»Selbstverständlich, mein Neffe, mach dir darüber keine Sorgen. So soll es geschehen. Inshallah. Du hast also keine Ahnung, wieviel der Kommissar wirklich weiß?«
»So sind die Flics. Es kann sein, daß er die Lösung bereits im Kopf hat, und es kann genausogut sein, daß er noch weniger weiß als ich. Er versteht sich ausgezeichnet darauf, einen im Nebel herumtappen zu lassen.«
»Er kann Friedlander Bei nicht im Nebel herumtappen lassen.«
»Er wird's probieren.«
»Er wird es nicht schaffen. Brauchst du mehr Geld, o Weisester der Weisen?«
Geld konnte ich immer brauchen. »Nein, Hassan, momentan reicht's. Papa war sehr großzügig.«
»Wenn du Bargeld für deine Ermittlungen brauchst, laß es mich wissen. Du hast ausgezeichnet gearbeitet, mein Sohn.«
»Immerhin bin ich noch nicht tot.«
»Du bist scharfzüngig wie ein Poet, mein Liebling. Ich muß nun gehen. Geschäft ist Geschäft, wie du weißt.«
»Stimmt, Hassan. Ruf mich an, wenn du mit Papa gesprochen hast.«
»Gepriesen sei Allah, möge er für deine Sicherheit Sorge tragen.«
»Allah yisallimak«, erwiderte ich. Ich stand auf, steckte das Telefon weg und suchte den Skarabäus, den ich noch in Nikkis Tasche gefunden hatte und den sie aus Seipolts Sammlung genommen hatte. Dieses Blechding bewies Nikkis direkte Verbindung mit Seipolt ebenso wie der Ring, den ich im Haus des Deutschen gesehen hatte. Jetzt natürlich, da Seipolt zu den lieben Dahingegangenen gehörte, waren der Wert dieser Gegenstände fragwürdig. Sicher, Dr. Yeniknani hatte noch das selbstgebastelte Moddy, das konnte ein wichtiges Beweisstück werden. Ich hielt die Zeit für gekommen, mir Gedanken über die Darstellung dieser Details zu machen, so daß ich sie gegebenenfalls bei einer höheren Stelle vorbringen konnte. Natürlich nicht bei Okking, und auch nicht bei Hajjar. Ich war mir nicht sicher, welche Stellen dafür in Frage kamen, aber es mußte irgendwo etwas Entsprechendes geben. Die drei Beweisstücke hätten nie ausgereicht, um ein europäisches Gericht zu überzeugen, aber für die islamische Rechtsprechung war das eine Menge.
Den Skarabäus fand ich unter der Matratze. Ich öffnete meine Nylontasche und stopfte Seipolts Souvenir unter meine Klamotten. Ich packte gewissenhaft, schließlich wollte ich sichergehen, daß nichts im Appartement zurückblieb, das mir gehörte. Das Gerümpel schob ich auf ein paar niedrige Stapel zusammen. Mir war nicht danach, noch groß sauberzumachen. Als ich fertig war, deutete nichts in dem Zimmer darauf hin, daß ich hier mal gewohnt hatte. Das erfüllte mich mit Wehmut: In diesem Appartement hatte ich länger als sonstwo in meinem Leben gewohnt. Wenn irgend etwas mein Zuhause genannt werden konnte, dann war es diese kleine Wohnung. Jetzt jedoch war es nur ein großes, ausgeräumtes Zimmer mit schmutzigen Fenstern und einer kaputten Matratze am Boden. Ich ging hinaus und machte die Tür hinter mir zu.
Die Schlüssel gab ich Qasim, dem Hausbesitzer, zurück. Er war überrascht und bestürzt, daß ich auszog. »Ich habe gerne in deinem Haus gewohnt«, erklärte ich ihm, »aber nun gefällt es Allah, daß ich weiterziehe.«
Er umarmte mich und rief zu Allah, er möge uns beide ins Paradies einziehen lassen.
Als nächstes ging ich zur Bank, hob mit meiner Karte mein ganzes Geld ab und löschte das Konto. Die Scheine stopfte ich in den Umschlag, den Friedlander Bei mir hatte zukommen lassen. Ich würde erst nachsehen, wieviel alles zusammen war, wenn ich eine neue Bleibe hatte. Ein kleines Spiel sozusagen.
