Er ließ die Zügel schnalzen und setzte sich wieder in Bewegung. Gawyn trieb Herausforderer an, um ihn einzuholen.
»Ihr fragt Euch, warum ich ausgerechnet hier bin, statt in Andor zu sein?«, fragte Bryne. » Das liegt daran, dass ich nicht loslassen kann. Weil sich die Welt verändert und ich daran Anteil haben muss. Weil man mir in Andor alles genommen hat, brauchte ich einen neuen Ort für meine Loyalität. Das Muster gab mir diese Gelegenheit.«
»Und Ihr habt sie nur gewählt, weil sie da war?«
»Nein. Ich wählte sie, weil ich ein Narr bin.« Er erwiderte Gawyns Blick. »Aber ich blieb, weil es richtig war. Das, was entzweit wurde, muss wieder vereint werden, und ich habe erlebt, was ein schrecklicher Führer einem Königreich antun kann. Man darf Elaida nicht erlauben, die Welt mit ihr in den Abgrund zu reißen.«
Gawyn schaute ungläubig drein.
»Ja«, sagte Bryne. »Am Ende glaubte ich ihnen. Diese dummen Frauen. Aber beim Licht, Gawyn, sie haben recht. Es ist richtig, was ich tue. Sie hat recht.«
»Wer?«
Bryne schüttelte nur den Kopf und murmelte: »Diese alberne Frau.«
Meinte er Egwene?
»Meine Motive haben für Euch keine Bedeutung, mein Sohn«, fuhr der General fort. »Ihr seid keiner meiner Soldaten. Aber Ihr müsst ein paar Entscheidungen treffen. In den kommenden Tagen müsst Ihr eine Seite gewählt haben, und Ihr müsst wissen, warum Ihr Euch für sie entschieden habt. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.«
Er trieb den Braunen zu einer schnelleren Gangart an. In der Ferne konnte Gawyn einen weiteren Wachtposten ausmachen. Er blieb zurück, als Bryne und seine Soldaten sich ihm näherten.
Eine Seite wählen. Was war, wenn Egwene ihn nicht begleiten wollte?
Bryne hatte recht. Etwas zog herauf. Man konnte es in der Luft riechen, in dem schwachen Sonnenlicht spüren, das seinen Weg mühsam durch die Wolken fand. Man konnte es schwach im Norden spüren, wo es wie eine unsichtbare Energie am dunklen Horizont knisterte.
Krieg, Schlachten, Konflikte, Veränderungen. Gawyn hatte das Gefühl, nicht einmal eine Ahnung zu haben, wie die verschiedenen Seiten aussahen. Ganz zu schweigen davon, für welche er sich entscheiden sollte.
31
Ein Versprechen an Lews Therin
Cadsuane behielt den Umhang mitsamt seiner hochgeschlagenen Kapuze an, und das trotz der Schwüle, die ihre Fähigkeit, die Hitze zu »ignorieren«, ausgesprochen strapazierte. Weder wagte sie es, den Umhang abzunehmen, noch die Kapuze zurückzuschlagen. Al’Thors Worte waren eindeutig gewesen; sollte er ihr Gesicht sehen, würde man sie hinrichten. Wegen ein paar Stunden Unbehagen würde sie nicht ihr Leben riskieren, selbst wenn sie glaubte, dass sich al’Thor in sein gerade erst beschlagnahmtes Herrenhaus zurückgezogen hatte. Der Junge erschien oft, wenn er unerwünscht war oder man nicht mit ihm rechnete.
Natürlich würde sie sich von ihm nicht ins Exil schicken lassen. Über je mehr Macht ein Mann verfügte, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass er sich damit zum Narren machte. Gab man einem Mann eine Kuh, dann würde er sich sorgfältig um sie kümmern und mit ihrer Milch seine Familie ernähren. Gab man einem Mann zehn Kühe, betrachtete er sich vermutlich als reich - und ließ sie alle verhungern, weil er sich nicht mehr richtig um sie kümmerte.
Sie verließ den Bürgersteig, passierte mit Bannern versehene Gebäude, die wie aufeinandergestapelte Kisten aussahen. Sie war nicht gerade begeistert, wieder in Bandar Eban zu sein. Sie hatte nichts gegen die Domani; sie bevorzugte nur Städte, die nicht so überfüllt waren. Und mit den Problemen im Umland war der Ort noch voller als üblich. Trotz der Gerüchte um al’Thors Ankunft in der Stadt kamen noch immer Flüchtlinge. Cadsuane passierte eine Gruppe in einer Gasse auf der linken Seite; eine Familie mit schmutzigen Gesichtern.
Al’Thor versprach Nahrung. Das brachte hungrige Münder herbei, die es nicht eilig hatten, wieder auf ihre Höfe zurückzukehren, selbst nachdem man ihnen Lebensmittel gegeben hatte. Im Land herrschte noch zu großes Chaos, und die Nahrungsmittel hier waren zu frisch. Die Flüchtlinge konnten nicht sicher sein, dass das Getreide nicht einfach verdarb wie so vieles in letzter Zeit. Nein, sie blieben und füllten die Stadt bis in den letzten Winkel.
