»Wir werden uns unter keinen Umständen Gracklstugh nähern«, warf Quenthel ein. »Die Duergar haben Ched Nasad zerstört. Ich wüßte nicht, warum ich mich ihnen freiwillig stellen sollte.«
»Uns bleiben kaum andere Möglichkeiten«, erwiderte Valas. »Wir befinden uns nordwestlich des Duergar-Reiches, und das Labyrinth liegt mehrere Tagesreisen südwestlich der Stadt. Wir können die Stadt nicht im Süden umgehen, weil uns dort der Dunkelsee den Weg versperrt, und die Duergar patrouillieren die Wasserwege. Würden wir die Stadt im Norden umgehen, dann würde uns das mindestens zwei Zehntage kosten, außerdem hätten wir eine schwierige Reise durch Tunnel vor uns, mit denen ich nicht vertraut bin.«
»Warum haben wir uns dann die Mühe gemacht, uns hierher zu begeben?« murmelte Jeggred. »Wir hätten auch nach Menzoberranzan zurückkehren können.«
»Nun, zum einen läge Gracklstugh so oder so zwischen uns und dem Haus Jaelre, ob wir nun in Mantol-Derith oder Menzoberranzan sind«, gab Pharaun zurück und zeichnete drei Punkte in Valas’ Karte. »Die Duergar sind uns in jedem Fall im Weg. Die Frage ist nur, ob wir es wagen, Gracklstugh zu durchqueren.«
»Könnt Ihr uns nicht mit Schattenwandeln durch die Stadt bringen?« fragte Danifae.
Pharaun verzog das Gesicht, dann erwiderte er: »Ich bin in dieser Richtung noch nie weiter als bis Mantol-Derith gereist. Es würde mich nicht wundern, wenn die Duergar ihr Reich gegen Reisende aus den umliegenden Reichen gesichert haben.«
»Ist es sicher, daß die Duergar-Kaufleute etwas gegen unsere Anwesenheit hätten?« wollte Ryld wissen. »Es reisen immer wieder Kaufleute aus Menzoberranzan nach Gracklstugh, und die dortigen Händler bringen ihre Waren in den Basar Menzoberranzans. Es ist doch möglich, daß Gracklstugh überhaupt nichts mit den Duergar-Söldnern zu tun hat, die Ched Nasad angegriffen haben.«
»Mir ist nichts zu Ohren gekommen, was mich veranlassen könnte, mich nach Gracklstugh zu begeben«, sagte Quenthel. Sie beendete die Unterhaltung mit einer knappen Geste. »Ich will nicht auf die Gastfreundlichkeit der Duergar vertrauen, schon gar nicht nach dem Untergang Ched Nasads. Wir werden die Stadt im Norden umgehen und darauf bauen, daß Meister Hune uns den richtigen Weg zeigen wird.«
Halisstra sah zu Ryld und Valas Hune. Der Späher biß sich auf die Unterlippe und dachte über das sich ihm stellende Problem nach, während der Waffenmeister nur resigniert den Blick senkte.
»Wir sind nur zwei bis drei Kilometer von dieser Höhle entfernt, die als Mantol-Derith bekannt ist?« fragte Halisstra und deutete auf die Skizze.
»Ja«, antwortete Valas.
»Egal, welchen Weg wir wählen, müssen wir diesen Ort auf jeden Fall passieren?«
Der Bregan D’aerthe-Späher nickte nur bestätigend.
