Mitten in der Nacht kam jedoch der Wirt. Zerknirscht erklärte er mir, ich müsse in ein anderes Zimmer umziehen. Anscheinend hatte man im Dach über meinem Raum eine undichte Stelle entdeckt, und es würde bald durch die Decke tropfen. Ich protestierte, aber er bestand darauf.
Also zog ich auf die andere Seite des Korridors und fing an, mir dieses Zimmer einzuprägen. Ich hatte gerade das Gefühl, es gut genug zu kennen, um ein Wegetor öffnen zu können, da wurde ich erneut unterbrochen. Dieses Mal erklärte mir der Wirt noch verlegener als zuvor, dass seine Frau hier beim morgendlichen Putzen ihren Ring verloren hätte. Die Frau wachte mitten in der Nacht auf und war sehr aufgebracht. Der Wirt, der sehr müde aussah, wollte mich erneut umquartieren.«
»Und?«, fragte Mat. »Zufälle, Verin.«
Sie hob eine Braue, dann lächelte sie, als er schon wieder auf der Bank herumrutschte. Verflucht, das war kein unbehagliches Winden!
»Ich weigerte mich umzuziehen, Matrim«, fuhr Verin fort. »Ich sagte dem Wirt, er könnte das Zimmer gern durchsuchen, nachdem ich weg bin, und versprach, dass, sollte ich Ringe entdecken, ich sie nicht mitnehmen würde. Dann schloss ich energisch die Tür.« Sie trank einen Schluck. »Ein paar Minuten später brannte das Gasthaus - ein Scheit rollte aus dem Kamin zu Boden und brannte das ganze Gebäude bis auf die Grundmauern nieder. Glücklicherweise konnten alle entkommen, aber das Haus war zerstört. Müde und erschöpft mussten Tomas und ich ins nächste Dorf und dort ein Zimmer nehmen. «
»Klingt immer noch wie ein Zufall.«
»Das ging dann drei Tage lang so weiter«, sagte Verin. »Ich wurde selbst dann unterbrochen, wenn ich versuchte, mir einen Platz außerhalb eines Gebäudes zu merken. Zufällige Passanten baten um Feuer, ein umstürzender Baum krachte ins Lager, eine Herde Schafe lief vorbei, ein Sturm brach aus. Verschiedene zufällige Geschehnisse verhinderten immer, dass ich mich mit der Gegend vertraut machen konnte.«
Talmanes pfiff leise. Verin nickte. »Immer ging etwas schief, wenn ich versuchte, mir die Umgebung meinem Gedächtnis anzuvertrauen. Unweigerlich musste ich aus irgendeinem Grund weiterziehen. Entschied ich mich allerdings, mir den Ort nicht einzuprägen und kein Wegetor zu erschaffen, passierte nichts. Eine andere Person wäre vermutlich einfach weitergereist und hätte das mit den Wegetoren einfach sein lassen, aber da setzte sich meine Natur durch, und ich fing an, das Phänomen zu studieren. Es trat ziemlich regelmäßig ein.«
Verdammte Asche. Das war genau die Art von Sache, die Rand anderen Leuten antat. Und nicht Mat. »Eurem Bericht zufolge solltet Ihr eigentlich noch in Tear sein.«
»Ja«, erwiderte sie, »aber bald verspürte ich dieses Ziehen. Jemand lockte mich. Als hätte …«
Wieder rutschte Mat herum. »Als hätte jemand einen verdammten Angelhaken an Euch befestigt? Und er steht weit entfernt und zieht vorsichtig, aber beharrlich daran?«
»Ja«, sagte Verin. Sie lächelte. »Welch kluge Beschreibung.« Mat reagierte nicht.
»Also entschied ich mich, meine Reise mit herkömmlicheren Methoden fortzusetzen. Vielleicht hatte meine Unfähigkeit, Reisen zu können, ja etwas mit der Nähe zu al’Thor zu tun, vielleicht auch die langsame Auflösung des Musters durch den Einfluss des Dunklen Königs. Ich sicherte mir einen Platz in einer Handelskarawane, die nach Norden in Richtung Cairhien reiste. Sie hatten einen leeren Wagen, den sie für einen vernünftigen Preis vermieteten. Ich war ziemlich erschöpft von den Tagen, an denen ich rund um die Uhr wegen Bränden, schreienden Kleinkindern und ständigen Umzügen von einem Zimmer ins nächste wach geblieben war. Darum schlief ich länger, als ich es hätte tun sollen. Auch Tomas nickte ein.
