Roger Zelazny - Die Gewehre von Avalon
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»Warum?« frage ich, und meine Stimme klang mir seltsam in den Ohren.
Er leerte schweigend seine Pfeife, füllte sie von neuem und zündete sie wieder an. Er begann zu rauchen. Das Schweigen dehnte sich in die Länge.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Ich würde einen Mann wegen seiner Stiefel hinterrücks erdolchen, wenn ich sie brauchte, um meine Füße warm zu halten. Ich weiß das, weil ich so etwas einmal getan habe. Aber . . . diese Sache ist etwas anderes. Diese Attacke schadet allen, und ich bin der einzige, der etwas dagegen tun kann. Verdammt! Ich weiß, daß man mich hier eines Tages zusammen mit allen anderen begraben wird. Doch ich kann sie nicht im Stich lassen. Ich muß diese Erscheinung eindämmen, solange es geht.«
Die klare Nachtluft hatte meine Gedanken belebt, obwohl sich mein Körper noch immer leicht betäubt anfühlte.
»Könnte Lance nicht die Führung übernehmen?« fragte ich.
»Gewiß. Er ist ein guter Mann. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Ich glaube, das Ziegenwesen auf dem Altar, oder was immer es war, hatte Angst vor mir. Ich war in den Kreis gestürmt, und es hatte mir versichert, daß ich es nicht hinaus schaffen würde – aber dann habe ich es doch geschafft. Die nachfolgende Krankheit habe ich ebenfalls überstanden. Das Wesen weiß, daß ich hinter der erbitterten Gegenwehr stehe. Wir gewannen die blutige Schlacht in jener Nacht, in der Uther starb, und ich stand dem Wesen, das eine andere Form hatte, wieder gegenüber, und es erkannte mich. Vielleicht gehört das zu den Gründen, warum es sich im Augenblick zurückhält.«
»Eine andere Form?«
»Ein Wesen mit einem menschenähnlichen Körper, doch mit Ziegenhörnern und roten Augen. Es saß auf einem gescheckten Hengst. Wir kämpften eine Zeitlang miteinander, doch im Kampfgetümmel wurden wir getrennt. Nur gut so, denn der andere war im Begriff zu siegen. Während wir Schwerthiebe tauschten, sprach es zu mir, und ich erkannte die dröhnende Stimme wieder. Das Wesen nannte mich einen Dummkopf und versicherte mir, daß ich niemals siegen könne. Doch als der Morgen graute, gehörte das Schlachtfeld uns, und wir trieben die Ungeheuer in den Kreis zurück und brachten dabei noch viele fliehende Gegner um. Der Reiter des Schecken konnte entkommen. Seither hat es andere Vorstöße gegeben, doch nicht mehr in der Stärke jener Nacht. Wenn ich dieses Land verließe, würde sofort eine andere solche Armee – die sich im Augenblick schon versammelt –hervorstoßen. Das Wesen würde irgendwie wissen, daß ich mich zurückgezogen habe – so wie es auch wußte, daß Lance mit einem neuen Bericht über die Verteilung der Truppen im Kreis zu mir unterwegs war, und ihm unterwegs jene Wächter entgegenschickte. Das Wesen weiß inzwischen auch von Euch und macht sich bestimmt Gedanken über diese Entwicklung. Es fragt sich, wer Ihr seid, woher Ihr die Kräfte nehmt. Ich werde bleiben und kämpfen, bis ich falle. Ich muß. Fragt mich nicht nach dem Grund. Ich kann nur hoffen, daß ich vor jenem letzten Tag zumindest erfahre, wie es zu dieser Erscheinung gekommen ist – warum sich der Kreis dort draußen ausbreitet.«
Im nächsten Augenblick ertönte ein Flattern dicht neben meinem Kopf. Hastig duckte ich mich, um der unbekannten Erscheinung auszuweichen – eine überflüssige Bewegung. Es war nur ein Vogel. Ein weißer Vogel. Er landete auf meiner linken Schulter und verharrte dort und stieß einen leisen Ruf aus. Ich streckte ihm das Handgelenk entgegen, und das Tier sprang herab. An seinem Bein war ein Zettel festgebunden. Ich löste ihn, las ihn, zerknüllte ihn in der Hand. Dann starrte ich in die Ferne, ohne etwas zu sehen.
»Was ist los, Sir Corey?« rief Ganelon.
Der Zettel, den ich zu meinem Ziel vorausgeschickt hatte, von mir selbst geschrieben, überbracht von einem Vogel meiner Schöpfung, konnte nur den Ort erreichen, der mein nächster Aufenthalt sein sollte. Allerdings war dies nicht der Ort, den ich im Sinn gehabt hatte. Doch ich vermochte mein eigenes Omen zu deuten.
