Die Kutsche setzte ihren Weg weiter fort, vorbei an immer größeren Schiffen, bis Dannyl eine Reihe robust gebauter Kaufmannsschiffe erreichte, die an einer langen Pier lagen. Dort verlangsamte der Wagen sein Tempo und blieb schließlich stehen.
Der Wagenschlag wurde geöffnet, und der Fahrer verneigte sich respektvoll vor Dannyl. »Wir sind am Ziel, Lord.«
Dannyl schob sich über die Sitzbank und stieg aus. Ganz in der Nähe stand ein Mann mit weißem Haar, dessen Gesicht ebenso braun gebrannt war wie seine nackten Arme. Hinter ihm warteten mehrere kräftig gebaute jüngere Männer.
»Ihr seid Lord Dannyl?«, fragte der Mann und verneigte sich steif.
»Ja. Und Ihr seid…?«
»Piermeister«, sagte er und deutete dann auf die Kutsche. »Das sind Eure?«
Dannyl vermutete, dass er die Schiffskoffer meinte. »Ja.«
»Wir holen sie herunter.«
»Nein, die Mühe kann ich Euch ersparen.« Dannyl drehte sich um und konzentrierte sich auf seine Magie. Während die Koffer langsam zu Boden schwebten, traten zwei junge Männer vor, um die Gepäckstücke aufzufangen. Offensichtlich waren sie daran gewöhnt, Magie zu solchen Zwecken benutzt zu sehen. Schließlich machten sie sich auf den Weg die Pier hinunter, und die restlichen Männer folgten ihnen.
»Euer Schiff ist das sechste in der Reihe, Lord«, sagte der Piermeister, als die Kutsche wieder davonfuhr.
Dannyl nickte. »Vielen Dank.«
Auf der hölzernen Pier klangen seine Schritte seltsam hohl. Er folgte den Trägern um einen großen Stapel Kisten herum, die gerade verladen wurden. Am nächsten Schiff lag etwas auf dem Holzboden der Pier, das aussah wie gut eingepackte Teppiche. Überall wimmelte es nur so von Männern: Sie liefen mit ihrer Fracht auf den Schultern die Planken hinauf und hinunter, lümmelten sich an Deck und spielten mit Spielsteinen um ihr Glück oder stolzierten umher, um anderen Befehle zuzubrüllen.
Inmitten dieses Getriebes entgingen Dannyl aber auch die leiseren Geräusche des Hafens nicht: das konstante Knarren der Bretter und Seile, das Klatschen von Wasser gegen Schiffsrümpfe und Pier. Ihm fielen auch kleine Einzelheiten ins Auge: Zeichnungen auf Masten und Segeln, sorgfältig auf die Schiffsrümpfe und Kajütentüren gemalte Namen, das Wasser, das aus einem Loch in der Flanke eines Schiffs quoll. Letzteres stimmte ihn nachdenklich. Wasser sollte eigentlich außerhalb eines Bootes bleiben, nicht wahr?
Als sie das sechste Schiff erreichten, stapften die Träger eine schmale Leitplanke hinauf. Dannyl bemerkte, dass zwei Männer ihn von dem Schiff aus beobachteten. Vorsichtig folgte er den Trägern über die Laufplanke, bis er sich davon überzeugt hatte, dass das Brett zwar biegsam, aber stabil war, und sein Schritt wurde mutiger. Als er schließlich auf Deck stand, begrüßten ihn die beiden Männer mit einer Verbeugung.
Sie sahen einander bemerkenswert ähnlich. Ihre braune Haut und der kleine Wuchs waren typische Merkmale der Vindo. Beide trugen robuste, verblichene Kleidung. Einer von ihnen jedoch hatte sich ein wenig höher aufgerichtet als der andere, und er war es, der nun zu sprechen begann.
»Willkommen auf der Fin-da , Lord. Ich bin Kapitän Numo.«
»Ich dank Euch, Kapitän. Ich bin Lord Dannyl.«
Der Kapitän deutete auf die Schrankkoffer, die einige Schritte entfernt auf Deck standen und neben denen die Träger noch warteten. »In Eurer Kajüte kein Platz für Kisten, Lord. Wir Euer Gepäck unten verstauen. Wenn Ihr brauchen etwas, fragen meine Bruder Jano.«
Dannyl nickte. »Ich verstehe. Ich habe einen Beutel in meinem Gepäck, den ich an mich nehmen werde, dann können die Koffer fortgeschafft werden.«
Der Kapitän nickte knapp. »Jano zeigen Euer Zimmer. Wir bald aufbrechen.«
Als der Kapitän sich abgewandt hatte, berührte Dannyl den Deckel des kleineren Schrankkoffers. Das Schloss öffnete sich mit einem leisen Klicken. Er nahm einen Lederbeutel mit den Dingen heraus, die er für die Reise benötigen würde, dann schloss er den Deckel wieder und sah zu den Trägern auf.
