Wir fanden nach kurzer Zeit Hämmer, die uns von den Ketten befreiten, und einer nach dem anderen marschierten wir an dem mächtigen Amboß vorbei, wo Kron aus Tharna, Mitglied der Kaste der Metallarbeiter, die Metallringe mit geschicktem Schlag von unseren Handgelenken entfernte.
»Zum Zentralschacht!« rief ich und hob ein Schwert, das ich einem Wächter abgenommen hatte.
Ein Sklave, der uns die Nahrung zugetragen hatte, zeigte uns begeistert den Weg.
Endlich standen wir an dem riesigen Schacht.
Unsere Abbaustrecke lag vielleicht dreihundert Meter unter der Erdoberfläche. Wir sahen die gewaltigen Ketten, die in der Schachtmitte hingen und die durch die kleinen Lampen an den Eingängen anderer Abbaustrecken über uns erhellt wurden. Und ganz weit oben machten wir sogar den Widerschein des Mondlichts aus. Die Männer drängten sich am Fuße des Schachtes, der nur wenige Zentimeter unter der Öffnung unseres Stollens lag.
Sie starrten nach oben.
Der Mann, der sich gerühmt hatte, in den Bergwerken dreimal Kal-da getrunken zu haben, brach in Tränen aus, als er einen der drei goreanischen Monde erblickte.
Ich schickte mehrere Männer los, die an den Ketten bis ganz nach oben klettern sollten.
»Ihr müßt die Ketten verteidigen. Sie dürfen nicht gekappt werden«, sagte ich.
Von Wut und Hoffnung beflügelt, begannen die Männer zu klettern. Zu meiner Freude machte niemand den Vorschlag, daß wir ihnen folgen sollten, niemand bat, Das wir fliehen sollten, ehe Alarm gegeben werden konnte.
Nein! Wir kletterten zur zweiten Sohle empor!
Wie erschreckend es für die Wächter und Peitschensklaven sein mußte, uns so plötzlich ohne Ketten anzutreffen, eine unwiderstehliche Woge des Hasses und der Wut, die über sie hereinbrach! Würfel, Kartenspiele und Trinkkrüge polterten zu Boden, als Peitschensklaven und Wächter die Klingen verzweifelter Sklaven an die Kehlen gelegt bekamen, Männer, die der Hauch der Freiheit trunken gemacht hatte und die entschlossen waren, ihre Leidensgenossen zu befreien.
Eine Zelle nach der anderen wurde geöffnet, die armen Sklaven wurden freigelassen, und Wächter und Peitschensklaven, die sich vor Entsetzen nicht zu wehren wußten, nahmen ihre Stelle ein.
Eine Abbaustrecke nach der anderen wurde befreit, und die neu hinzukommenden Sklaven schlossen sich uns an und drangen in die darüberliegenden Sohlen vor, um ihre Mitsklaven zu befreien. Dies geschah wie nach einem vorher festgelegten Plan — dabei war es eine spontane Aktion, eine Tat von Männern, die ihr Selbstvertrauen zurückgewonnen hatten.
Ich war der letzte Sklave, der die Bergwerke verließ. Ich kletterte an einer der dicken Ketten zu dem riesigen Windenhaus über dem Schacht empor und fand mich inmitten Hunderter von jubelnden Männern, die von der Last ihrer Ketten befreit waren, deren Hände Waffen schwenkten, und wenn es sich nur um ein Felsstück oder ein paar Handschellen handelte. Die jubelnden Gestalten, von denen viele gekrümmt und ausgezehrt waren, begrüßten mich im Schein der drei goreanischen Monde. Sie riefen meinen Namen und den Namen meiner Stadt, ohne Angst davor zu empfinden. Ich stand am Rande des großen Schachtes und spürte den kühlen Nachtwind auf dem Gesicht.
Ich war glücklich.
Und stolz.
Ich sah den großen Schieber, durch den sich sämtliche Schächte überfluten ließen, und ich sah, daß er geschlossen war.
Ich war stolz, daß meine Sklaven diesen Schieber verteidigt hatten, denn ringsum lagen die Körper toter Soldaten, die ihn hatten erreichen wollen; aber noch mehr bewegte mich die Erkenntnis, daß die Sklaven nun den Schieber geschlossen gelassen hatten, obwohl sie wußten, daß unten in den engen Schachten und Zellen ihre Todfeinde und Unterdrücker lagen. Ich konnte mir das Entsetzen dieser armen Wesen vorstellen, die gefesselt auf das ferne Wasserrauschen in den Tunneln warteten. Doch dieses Geräusch würde ausbleiben.
