Mat zuckte mit den Schultern. »Ihr seid eine Aes Sedai. Ich nehme an, Ihr habt es … Ihr wisst schon, gesaidart.«
»Gesaidart ?«, fragte sie tonlos.
Erneut zuckte er mit den Schultern.
»Matrim, ich erhielt dieses Blatt…«
»Nennt mich Mat«, sagte er.
»Ich erhielt dieses Blatt von einem Schattenfreund, Matrim«, sagte sie, »der mich für eine Dienerin des Schattens hielt und mir berichtete, dass die Verlorenen den Befehl gaben, die abgebildeten Männer zu töten. Ihr und Perrin schwebt in tödlicher Gefahr.«
»Das überrascht mich nicht«, erwiderte er und verbarg das Frösteln, das ihre Erklärung bei ihm auslöste. »Verin, seit dem Tag, an dem ich die Zwei Flüsse verließ, wollen mich Schattenfreunde umbringen.« Er hielt inne. »Soll man mich doch zu Asche verbrennen, seit dem Tag, bevor ich die Zwei Flüsse verließ. Was sollte das daran ändern?«
»Das ist anders«, erwiderte Verin mit strengem Tonfall. »Die Gefahr, in der Ihr nun schwebt… ich … nun, einigen wir uns doch einfach darauf, dass Ihr in großer, wirklich großer Gefahr schwebt. Ich schlage vor, dass Ihr in den nächsten Wochen ausgesprochen vorsichtig seid.«
»Ich bin immer vorsichtig«, sagte Mat.
»Nun, dann seid noch vorsichtiger«, meinte sie. »Versteckt Euch. Geht keine Risiken ein. Ihr seid unentbehrlich, bevor das hier vorbei ist.«
Er zuckte mit den Schultern. Sich verbergen? Das war machbar. Mit Thoms Hilfe würde er sich so verkleiden können, dass ihn nicht einmal seine Schwestern wiedererkannt hätten. »Das kann ich machen«, sagte er. »Nicht gerade ein hoher Preis. Wie lange braucht Ihr, um uns nach Caemlyn zu schaffen?«
»Das war nicht mein Preis, Matrim«, sagte sie amüsiert. »Das war ein Vorschlag. Auf den Ihr meiner Meinung nach unbedingt hören solltet.« Sie schob ein kleines, zusammengefaltetes Blatt Pergament unter dem Bild hervor. Es war mit blutrotem Wachs versiegelt.
Mat nahm es zögernd. »Ist er das?«
»Anweisungen«, sagte Verin. »Die Ihr am zehnten Tag, nachdem ich Euch in Caemlyn zurücklasse, ausführen werdet. «
Er kratzte sich am Hals, runzelte die Stirn; dann wollte er das Siegel brechen.
»Ihr werdet sie nicht vor diesem Tag öffnen«, sagte Verin.
»Was?«, protestierte Mat. »Aber …«
»Das ist mein Preis«, sagte Verin schlicht.
»Verdammte Frau«, erwiderte er und betrachtete den Brief. »Ich werde doch keinen Schwur leisten, ohne vorher zu wissen, worum es geht.«
»Matrim, ich bezweifle, dass Euch meine Anweisungen schwerfallen werden.«
Einen Augenblick lang betrachtete Mat das Siegel stirnrunzelnd, dann stand er auf. »Ich passe.«
Sie schürzte die Lippen. »Matrim, Ihr …«
»Nennt mich Mat«, sagte er und nahm seinen Hut von einem Kissen. »Und ich sagte, es gibt keinen Handel. In zwanzig Tagen bin ich sowieso in Caemlyn.« Er schob den Zelteingang zur Seite und zeigte nach draußen. »Ihr werdet mich nicht einwickeln, Frau.«
Sie bewegte sich nicht, runzelte aber die Stirn. »Ich hatte ganz vergessen, wie schwierig Ihr sein könnt.«
»Und stolz darauf«, sagte Mat.
»Und wenn wir einen Kompromiss schließen?«
»Ihr verratet mir, was in dem verdammten Brief steht?«
»Nein«, sagte Verin. »Denn es könnte sein, dass Ihr Euch gar nicht um den Inhalt kümmern müsst. Ich hoffe, ich kann zurückkehren, Euch den Brief wieder abnehmen und Euch Eurer Wege schicken. Aber falls nicht…«
»Wie soll der Kompromiss aussehen?«
»Ihr braucht den Brief nicht zu öffnen, wenn Ihr nicht wollt«, sagte Verin. »Verbrennt ihn. Aber solltet Ihr das tun, wartet Ihr fünfzig Tage in Caemlyn, nur für den Fall, dass ich länger für meine Rückkehr brauche als gedacht.«
Das ließ ihn innehalten. Fünfzig Tage waren eine lange Zeit, um auf jemanden zu warten. Aber wenn er es in Caemlyn tun konnte, statt allein unterwegs sein zu müssen …
Ob Elayne in der Stadt war? Seit ihrer Flucht aus Ebou Dar sorgte er sich um sie. War sie dort, würde er zumindest mit der Produktion von Aludras Drachen anfangen können.
