»Natürlich«, sagte ich und blickte sie von der Seite an. Sie musterte mich einen Augenblick ratlos, ehe sie zu lächeln begann. »Ja!« sagte sie.
»Ausgezeichnet!« Elizabeths Auffassungsgabe war vorzüglich.
»Paß auf«, sagte ich, nahm die beiden herabhängenden Enden und begann einen umfangreichen Knoten zu schlingen. Ich führte die Schnüre in immer komplizierteren Windungen umeinander und bemerkte dabei: »Es handelt sich um einen Knoten mit siebenundfünfzig Windungen. Andreas aus Tor hat ihn mir vor Jahren beigebracht.«
»Du knotest ihn immer gleich?«
»Ja«, sagte ich. »Jeder kann seinen eigenen Knoten haben, so ausgeprägt wie eine Unterschrift, und jeder Knoten ist ein Geheimnis.
Nur der Betreffende kann ihn binden, und – was wichtiger ist – nur er kennt die Bewegungen, mit denen der Knoten – falls er unberührt ist – wieder zu öffnen ist.« »Aber jeder kann doch den Knoten öffnen.«
»Gewiß, aber das Problem liegt darin, den Knoten wiederherzustellen, nachdem er geöffnet gewesen ist.«
»Der Bewohner des Raums kann also beim Aufknoten sofort feststellen, ob sich jemand daran zu schaffen gemacht hat.«
»Ja«, sagte ich. »So weiß er, ob sich jemand in seiner Abwesenheit für sein Quartier interessiert hat.«
Elizabeth beobachtete mich einige Zeit, während ich mein Werk beendete. Schließlich lehnte ich mich seufzend zurück.
»Ein wahrhaft gordischer Knoten«, sagte sie. »Alexander hat ihn mit dem Schwert durchgehauen.«
»Und hat damit der ganzen Welt verraten, daß jemand in den Raum, oder was immer es gewesen sein mag, eingedrungen war.«
Ich öffnete den Knoten wieder, zog die Schnüre durch das Loch und verriegelte die Tür von innen. »Ich bringe dir jetzt meinen Knoten bei«, sagte ich.
»Gut«, erwiderte Elizabeth ungerührt. »Ich sollte aber auch einen eigenen Knoten haben. Wenn, ich schon deinen Knoten lernen soll, sehe ich keinen Grund, warum du nicht auch meinen studieren solltest.«
»Elizabeth!« sagte ich ungeduldig, denn es ist kein reines Vergnügen, einen Signaturknoten zu lernen.
»Vella«, berichtigte sie mich.
»Also gut, Vella, du hast manchmal einen hübschen Starrkopf.«
»Es muß doch Spaß machen, einen Knoten zu erfinden«, sagte sie ungerührt. »Er muß etwas Weibliches haben, muß meine Persönlichkeit widerspiegeln.«
Ich stöhnte auf.
Sie legte mir den Arm um den Hals und sah mich schelmisch an.
»Vielleicht hat der Herr für seine Vella noch mehr übrig, wenn sie voll ausgebildet ist.«
»Vielleicht«, sagte ich.
Sie küßte mich auf die Nase, und ich schlang die Arme um sie.
Einige Monate zuvor waren Elizabeth und ich, das Ei der Priesterkönige in der Satteltasche meines Tarn, aus den Ebenen Turias, aus dem Land der Wagenvölker in den Norden zurückgekehrt. In der Nähe des Sardargebirges hatte ich den Tarn auf der scheibenähnlichen grauen Oberfläche des Schiffs landen lassen, etwa zwei Kilometer über der Oberfläche des Planeten. Das Schiff rührte sich nicht von der Stelle, sondern blieb stationär, als ruhe es auf einem unsichtbaren Unterbau.
Wolken wirbelten vorüber. In der Ferne tief unter uns schimmerten die schwarzen schneebedeckten Gipfel des Sardargebirges.
Hochaufragend und dünn wie eine goldene Messerklinge, die Vorderbeine anmutig in den Wind gehoben, die goldenen Tentakel vom Wind bewegt, so stand ein Priesterkönig auf dem Schiff.
Ich sprang vom Rücken meines Tarn und wandte mich dem Wesen zu.
Der Priesterkönig machte mit seinen vier hinteren Fortbewegungsorganen einen Schritt in meine Richtung.
Wir sahen uns an.
Ich betrachtete den riesigen Kopf, eine Goldkugel unter den windbewegten Tentakeln, eine Kugel, auf der die Häärchen der Sinnesorgane schimmerten.
