Colavaere Saighan, die starb, weil ich sie in die Armut schickte.
Er ritt an den Reihen aus Domani vorbei, Frauen in durchsichtigen Gewändern, Männer mit dünnen Schnurrbärten und bunten Mänteln. An den Straßenseiten gab es Bürgersteige aus Holzbohlen, auf denen sich die Zuschauer drängten. Banner und Flaggen flatterten im Wind. Davon schien es in der Stadt eine ganze Menge zu geben.
Die Liste begann immer mit Moiraine. Von allen Namen schmerzte dieser am schlimmsten, denn sie hätte er retten können. Hätte sie retten müssen. Er hasste sich dafür, dass er zugelassen hatte, dass sie sich für ihn opferte.
Ein Kind verließ den Gehsteig und rannte auf die Straße, aber sein Vater erwischte noch rechtzeitig seine Hand und riss es zurück in die Menge. Ein paar Leute husteten und murmelten etwas, aber die meisten schwiegen. Verglichen damit klang der Marschtritt von Rands Leuten wie Donnerhall.
War Lanfear wieder am Leben? Wenn Ishamael zurückgeholt werden konnte, was war dann mit ihr? In diesem Fall wäre Moiraines Tod völlig sinnlos gewesen und seine Feigheit noch widerwärtiger. Nie wieder. Die Liste würde bestehen bleiben, aber er würde nie wieder zu schwach sein, um das zu tun, was getan werden musste.
Von den versammelten Menschen kam kein Jubel. Nun, er war auch nicht gekommen, um sie zu befreien. Er war gekommen, um das zu tun, was getan werden musste. Vielleicht würde er hier Graendal finden; Asmodean hatte behauptet, sie würde sich hier aufhalten, aber das war vor langer Zeit gewesen. Vielleicht beruhigte es ja sein schlechtes Gewissen wegen der Invasion, wenn es ihm gelang, sie aufzuspüren.
Hatte er überhaupt noch so etwas wie ein Gewissen? Er vermochte es nicht zu sagen.
Liah von den Cosaida Chareen, die ich tötete und mir einredete, es sei zu ihrem Besten. Seltsamerweise beteiligte sich Lews Therin an der Aufzählung und las die Namen vor, verursachte einen seltsam hallenden Singsang in seinem Kopf.
Auf einem Platz mit einem Springbrunnen in der Form von Kupferpferden, die aus einer schäumenden Welle sprangen, wartete eine Gruppe Aiel auf ihn. Vor dem Brunnen saß ein Mann auf einem Pferd, umgeben von einer Ehrenwache. Er war ein stämmiger Mann mit kantigen Zügen, faltiger Haut und grauen Haaren. Seine Stirn war nach der Mode cairhienischer Soldaten rasiert und gepudert. Dobraine war vertrauenswürdig, zumindest soweit ein Cairhiener als vertrauenswürdig bezeichnet werden konnte.
Sendara von den Eisenberg Tardaad, Lamelle von den Rauchwasser Miagoma, Andhilin von den Roten Salz Goshien.
Ilyena Therin Moerelle, sagte Lews Therin und schob den Namen zwischen zwei andere. Rand ließ ihn gewähren. Wenigstens brüllte der Verrückte nicht wieder herum.
»Mein Lord Drache«, sagte Dobraine glattzüngig und verneigte sich vor Rand. »Ich übergebe Euch die Stadt Bandar Eban. Die Ordnung wurde wieder hergestellt, wie Ihr befohlen habt.«
»Ich bat Euch, im ganzen Land die Ordnung wiederherzustellen, Dobraine «, sagte Rand leise.» Nicht nur in einer Stadt.«
Der Adelige sackte sichtlich in sich zusammen.
»Ihr habt ein Mitglied des Kaufmannsrats für mich?«
»Ja«, sagte Dobraine. »Milisair Chadmar, die als Letzte vor dem Chaos in der Stadt floh.« Eifer lag in seinem Blick. Er war immer standhaft gewesen, aber vielleicht war das ja nur eine List. In der letzten Zeit hatte Rand ein Problem damit, Leuten zu vertrauen. Die, die am vertrauenswürdigsten erschienen, waren immer die, denen man am aufmerksamsten auf die Finger schauen musste. Und Dobraine war Cairhiener. Konnte er überhaupt jemandem aus Cairhien vertrauen? Sie mussten doch immer ihre Spielchen spielen.
Moiraine kam aus Cairhien. Ihr vertraute ich. jedenfalls meistens.
Vielleicht machte sich Dobraine ja Hoffnungen, von ihm als König von Arad Doman eingesetzt zu werden. Er war der Verwalter von Cairhien gewesen, aber ihm war natürlich durchaus bekannt, dass Rand Elayne auf dem Sonnenthron sehen wollte.