Ich fragte mich, ob sie verstanden, daß eine solche Tat eines wirklich freien Menschen unwürdig war und daß die Männer, die in dieser windigen, kalten Nacht gesiegt hatten, die in der Dunkelheit der Tunnel und Schächte wie Larls gekämpft hatten, die nicht an die eigene Sicherheit, sondern an die Freiheit ihrer Mitgefangenen gedacht hatten — daß diese Männer wirklich frei waren.
Ich sprang auf die Kettenwinde und hob die Arme. Die Schwärze des Zentralschachtes gähnte unter mir.
Stille trat ein.
»Männer von Tharna«, rief ich, »und aus den anderen goreanischen Städten! Ihr seid frei!«
Ein großer Jubelschrei begrüßte diese Ankündigung.
»Die Nachricht von unseren Taten wird schon zum Palast der Tatrix getragen«, fuhr ich fort.
»Soll sie doch zittern!« rief Kron aus Tharna mit grollender Stimme. »Überlege doch, Kron aus Tharna«, rief ich zurück, »bald werden die Tarnkämpfer von den Mauern Tharnas aufsteigen, und die Infanterie wird sich gegen uns stellen.«
Besorgtes Murmeln wurde in den Reihen laut.
»Sprich, Tarl aus Ko-ro-ba«, sagte Kron und gebrauchte den Namen meiner Stadt wie jeden anderen Stadtnamen.
»Wir haben weder die Waffen noch die Ausbildung noch die Tiere, um uns gegen die tharnaischen Soldaten durchzusetzen«, sagte ich. »Wir würden vernichtet, zertreten wie Ratten. Deshalb müssen wir uns in die Wälder und Berge zurückziehen, müssen uns in kleine und kleinste Gruppen aufteilen. Wir müssen von den Früchten des Landes leben. Alle Soldaten und Gardisten Tharnas werden uns suchen, alle verfügbaren Kräfte werden zu unserer Verfolgung abkommandiert! Man wird uns verfolgen. Lanzenreiter auf den großen Tharlarions werden uns aufspießen. Die Pfeile der fliegenden Tarnkämpfer werden uns treffen!« »Aber wir werden in Freiheit sterben!« rief Andreas aus Tor, und sein Schrei wurde von unzähligen Stimmen aufgenommen.
»Und das muß für andere ebenso gelten!« rief ich. »Ihr müßt euch bei Tag verstecken und wahrend der Nacht weiterziehen. Ihr müßt euren Verfolgern ausweichen. Ihr müßt die Freiheit zu den anderen tragen!« »Verlangst du von uns, daß wir Krieger werden?« rief eine Stimme. »Ja!« schrie ich, und solche Worte waren auf Gor noch nie gesprochen worden. »In dieser Sache müßt ihr Krieger werden, ob ihr nun aus der Kaste der Bauern oder Dichter oder Metallarbeiter oder Sattelmacher stammt, Krieger!«
»Das werden wir!« sagte Kron aus Tharna und schwang den gewaldigen Hammer, mit dem er unsere Handfesseln abgeschlagen hatte. »Ist dies der Wille der Priesterkönige?« fragte eine Stimme. »Wenn es der Wille der Priesterkönige ist«, sagte ich, »soll es geschehen!« Und dann hob ich wieder die Hände. Ich stand auf der großen Winde über dem Schacht, vom Wind umzaust, die Monde Gors standen über mir, und ich rief: »Und wenn es nicht der Wille der Priesterkönige ist, soll es trotzdem geschehen!«
»Es soll geschehen«, sagte die Stimme Krons.
»Es soll geschehen«, sagten die Männer. zuerst nur vereinzelt, dann gemeinsam und schließlich im Chor, im mächtigen Rhythmus, und ich wußte, daß sich auf dieser Welt noch niemand so geäußert hatte. Und es wollte mir seltsam erscheinen, daß diese Rebellion, dieser Wille, das nach der eigenen Auffassung Rechte zu tun, ungeachtet des Willens der Priesterkönige, nicht von den stolzen Kriegern Gors ausging, auch nicht von den Schriftgelehrten oder Hausbauern oder Ärzten oder sonstigen hohen Kasten in den zahlreichen goreanischen Städten, sondern hier von den niedrigsten und verachtetsten Männern dieser Welt, den elenden Sklaven aus den Bergwerken von Tharna.
Ich blieb stehen und sah dem Abzug der Sklaven zu. Stumm wie Schatten wanderten sie davon, ihrem Leben als Geächtete entgegen, ihrem Geschick außerhalb jeglicher Gesetze und Traditionen ihrer Heimatstädte.
Der goreanische Abschiedsgruß kam mir in den Sinn: »Ich wünsche dir alles Gute.«
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