»Was ist?« fragte er. »Was habt Ihr da in der Hand? Eine Nachricht?«
Ich nickte und reichte ihm den Zettel. Ich konnte ihn nicht gut fortwerfen, nachdem er gesehen hatte, wie ich die Botschaft in Empfang nahm.
»Ich komme«, stand darauf, und darunter meine Unterschrift.
Ganelon stieß eine Rauchwolke aus und studierte das Blatt im Schimmer der Pfeife.
»Er lebt? Und er will hierher kommen?« fragte er.
»Sieht so aus.«
»Sehr seltsam«, sagte er. »Das verstehe ich nun wirklich nicht . . .«
»Hört sich wie ein Hilfeversprechen an«, sagte ich und entließ den Vogel, der zweimal gurrte, meinen Kopf umkreiste und dann davonflatterte.
Ganelon schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht.«
»Wozu dem Pferd ins Maul schauen, das Euch geschenkt wird?« fragte ich. »Ihr habt es bisher nur geschafft, das Ding im Zaum zu halten.«
»Das ist wahr«, erwiderte er. »Vielleicht könnte er es vernichten.«
»Und vielleicht ist das Ganze nur ein Scherz«, wandte ich ein. »Ein grausamer Scherz.«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Nein. Das ist nicht sein Stil. Ich frage mich, worauf er es abgesehen hat?«
»Schlaft drüber«, schlug ich vor.
»Es bleibt mir im Augenblick wohl kaum etwas anderes übrig«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen.
Dann standen wir auf und schritten über die Mauer. Wir wünschten uns eine gute Nacht, und ich taumelte dem Abgrund des Schlafes entgegen und ließ mich kopfüber hineinfallen.
2
Tag. Neue Schmerzen. Neue empfindliche Stellen.
Jemand hatte mir einen ungebrauchten Mantel aus braunem Stoff dagelassen, und das schien mir eine gute Sache zu sein. Besonders wenn ich noch weiter zunahm und Ganelon sich an meine Farben erinnerte. Den Bart rasierte ich nicht ab, hatte er mich doch in einem etwas weniger struppigen Zustand gekannt. In seiner Gegenwart gab ich mir Mühe, meine Stimme zu verstellen. Grayswandir versteckte ich unter dem Bett.
In der folgenden Woche trieb ich mich von einer Anstrengung zur nächsten. Ich quälte mich ab und schwitzte und hüpfte, bis die Schmerzen nachließen und meine Muskeln wieder fest wurden. Ich glaube, in dieser Woche nahm ich fünfzehn Pfund zu. Langsam, sehr langsam begann ich mich zu fühlen wie früher.
Das Land hieß Lorraine – und so hieß auch sie. Wäre ich jetzt in der Stimmung, Sie etwas an der Nase herumzuführen, würde ich sagen, wir hätten uns auf einer Wiese hinter der Burg getroffen, während sie Blumen pflückte und ich an der frischen Luft einen Spaziergang machte. Blödsinn!
Höflich ausgedrückt, konnte man sie wohl als Marketenderin bezeichnen. Ich begegnete ihr am Ende eines harten Tages, den ich vorwiegend mit Säbel und Netz verbracht hatte. Als mein Blick auf sie fiel, stand sie abseits und wartete auf den Mann, mit dem sie verabredet war. Sie lächelte, und ich lächelte zurück, nickte, blinzelte ihr zu und ging vorbei. Am nächsten Tag bekam ich sie wieder zu Gesicht, sagte »Hallo« und ging an ihr vorbei. Das ist alles.
Nun, ich lief ihr immer mal wieder über den Weg. Am Ende der zweiten Woche, als die Schmerzen ausgestanden waren und ich gut hundertundsiebzig Pfund wog und mich wieder entsprechend zu fühlen begann, verabredete ich mich auf einen Abend mit ihr. Inzwischen war mir ihr Status natürlich bekannt, und ich hatte nichts dagegen. Aber an jenem Abend taten wir nicht das übliche. O nein. Statt dessen unterhielten wir uns, und später passierte etwas ganz anderes.
Ihr Haar war rostfarben und wies schon einige graue Strähnen auf. Trotzdem schätzte ich sie auf unter Dreißig. Die Augen sehr blau. Ein etwas spitz zulaufendes Kinn. Saubere, gleichmäßige Zähne in einem Mund, der mich viel anlächelte. Ihre Stimme klang leicht nasal, sie trug das Haar zu lang, das Make-up lag zu dick über zu tiefen Spuren der Müdigkeit, ihre Haut war ein wenig zu sommersprossig, ihre Kleidung zu bunt und zu eng. Doch ich mochte sie. Als ich mich mit ihr verabredete, wußte ich noch nicht, daß sie mir gefallen würde; wie gesagt, ich hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, ihr den Hof zu machen.
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