Nun, möglicherweise würde er Dobraine dieses Königreich geben. Er war ein besserer Mann als die meisten. Rand bedeutete ihm voranzugehen, und er gehorchte, bog mit den Aiel in eine breite Seitenstraße ein. Rand ging im Kopf die Liste weiter durch.
Die Gebäude waren hoch und rechteckig, wie Kisten, die man aufeinandergestapelt hatte. Viele von ihnen wiesen Balkone auf, auf denen sich wie auf den Bürgersteigen Menschen drängten.
Jeder Name auf der Liste schmerzte Rand, aber jetzt war dieser Schmerz eine seltsam entrückte Sache. Seit dem Tag, an dem er Semirhage getötet hatte, waren seine Gefühle … anders. Sie hatte ihn gelehrt, wie er seine Schuld und seine Qualen vergraben musste. Sie hatte geglaubt, ihn an die Kette legen zu können, stattdessen hatte sie ihm Kraft gegeben.
Er setzte ihren und Elzas Namen auf die Liste. Dabei hatten sie überhaupt kein Recht, dort zu stehen. Semirhage war weniger eine Frau als vielmehr ein Ungeheuer gewesen. Elza hatte ihn verraten und die ganze Zeit dem Schatten gedient. Aber er fügte ihre Namen hinzu. Immerhin konnten sie ihn für ihren Tod verantwortlich machen, wie alle anderen auch. Sogar noch mehr. Er hatte sich gesträubt, Lanfear zu töten, um Moiraine zu retten, aber er hatte Semirhage lieber mit Baalsfeuer aus der Existenz gebrannt, als zuzulassen, noch einmal in Gefangenschaft zu geraten.
Er berührte den Gegenstand, den er in einem Beutel am Sattel trug. Es war eine glatte Statuette. Er hatte Cadsuane nicht verraten, dass seine Diener sie aus ihrem Zimmer genommen hatten. Jetzt, da sie aus seiner Gegenwart verbannt worden war, würde er es nie tun. Er wusste, dass sie sich noch immer in seinem Gefolge aufhielt und die Interpretation seines Befehls strapazierte, ihn niemals mehr ihr Gesicht sehen zu lassen. Aber prinzipiell gehorchte sie ihm, also ließ er es auf sich beruhen. Er würde nicht mit ihr sprechen, und sie würde nicht mit ihm sprechen.
Cadsuane war ein Werkzeug gewesen, und dieses Werkzeug hatte sich als wenig effektiv erwiesen. Er bedauerte es nicht, es weggeworfen zu haben.
Jendhilin, Tochter der Miagoma, dachte er, und Lews Therin murmelte es mit. Die Liste war so lang. Bis zu seinem Tod würde sie noch viel länger werden.
Der Tod bereitete ihm keine Sorgen mehr. Endlich hatte er Lews Therins verzweifeltes Flehen begriffen, allem ein Ende zu machen. Er verdiente es zu sterben. Gab es einen Tod, der endgültig genug war, dass man niemals mehr wiedergeboren werden musste? Er erreichte das Ende der Liste. Früher hatte er sie wiederholt, damit er die Namen nur nicht vergaß. Das war nicht mehr möglich; er hätte sie selbst dann nicht vergessen können, wenn er es gewollt hätte. Er wiederholte sie als Erinnerung dessen, was er war.
Aber Lews Therin musste noch einen Namen hinzufügen. Elmindreda Farshaw, flüsterte er.
Abrupt zügelte Rand Tai’daishar und ließ damit seine Aiel, die saldaeanische Kavallerie und das Lagergefolge mitten auf der Straße anhalten. Dobraine auf seinem weißen Hengst sah fragend zurück.
Ich habe sie nicht getötet!, dachte Rand. Lews Therin, sie lebt. Wir haben sie nicht getötet! Dafür war allein Semirhage verantwortlich.
Schweigen. Noch immer konnte er seine Finger auf ihrer Haut spüren, wie sie zudrückten, hilflos und zugleich unglaublich stark. Selbst wenn Semirhage die treibende Kraft hinter seiner Tat gewesen war, er war derjenige, der zu schwach gewesen war, um Min rechtzeitig fortzuschicken und zu beschützen.
Fortgeschickt hatte er sie noch immer nicht. Nicht, weil ihm dazu die nötige Entschlossenheit gefehlt hätte, sondern weil etwas in ihm aufgehört hatte, sich dafür zu interessieren. Das galt nicht für Min - er liebte sie leidenschaftlich, und das würde sich auch nicht ändern. Aber er wusste, dass ihm Tod, Schmerzen und Zerstörung folgten; er zog sie hinter sich her wie den Saum seines Umhangs. Es bestand die Möglichkeit, dass Min hier starb, aber sollte er sie fortschicken, würde sie in der gleichen Gefahr schweben. Seine Feinde vermuteten bestimmt schon, dass er sie liebte.
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