»Oder Leben kosten, wenn man es von der anderen Seite betrachtet.«
»Macht das nicht so schwierig, Gawyn.«
»Oder was? Ihr unterzieht mich der Befragung?«
»Ihr würdet für sie leiden?«
»Es sind meine Männer«, sagte Gawyn schlicht. Oder zumindest waren sie das einmal. Egal, wie man das betrachtete, er hatte es satt, von Umständen und Kriegen herumgeschubst zu werden. Er würde der Weißen Burg keine Loyalität mehr entgegenbringen, aber er würde sie auch nicht den Rebellen anbieten. Egwene und Elayne hielten sein Herz und seine Ehre. Und wenn er sie nicht ihnen geben konnte, dann würde er sie eben Andor geben - und der ganzen Welt -, indem er Rand al’Thor jagte und tötete.
Rand al’Thor. Er glaubte kein Wort von dem, was Bryne zur Verteidigung des Mannes vorgebracht hatte. Oh, er glaubte, dass Bryne ernst meinte, was er gesagt hatte - aber der General irrte sich. Das konnte den anständigsten Menschen passieren, die sich vom Charisma einer Kreatur wie al’Thor einwickeln ließen. Schließlich hatte er sogar Elayne getäuscht. Ihnen allen konnte man nur auf eine Weise helfen, indem man den Drachen entlarvte und die Welt von ihm befreite.
Er warf einen Blick zu Bryne hinüber, der sich wieder abgewandt hatte. Vermutlich dachte er noch immer über die Jünglinge nach. Es war unwahrscheinlich, dass ihn der General der Befragung unterziehen würde. Er kannte den Mann und sein Ehrgefühl zu gut. Es würde nicht passieren. Aber möglicherweise kam er auf die Idee, ihn in den Kerker zu sperren. Vielleicht würde es klüger sein, ihm etwas anzubieten.
»Es sind fast noch Halbwüchsige, Bryne«, sagte er.
Der General runzelte die Stirn.
»Halbwüchsige«, wiederholte Gawyn. »Die ihre Ausbildung gerade hinter sich haben. Sie gehören auf ein Übungsgelände und nicht auf ein Schlachtfeld. Ihr Herz sitzt am rechten Fleck, und ihre Fertigkeiten sind solide, aber ohne mich sind sie keine große Bedrohung mehr für Euch. Ich war derjenige, der Eure Strategie kannte. Ohne mich werden sie es bei ihren Überfällen viel schwerer haben. Sollten sie überhaupt damit fortfahren, werden sie vermutlich bald auf den Schlächter treffen. Man braucht mich nicht dazu, um das auch noch zu beschleunigen.«
»Also gut«, erwiderte Bryne. »Ich werde abwarten. Aber sollten ihre Streifzüge weiterhin effektiv sein, werde ich Euch diese Fragen erneut stellen müssen.«
Gawyn nickte. Am besten konnte er den Jünglingen helfen, indem er dabei half, die Auseinandersetzung zwischen Rebellen und Loyalisten zu beenden. Aber das schien weit außerhalb seiner Möglichkeiten zu liegen. Vielleicht würde ihm ja etwas einfallen, nachdem er Egwene befreit hatte. Beim Licht! Sie konnten doch nicht wirklich vorhaben, übereinander herzufallen, oder doch? Das Scharmützel nach Siuan Sanches Sturz war schon schlimm genug gewesen. Was würde geschehen, wenn sich die Heere hier außerhalb von Tar Valon auf dem Schlachtfeld trafen? Aes Sedai gegen Aes Sedai, Behüter gegen Behüter? Eine Katastrophe.
»Dazu darf es nicht kommen«, sagte er leise.
Bryne sah ihn neugierig an, während ihre Pferde weiter über das Feld trabten.
»Ihr könnt nicht angreifen, Bryne«, sagte Gawyn. »Eine Belagerung ist eine Sache. Aber was werdet Ihr tun, wenn sie Euch den Angriff befehlen?«
»Das, was ich immer tue«, erwiderte Bryne. »Gehorchen.«
»Aber …«
»Gawyn, ich gab mein Wort.«
»Und wie viele Leben ist dieses Wort wert? Ein Angriff auf die Weiße Burg wäre eine Katastrophe. Ganz egal, wie verletzt sich diese rebellischen Aes Sedai auch fühlen, es wird keine Versöhnung geben, wenn sie durch das Schwert herbeigeführt werden soll.«
»Das ist nicht Eure Entscheidung«, sagte der General. Er sah ihn nachdenklich an.
»Was?«, fragte Gawyn.
»Ich frage mich, warum das für Euch eine Rolle spielt. Ich dachte, Ihr wärt nur wegen Egwene gekommen.«
»Ich …« Gawyn geriet ins Schwimmen.
»Wer seid Ihr, Gawyn Trakand?«, hakte Bryne nach. »Wo liegt Eure Loyalität wirklich?«
»Ihr kennt mich besser als die meisten, Gareth.«
»Ich weiß, wer Ihr sein solltet«, meinte Bryne. »Der Erste Prinz des Schwertes, von Behütern ausgebildet, aber keiner Frau zum Bund gegeben.«
»Und das bin ich nicht?« Das klang gereizt.