»Dann sollten wir sehen, was wir in der Handelshöhle erfahren können, ehe wir uns entscheiden«, überlegte Halisstra. Sie spürte Quenthels Blick auf sich ruhen, doch sie sah die Baenre nicht an. »Es könnte dort Duergar-Kaufleute geben, die auf unsere Frage eine Antwort wissen. Wenn nicht ... nun, wir müssen ohnehin unsere Vorräte auffüllen, ehe wir uns in die Weiten des Unterreiches begeben.«
»Ein vernünftiger Vorschlag«, bemerkte Pharaun. »In der Stadt der Klingen sind ein Dutzend Handelsgesellschaften angesiedelt. Spricht nicht vieles dafür, daß die Duergar, mit denen wir in Ched Nasad zu tun hatten, von einem Drow-Haus angeheuert wurden, aber keine besondere Verbundenheit zu Gracklstugh hatten?«
»Sie haben im Auftrag Gracklstughs gehandelt, als sie die Stadt zerstörten«, sprach Quenthel mit finsterem Tonfall. Sie richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften, den Blick immer noch fest auf den Boden gerichtet. Einen Moment lang überlegte sie, dann verwischte sie mit dem Fuß die Skizze. »Nun gut, wir werden ja sehen, was wir in Mantol-Derith herausfinden können. Ich glaube nicht, daß wir Zeit zu verschenken haben, und wenn wir uns einen Umweg von zwanzig oder dreißig Tagen ersparen können, dann sollten wir das auch machen. Doch sobald wir irgend etwas hören, was darauf hindeutet, daß Gracklstugh für uns tabu sein könnte, werden wir uns in die Einöde begeben.«
Valas Hune nickte und sagte: »Sehr wohl. Ich vermute, es wird uns möglich sein, Durchlaß zu erlangen, es sei denn, die Duergar liegen im Krieg mit Menzoberranzan. Ich habe schon zuvor mit Grauzwergen zu tun gehabt, und es gibt nichts, was sie nicht hergäben, wenn der Preis stimmt. Ich werde in Man-tol-Derith nach einem Duergar-Führer Ausschau halten und zusehen, was ich in Erfahrung bringen kann.«
»Nun gut«, sagte Quenthel. »Bringt uns zu den Duergar, und wir ...«
»Nein, Herrin, nicht ›wir‹«, sagte der Späher. Er stand auf und wischte sich die Hände ab. »Die meisten Duergar haben für Drow nicht viel übrig, erst recht nicht für Vertreter des Adels und vor allem nicht für Priesterinnen Lolths. Eure Anwesenheit würde alles nur unnötig komplizieren. Es wäre am besten, wenn ich allein die Verhandlungen führen würde.«
Quenthel machte eine finstere Miene.
Jeggred, der dicht hinter ihr stand, polterte: »Ich könnte ihn begleiten und ein Auge auf ihn haben.«
Kaum hatte er ausgesprochen, begann Pharaun schallend zu lachen. »Wenn schon eine Priesterin Lolths einen Grauzwerg nervös macht, was glaubst du dann, welche Wirkung du hättest?«
Der Draegloth warf sich in die Brust, aber Quenthel schüttelte den Kopf, dann sagte sie: »Nein, er hat recht. Wir werden uns einen Platz suchen, an dem wir warten und vielleicht Neuigkeiten in Erfahrung bringen können, während Valas sich um die Einzelheiten kümmert.«
Sie gingen weiter, und nach kurzer Zeit hatten sie Mantol-Derith erreicht. Der Ort war erheblich kleiner, als Halisstra es erwartet hätte – eine Höhle, die um die zwanzig Meter hoch und vielleicht doppelt so breit war, sich dafür aber über viele Hunderte Schritt durch das Gestein wand und schlängelte. Sie war den großen Canon Ched Nasads gewöhnt, und in den Geschichten, die sie über andere Zivilisationen gehört hatte, war immer von gewaltigen Höhlen die Rede, die sich über Meilen erstreckten. Mantol-Derith wäre in einer Drow-Stadt nicht mehr als eine Nebenhöhle gewesen.
Sie war auch nicht annähernd so dicht bevölkert, wie Halis-stra gedacht hatte. Auf den Marktplätzen in ihrer Heimatstadt hatte immer reges Treiben geherrscht, bürgerliche Drow und die Sklaven der Adligen waren unterwegs gewesen, um ihre Besorgungen zu machen. Der Markt einer Drow-Stadt war üblicherweise von Energie und Aktivitäten erfüllt, auch wenn diese Aspekte auf eine spezielle Weise verdreht waren, um dem ästhetischen Empfinden der Drow-Gesellschaft zu entsprechen. Mantol-Derith war dagegen ruhig und abstoßend. Hier und da saßen oder hockten kleine Gruppen von Kaufleuten in der langgestreckten Höhle, die Waren hinter ihnen sicher in Kisten und Fässern verstaut, statt sie vor sich ausgebreitet zu präsentieren. Niemand rief etwas, niemand feilschte oder lachte. Wenn Geschäfte abgeschlossen wurden, geschah das dem Anschein nach im Flüsterton und im Schatten.
Geschöpfe vieler unterschiedlicher Völker kamen in Mantol-Derith zusammen. Eine ganze Reihe von Drow-Kaufleuten, die zum größten Teil aus Menzoberranzan stammten, wenn Halisstra die Wappenschilder an ihren Waren richtig deutete, beanspruchten verschiedene Winkel in der Höhle. Gedankenschinder glitten sanft von hier nach da, ihre bläulich-violette Haut glänzte feucht, und unter den Gesichtern der Kopffüßer zuckten Tentakel. Eine Handvoll finster dreinblickender Svirfnebli saß an einer Stelle zusammengekauert und betrachtete die Drow mit unverhohlener Ablehnung. Natürlich waren die Duergar in großer Zahl vertreten. Die hageren, kleinwüchsigen, breitschultrigen Grauzwerge kamen in geheimen Kabalen zusammen und unterhielten sich leise in ihrer gutturalen Sprache.
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