Mein Herz schlug heftig, aber ich bewegte mich nicht. Mein Atem ging schnell, mein Herz war von Freude erfüllt. Ich betrachtete den großen goldenen Kopf und die beiden kreisförmigen, scheibenartigen Augen, die sich aus zahlreichen Facetten zusammensetzten. Licht schien über unzählige winzige Oberflächen zu zucken. Am linken Auge befand sich eine unregelmäßige weiße Naht.
Schließlich sagte ich: »Du solltest nicht so lange in der Sonne stehen.«
Das Wesen machte einen anmutigen Schritt. An der Röhre, die den Kopf mit dem Hauptkörper verband, war mit einer schmalen Kette das kleine, kompakte Übersetzungsgerät befestigt.
»Hast du das Ei?« fragte Misk. Die großen sich seitlich öffnenden und schließenden Kiefer hatten sich nicht bewegt. Statt dessen machte sich eine bestimmte Folge von Düften bemerkbar, von den Signaldrüsen des Priesterkönigs ausgeschieden, vom Übersetzungsgerät aufgefangen und in mechanisch artikulierte goreanische Worte umgeformt.
»Ja, Misk«, sagte ich. »Ich habe das Ei. Es ist in Sicherheit. Ich habe es in der Satteltasche meines Tarn.«
Es hatte einen Augenblick den Anschein, als könne sich das große Wesen nicht mehr auf den Beinen halten, doch es richtete sich mit sichtlicher Anstrengung wieder auf.
Langsam kam das riesige Geschöpf auf mich zu. Ich hob die Hände über den Kopf, und Misk senkte langsam Körper und Kopf und berührte mit den empfindlichen Spitzen seiner Tentakel meine Handflächen.
»Danke«, sagte Misk.
Elizabeth und ich hatten uns anschließend einige Wochen im Nest der Priesterkönige aufgehalten, in jener unglaublichen Anlage unter dem Sardargebirge.
Misk hatte sich sehr über das Ei gefreut, das sofort an die Fachleute weitergegeben wurde, um ausgebrütet zu werden. Ich möchte bezweifeln, daß die Ärzte und Wissenschaftler des Nests einem Gegenstand je vorsichtiger umgegangen sind als mit Ei – denn es war die einzige Chance zur Erhaltung ihrer Art.
Was ist aus Ko-ro-ba geworden – und aus Talena?« hatte ich noch auf dem Schiff gefragt. Ich mußte unbedingt von meiner Stadt und ihrem Geschick erfahren – und von dem Mädchen, das meine Freie Gefährtin gewesen war, vor so vielen Jahren.
Elizabeth hörte stumm meine Worte.
»Wie du vielleicht weißt«, sagte Misk, »wird deine Stadt neu aufgebaut.
Ihre Bürger sind aus allen Teilen Gors zurückgeströmt, und jeder hat einen Stein mitgebracht, der für die neuen Mauern bestimmt ist. In den Monaten, die du in unseren Diensten im Land der Wagenvölker verbrachtest, sind Tausende von Ko-ro-baner in ihre Heimat zurückgekehrt; Baumeister und andere Handwerker, alle Freien; sie haben an den Mauern und Türmen mitgewirkt. Ko-ro-ba wird wiedererstehen.«
»Und Talena?« fragte ich.
Misk ließ seine Tentakel hängen. »Sie ist leider noch nicht in die Stadt zurückgekehrt.«
Ich senkte den Kopf. Ich hatte sie über acht Jahre nicht gesehen.
»Ist sie Sklavin geworden?« fragte ich. »Oder lebt sie vielleicht gar nicht mehr?«
»Wir wissen nichts über sie«, sagte Misk. »Es tut mir leid.«
Und Misk hatte das Schiff in das Sardargebirge gesteuert.
Elizabeth hatte die Einrichtung des Nests zuerst sehr bestaunt, doch ich spürte bereits nach einigen Tagen, daß sie trotz der zahlreichen neuen Eindrücke lieber an der Oberfläche gewesen wäre, in der frischen Luft, im Sonnenschein.
Ich hatte viel mit Misk und anderen Freunden im Nest zu besprechen, vor allem mit dem Priesterkönig Kusk und den Menschen Al-Ka und Ba-Ta, an die ich mich gern erinnert hatte.
Auch begegnete ich im Nest dem Männchen der Priesterkönige, das keinen Namen hatte – ebensowenig wie die Mutter bei den Priesterkönigen einen Namen erhält. Man ist der Meinung, diese Wesen stehen über allen Namen, so wie der Mensch auch nicht daran denkt, etwa dem Universum als ganzem einen Namen zu geben. Er machte einen ausgezeichneten Eindruck auf mich, sehr ernsthaft und sehr zurückhaltend.
»Wie schön, daß es einen Vater des Nests gibt«, sagte ich zu Misk, »und auch bald wieder eine Mutter.«
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