»Friede, mein Sohn. Es sollte keine Beleidigung sein. Nur eine Beobachtung. Ich weiß, dass Ihr nie so unbeirrbar wie Euer Bruder gewesen seid. Ich schätze, ich hätte das in Euch erkennen müssen.«
Gawyn wandte sich wieder dem alternden General zu. Wovon sprach der Mann?
Bryne seufzte. »Es ist eine Sache, mit der die meisten Soldaten nie konfrontiert werden. Sicher, sie mögen daran denken, aber sie lassen sich nicht davon quälen. Das ist eine Frage für andere, Höhergestellte.«
»Welche Frage?«, wollte Gawyn verblüfft wissen.
»Für welche Seite man sich entscheidet. Und dass man, sobald man sie gewählt hat, zu dem Schluss kommt, sich richtig entschieden zu haben. Der Fußsoldat muss diese Wahl nicht treffen, aber die von uns, die wir führen … ja, ich erkenne das in Euch. Euer Geschick mit dem Schwert ist kein kleines Geschenk. Wofür benutzt Ihr es?«
»Für Elayne.«
»Tut Ihr das jetzt?«, fragte Bryne amüsiert.
»Nun, nachdem ich Egwene gerettet habe.«
»Und falls Egwene nicht gehen wird? Ich kenne diesen Ausdruck in Euren Augen, mein Junge. Ich weiß auch ein bisschen über Egwene al’Vere Bescheid. Sie wird dieses Schlachtfeld nicht verlassen, bevor ein Sieger feststeht.«
»Ich bringe sie fort«, sagte Gawyn. »Zurück nach Andor.«
»Ihr wollt sie also dazu zwingen? So wie Ihr Euch den Weg in mein Lager erzwungen habt? Ihr wollt also zu einem Schurken und Raulbold werden, der sich nur durch seine Fähigkeit auszeichnet, die töten oder bestrafen zu können, die anderer Meinung als er sind?«
Gawyn antwortete nicht.
»Wem soll man dienen?«, fragte Bryne nachdenklich. »Manchmal machen uns unsere eigenen Fähigkeiten Angst. Was nutzt die Fähigkeit, töten zu können, wenn man sie nicht anwenden kann? Ist sie ein verschwendetes Talent? Der Pfad zum Mörder? Die Macht zu beschützen ist beängstigend. Also hält man nach jemandem Ausschau, dem man diese Fähigkeit anbietet, jemand, der sie weise benutzt. Das Bedürfnis, eine Entscheidung zu treffen, nagt an einem, selbst lange nachdem man sie getroffen hat. Ich sehe diese Frage mehr bei jüngeren Männern. Wir alten Jagdhunde, wir sind damit zufrieden, einen Platz am Kamin zu haben. Wenn uns jemand befiehlt zu kämpfen, wollen wir die Dinge nicht zu sehr aufwühlen. Aber die jungen Männer … sie grübeln darüber nach.«
» Habt Ihr Euch diese Frage einmal gestellt?«, fragte Gawyn.
»Ja. Mehr als einmal. Im Aiel-Krieg war ich kein Generalhauptmann, aber ich war Ranghauptmann. Damals habe ich mich das oft gefragt.«
»Wieso konntet Ihr Euch ausgerechnet im Aiel-Krieg fragen, ob Ihr auf der richtigen Seite steht?« Gawyn runzelte die Stirn. »Sie kamen, um zu töten.«
»Sie kamen nicht wegen uns«, sagte Bryne. »Sie wollten bloß die Cairhiener. Natürlich war das anfangs nicht klar zu erkennen, aber um die Wahrheit zu sagen, einige von uns haben darüber nachgedacht. Laman hat seinen Tod verdient. Warum sollten wir sterben, um uns dem in den Weg zu stellen? Vielleicht hätten sich mehr von uns diese Frage stellen sollen.«
»Aber wie lautet die Antwort dann?«, wollte Gawyn wissen. »Wem gibt man sein Vertrauen? Wem diene ich?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Bryne frei heraus.
»Warum dann überhaupt diese Frage stellen?«, fauchte Gawyn und hielt sein Pferd an.
Bryne zügelte sein Tier ebenfalls, führte es zurück. »Ich kenne die Antwort nicht, weil es darauf keine Antwort gibt. Das heißt, jeder hat darauf eine eigene Antwort. Als ich jung war, kämpfte ich um der Ehre willen. Irgendwann erkannte ich, dass im Töten nur wenig Ehre liegt, und ich entdeckte, dass ich mich verändert hatte. Dann kämpfte ich, weil ich Eurer Mutter diente. Ich vertraute ihr. Als sie mich im Stich ließ, stellte sich mir diese Frage erneut. Diese vielen Jahre des Dienstes, welchen Wert hatten sie? Was war mit den Männern, die ich in ihrem Namen getötet hatte? Welchen Sinn hatte das alles?«
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