»Das ist alles, was ich brauche - hoffe ich jedenfalls.«
Die Männer bückten sich und trugen die Koffer fort. Dannyl drehte sich erwartungsvoll zu Jano um. Der Mann nickte und bedeutete ihm zu folgen.
Sie traten durch eine schmale Tür und stiegen dann eine kurze Treppe zu einem relativ großen Raum hinunter. Die Decke war so niedrig, dass selbst Jano den Kopf einziehen musste, um sich nicht an den Balken zu stoßen. Zwischen verschiedenen Haken an der Decke hingen grob gewebte Laken. Dies, so vermutete Dannyl, waren die Hängebetten, von denen er Reisende hatte erzählen hören.
Jano führte ihn in einen engen Korridor, und nach wenigen weiteren Schritten öffnete er eine Tür. Dannyl starrte voller Entsetzen in eine winzige Kabine. Der ganze Raum wurde von einem niedrigen Bett ausgefüllt, das gerade so breit war wie seine Schultern. Am einen Ende befand sich ein kleiner, in die Wand eingelassener Schrank, und am anderen Ende lagen, säuberlich zusammengefaltet, Decken aus Weberwolle, die von sichtlich guter Qualität waren.
»Klein, yai?«
Dannyl blickte zu Jano hinüber und stellte fest, dass der Mann breit grinste. Er lächelte schief, wohl wissend, dass er sein Entsetzen vor dem anderen Mann nicht hatte verhehlen können.
»Ja«, stimmte Dannyl ihm zu. »Klein.«
»Kapitän haben Kajüte doppelt so groß. Wenn wir große Schiff besitzen, wir auch bekommen große Kajüte. Yai?
Dannyl nickte. »Klingt gerecht.« Er ließ seinen Beutel auf das Bett fallen, dann drehte er sich um, so dass er Platz nehmen konnte. Seine Beine ragten in den Gang hinaus. »Danke. Sonst brauche ich nichts.«
Yano klopfte an die gegenüberliegende Tür. »Meine Kajüte. Wir Kameraden, yai? Du singen?«
Bevor Dannyl sich auf eine Antwort besinnen konnte, ertönte irgendwo über ihnen eine Glocke, und Jano blickte auf. »Muss gehen. Wir ablegen.« Er drehte sich um, hielt aber noch einmal inne. »Du hier bleiben. Damit nicht im Weg stehen.« Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte er davon.
Dannyl sah sich in der winzigen Kabine um, die für die nächsten beiden Wochen sein Quartier sein würde, und kicherte. Jetzt begriff er, warum so viele Magier Seereisen hassten.
Sonea war mutlos in der Tür des Klassenzimmers stehen geblieben.
Sie hatte Rothens Wohnung zeitig verlassen, um möglichst vor den anderen Novizen im Klassenzimmer zu sein und ihrer Nervosität Herr zu werden, bevor sie den anderen gegenübertreten musste. Aber es waren schon mehrere Plätze besetzt. Während sie noch zögerte, wandten sich bereits Köpfe zu ihr herum, und ihr Magen krampfte sich vor Angst zusammen. Hilflos sah sie den Magier an, der vorn im Klassenzimmer saß.
Er war jünger, als sie erwartet hatte, wahrscheinlich noch keine dreißig. Eine kantige Nase verlieh seinem Gesicht einen geringschätzigen Ausdruck. Als sie sich verneigte, sah er auf und ließ den Blick von ihrem Gesicht bis hinunter zu ihren neuen Stiefeln und wieder hinauf zu ihrem Gesicht wandern. Solchermaßen zufrieden gestellt, wandte er sich wieder einem Stapel Papiere zu und machte einen kleinen Haken auf seiner Liste.
»Such dir einen Platz, Sonea«, sagte er abschätzig. Im Raum standen in Reih und Glied zwölf Tische und Bänke aufgereiht. Sechs Novizen, die alle auf der Kante ihrer Stühle hockten, beobachteten sie dabei, wie sie ihre Wahl traf.
Setz dich nicht zu weit weg von den anderen, sagte sie sich. Sie sollen nicht glauben, dass du unfreundlich bist - oder Angst vor ihnen hast. In der Mitte des Raums gab es noch einige Plätze, aber dort wollte sie nicht gern sitzen. An der Wand gegenüber war noch ein Platz frei, neben dem - eine Reihe weiter - bereits drei andere Novizen saßen. Das würde gehen.
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