Als wir erwachten, mussten wir zu unserer Überraschung entdecken, dass die Karawane nach Nordwesten abgebogen war, statt nach Cairhien zu fahren. Ich sprach mit dem Karawanenmeister, und er erklärte mir, dass er in letzter Minute einen Tipp bekommen hätte, dass seine Waren in Murandy einen viel besseren Preis erzielen würden als in Cairhien. Als er darüber nachdachte, erwähnte er, dass er mir die Änderung wirklich hätte mitteilen sollen, er es aber einfach vergessen hätte.«
Sie trank noch einen Schluck. »Da wusste ich dann mit Sicherheit, dass man mich lenkte. Vermutlich wäre das den meisten nicht aufgefallen, aber ich habe die Natur des ta’veren studiert. Die Karawane war nicht weit nach Murandy gekommen, nur einen Tag, aber zusammen mit dem Zupfen reichte das aus. Ich sprach mit Tomas, und wir entschieden uns, nicht in die Richtung zu gehen, in die es uns hinzog. Das Gleiten ist ein minderwertiger Ersatz für das Reisen, aber es gibt nicht die Einschränkung, die Umgebung genau kennen zu müssen. Ich öffnete ein Tor, aber als wir das Ende unserer Reise erreichten, standen wir nicht in Tar Valon, sondern in einem kleinen Dorf im Norden von Murandy!
Das hätte nicht möglich sein dürfen. Aber als wir darüber nachdachten, wurde Tomas und mir klar, dass er von einem schönen fagdausflug erzählt hatte, den er in einem Dorf namens Trustair gemacht hatte, und ich hatte das Tor in genau diesem Augenblick geöffnet. Ich musste mich auf den falschen Ort konzentriert haben.«
»Und hier sind wir nun«, sagte Tomas und sah sehr unzufrieden aus, wie er da mit verschränkten Armen hinter dem Stuhl seiner Aes Sedai stand.
»In der Tat«, sagte Verin. »Seltsam, findet Ihr nicht, junger Matrim? Zufällig lande ich hier direkt auf Eurem Weg, genau in dem Augenblick, in dem Ihr jemanden braucht, der für Euer Heer ein Wegetor erschafft?«
»Könnte trotzdem ein Zufall sein.«
»Und die Anziehung?«
Darauf hatte er keine Antwort.
»So funktioniert ta’veren, es erschafft Zufälle«, sagte Verin. »Man findet einen weggeworfenen Gegenstand, der einem von großem Nutzen ist, oder begegnet im genau richtigen Augenblick der richtigen Person. Seltene Zufälle, die einem einen Vorteil bringen. Oder ist Euch das noch nicht aufgefallen?« Sie lächelte. »Wollt Ihr nicht darauf wetten und die Würfel werfen?«
»Nein«, erwiderte er zögernd.
»Eines allerdings stört mich«, meinte Verin. »Gab es denn keinen anderen, der Euch zufällig hätte begegnen können? Al’Thor hat doch diese Asha’man, die das Land nach Männern durchsuchen, die die Macht lenken können, und ich vermute, abgelegene Gegenden wie hier stehen ganz oben auf ihrer Liste, da es eher wahrscheinlich ist, dass Machtlenker hier unbemerkt bleiben. Einer von ihnen hätte Euch unterwegs begegnen und für Euch ein Wegetor erschaffen können.«
»Wohl kaum«, erwiderte Mat schaudernd. »Denen vertraue ich doch nicht die Bande an.«
»Nicht einmal, um einen Herzschlag später in Andor zu sein?«
Mat zögerte. Nun ja, vielleicht.
»Ich musste aus einem ganz bestimmten Grund hier sein«, sagte die Aes Sedai nachdenklich.
»Und ich finde noch immer, Ihr deutet dort zu viel hinein«, meinte er und rutschte schon wieder auf der verdammten Bank herum.
» Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber zuerst sollten wir uns auf den Preis einigen, den es Euch kosten wird, wenn ich Euch nach Andor bringe. Ich nehme an, Ihr wollt nach Caemlyn?«
»Preis?«, wiederholte Mat. »Aber Ihr glaubt doch, dass das Muster Euch hergezwungen hat! Warum verlangt Ihr dann einen Preis von mir?«
»Weil mir«, sagte sie und hob einen Finger, »während ich auf Euch wartete, klar wurde - und ich wusste ehrlich nicht, ob es nun Ihr wärt oder der junge Perrin -, dass ich Euch mehrere Dinge geben kann, zu denen kein anderer in der Lage ist.« Sie griff in die Tasche und zog mehrere Blätter hervor. Bei einem davon handelte es sich um das Bild von Mat. »Ihr habt mich gar nicht gefragt, wo ich das herhabe.«
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