Cadsuane schüttelte den Kopf und ging weiter, die verflixten Holzschuhe klapperten auf dem hölzernen Bürgersteig. Die Stadt war berühmt für diese langen, stabilen Wege, die den Passanten erlaubten, den Schlamm der Straßen zu meiden. Pflastersteine hätten das Problem aus der Welt geschafft, aber die Domani waren oft ausgesprochen stolz darauf, sich vom Rest der Welt zu unterscheiden. Ungenießbares gewürztes Essen mit furchtbarem Geschirr. Eine Hauptstadt voller alberner Banner, die sich an einen Hafen anschloss. Schamlose Kleider für die Frauen, lange schmale Schnurrbarte für die Männer und eine beinahe schon meervolkhafte Vorliebe für Ohrringe.
Hunderte dieser Banner flatterten über Cadsuane im Wind, und sie biss die Zähne zusammen, um nicht der Versuchung zu erliegen, die Kapuze zurückzuschlagen und den Wind im Gesicht zu spüren. Vom Licht verfluchte Meerluft. Normalerweise war Bandar Eban kühl und regnerisch. Nur selten hatte sie es so warm erlebt. Und die Schwüle war schrecklich. Vernünftige Leute blieben im Inland!
Sie passierte mehrere Straßen, stapfte an den Kreuzungen durch den Schlamm. Das war ihrer Meinung nach ein alberner Fehler an den Bürgersteigen. Die Ortsansässigen wussten, an welchen Straßen sie queren konnten und wo der Schlamm zu tief war, aber Cadsuane konnte sich das nicht aussuchen. Darum hatte sie sich diese Holzschuhe im tairenischen Stil besorgt, die sie über ihren Schuhen trug. Es war überraschend schwer gewesen, einen Kaufmann zu finden, der sie verkaufte; offensichtlich hatten die Domani nur wenig Interesse daran, die meisten der Leute, denen sie begegnete, traten entweder barfuß in den Schlamm oder wussten, wo sie die Straße überqueren konnten, ohne sich die Schuhe dreckig zu machen.
Auf halbem Wege zu den Docks erreichte sie endlich ihr Ziel. Das schöne Banner an der Fassade flatterte gegen die verzierte Holzfassade und verkündete, dass das Gasthaus den Namen Vom Wind begünstigt trug. Cadsuane trat ein und zog die Holzschuhe in dem schlammigen Vorraum aus, bevor sie die Gaststube betrat. Dort erlaubte sie sich endlich, die Kapuze zurückzuschlagen. Sollte al’Thor zufällig diesem Gasthaus einen Besuch abstatten, dann würde er sie eben hängen müssen.
Der Gemeinschaftsraum war eher passend für den Speisesaal eines Königs ausgestattet als für eine Schenke. Auf den Tischen lagen weiße Tischdecken, und der lackierte Holzfußboden war auf Hochglanz poliert. An den Wänden hingen geschmackvolle Stillleben - das Gemälde hinter der Theke zeigte eine Obstschale, das auf der gegenüberliegenden Wand eine Blumenvase. Die Flaschen auf dem Brett hinter der Theke enthielten fast alle Wein, es gab nur wenig Branntwein oder andere Spirituosen.
Quillin Tasil, der schlanke Wirt, war ein hochgewachsener Andoraner. Das kurze dunkle Haar wurde oben bereits lichter, und der kurz geschnittene Vollbart war beinahe völlig ergraut. Aus den Ärmeln seines teuren lavendelfarbenen Mantels ragte weiße Spitze, aber er trug eine Schürze darüber. Für gewöhnlich hatte er gute Informationen, aber er war auch bereit, sich bei seinen Kollegen für sie umzuhören. In der Tat ein sehr nützlicher Mann.
Er lächelte Cadsuane an, als sie eintrat, und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. Mit einer Geste lud er sie ein, sich an einen Tisch zu setzen, dann ging er zur Theke, um Wein zu holen. Cadsuane nahm Platz, als zwei Männer auf der anderen Seite des Raumes gerade anfingen, sich laut miteinander zu streiten. Die anderen Gäste - das waren nur vier, zwei Frauen an einem Tisch und zwei weitere Männer an der Theke - ignorierten sie. Man konnte unmöglich Zeit in Arad Doman verbringen, ohne zu lernen, die häufigen Temperamentsausbrüche zu ignorieren. Die Männer hier waren so hitzköpfig wie Vulkane, und die meisten Leute waren sich darin einig, dass ihre Frauen dafür verantwortlich waren. Diese beiden Männer hier fingen nicht an, sich zu duellieren, wie es in Ebou Dar üblich gewesen wäre. Stattdessen brüllten sie sich ein paar Momente lang an, dann fingen sie an, miteinander übereinzustimmen, dann bestanden sie darauf, dem jeweils anderen ein Glas auszugeben. Streit war alltäglich; Blutvergießen eher die Ausnahme. Verletzungen waren schlecht fürs Geschäft.
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