Aber fünfzig Tage? Einfach nur warten? Entweder das oder den verdammten Brief aufmachen und das tun, was dort stand? Ihm gefiel beides nicht. »Zwanzig Tage«, sagte er.
»Dreißig Tage«, erwiderte sie, stand auf und hob den Finger, um jeden Einspruch zu unterbinden. »Ein Kompromiss, Mat. Was Aes Sedai angeht, so werdet Ihr entdecken, dass ich wesentlich zugänglicher als andere bin.« Sie streckte die Hand aus.
Dreißig Tage. Dreißig Tage konnte er warten. Er betrachtete den Brief. Er konnte der Versuchung widerstehen, ihn zu öffnen, und dreißig Tage zu warten kostete ihn wirklich nicht viel Zeit. Es war nur etwas länger, als er ohnehin für den Weg nach Caemlyn gebraucht hätte. Tatsächlich war das ein verdammtes Schnäppchen! Er brauchte ein paar Wochen, um das Projekt mit den Drachen auf die Beine zu stellen, und er brauchte Zeit, um mehr über den Turm von Ghenjei und die Schlangen und Füchse herauszufinden. Thom konnte sich nicht beschweren - nicht, wenn es sie sowieso zwei Wochen kostete, um Caemlyn zu erreichen.
Verin musterte ihn, einen Anflug von Sorge auf dem Gesicht. Er durfte sie nicht wissen lassen, wie erfreut er war. Sollte sie das erfahren, würde sie eine Möglichkeit finden, ihn dafür bezahlen zu lassen.
»Dreißig Tage«, sagte Mat zögernd und ergriff ihre Hand. »Aber danach kann ich gehen.«
»Oder Ihr öffnet den Brief nach zehn Tagen und tut, was dort steht. Eines von beiden, Matrim. Habe ich Euer Wort?«
»Das habt Ihr. Aber ich werde den verdammten Brief nicht öffnen. Ich warte dreißig Tage und kümmere mich dann um meine Angelegenheiten.«
»Wir werden sehen«, sagte sie mit einem feinen Lächeln und ließ seine Hand los. Sie faltete sein Bild zusammen, dann zog sie eine kleine, in Leder gebundene Mappe aus der Tasche. Sie öffnete sie und schob das Bild hinein, und als sie das tat, bemerkte er, dass sie dort einen kleinen Stapel versiegelter Briefe aufbewahrte, die genau wie der aussahen, den er in der Hand hielt. Welchem Zweck dienten sie?
Sobald die Briefe wieder sicher in ihrer Tasche ruhten, zog sie einen kleinen, durchsichtigen, geschnittenen Stein hervor - eine wie eine Lilie geformte Brosche. » Fangt damit an, Euer Lager abzubrechen, Matrim. Ich muss das Wegetor so schnell wie möglich erschaffen. Ich muss selbst bald Reisen.«
»Gut.« Matt schaute auf den versiegelten Brief in seiner Hand. Warum war Verin nur so geheimnisvoll?
Verdammt!, dachte er. Ich werde ihn nicht öffnen. Niemals. »Mandevwin«, sagte er. »Beschafft Verin Sedai ein eigenes Zelt, in dem sie warten kann, während wir das Lager abbrechen. Teilt ihr ein paar Soldaten zu, die sie mit dem versorgen sollen, was sie braucht. Und informiert die anderen Aes Sedai darüber, dass sie hier ist. Vermutlich interessiert es sie, von ihrer Ankunft zu hören. Aes Sedai sind schließlich Aes Sedai.«
Er schob den Brief unter den Gürtel, dann setzte er sich in Bewegung. »Und lasst jemanden diese verdammte Bank verbrennen. Einfach unfassbar, dass wir dieses Ding so weit mitgeschleppt haben.«
Tuon war tot. Fort, weggeworfen, vergessen. Tuon war die Tochter der Neun Monde gewesen. Jetzt war sie nur noch eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern. Fortuona war die Kaiserin.
Fortuona Athaem Devi Paendrag küsste den Soldaten sanft auf die Stirn, der mit gesenktem Haupt im kurzen Gras kniete. Die schwüle altaranische Hitze erweckte den Eindruck, als wäre der Sommer bereits eingetroffen, aber das Gras, das noch vor wenigen Wochen so voller Leben erschienen war, fing bereits an zu verdorren. Wo waren das Unkraut und die Disteln? In der letzten Zeit wuchs nichts mehr so, wie es sollte. Genau wie das Getreide verdarb alles und starb, bevor es richtig lebte.
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