lösen würde.
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