Dann steuerte ich das Hotel Palazzo di Marco Aurelio an. Ich trug nun meine Gallebeya und die Keffiya, aber ich glaube nicht, daß man mich mit dem glattrasierten Gesicht und dem kurzen Haarschnitt an der Rezeption erkannte.
»Ich habe eine Woche im voraus bezahlt«, sagte ich, »aber wegen dringender Geschäfte muß ich schon früher als geplant abreisen.«
»Es tut uns leid, das zu hören«, sagte der Mann an der Rezeption. »Wir waren erfreut, Sie als Gast bei uns zu haben.« Ich nickte und legte meinen Zimmerschlüssel auf den Tresen. »Lassen Sie mich mal kurz nachsehen …« Er gab die Zimmernummer am Terminal ein, sah, daß das Hotel mir tatsächlich noch eine kleine Summe schuldete und ließ den Voucher ausdrucken.
»Sie waren sehr gütig«, sagte ich.
Er lächelte. »Es war uns ein Vergnügen.« Er reichte mir den Voucher und deutete auf die Kasse. Ich dankte ihm erneut. Ein paar Augenblicke später stopfte ich den Betrag, den ich zurückbekommen hatte, zu dem übrigen Geld in die Nylontasche.
Mit meinem ganzen Bargeld, allen Moddys und Daddys und den Klamotten in der Nylontasche, lief ich nach Südwesten, weg vom Budayin und weg von der teuren Geschäftsgegend um den Boulevard il-Jameel. Ich kam in ein Fellahîn- Viertel mit einem Gewirr von Gassen und kleinen Häusern mit flachen Dächern, die wieder mal gekalkt werden mußten und vor deren Fenster Läden oder Gitter aus dünnen Holzstäben waren. Einige waren in einem besseren Zustand. Versuche, in der trockenen Erde an der Mauer entlang einen Garten anzulegen, waren erkennbar. Andere machten einen völlig heruntergekommenen Eindruck mit ihren löchrigen Fensterläden, die in der Sonne baumelten wie die Zunge eines hechelnden Hundes. Ich ging zu einem guterhaltenen Haus und klopfte an die Tür. Ich wartete ein paar Minuten lang, bis sie aufging. Ein großer, muskelbepackter Mann mit einem schwarzen Vollbart schaute auf mich herab. Er musterte mich mißtrauisch, während er auf einem Holzsplitter kaute. Er wartete darauf, daß ich etwas sagte.
Ohne mir viel davon zu versprechen, fing ich mit meiner Geschichte an. »Ich wurde von meinen Kumpeln hier in der Stadt im Stich gelassen. Sie stahlen mir meine Waren und mein Geld. Ich bitte im Namen Allahs und im Namen von Gottes Apostel, möge der Segen Allahs auf ihm ruhen und Frieden mit ihm sein, gewährt mir für diesen Tag und die kommende Nacht eure Gastfreundschaft.«
»Verstehe«, sagte der Mann bissig. »Das Haus ist voll.«
»Ich werde Ihnen keinen Anlaß zur Beanstandung bieten, Ich …«
»Warum fragen Sie nicht woanders nach, wo man gastfreundlicher ist? Man sagt, es soll Familien geben, die soviel zu essen haben, daß es nicht nur für sie selber reicht, sondern auch für Hunde und Fremde. Ich dagegen bin froh, daß ich genug verdiene, um für meine Frau und meine vier Kinder Bohnen und Brot kaufen zu können.«
Ich verstand. »Ich weiß, daß Sie nicht auf Ärger aus sind. Als mich meine Kumpel ausraubten, wußten sie nicht, daß ich stets noch etwas Geld in meiner Tasche habe. In ihrer Habgier nahmen sie mit, was sie sahen. Mir aber blieb genug für ein oder zwei Tage, bis ich wieder nach Hause komme und sie zur Rechenschaft ziehen kann.«
Der Mann blickte mich unverwandt an, als warte er auf einen Zaubertrick.
Ich nahm meine Tasche ab und machte sie auf. Ich ließ ihn zusehen, wie ich die Hemden, Hosen und Socken beiseiteschob, schließlich faßte ich nach unten und zog eine Banknote raus. »Zwanzig Kiam«, sagte ich traurig. »Das ist alles, was sie mir ließen.«
Mein neuer Freund schien durch ein Gefühlsbad zu gehen. In dieser Gegend waren Zwanzig-Kiam-Scheine ein Ereignis. Er war sich vielleicht nicht über mich im klaren, ich aber wußte, was ihm durch den Kopf ging.
»Wenn Sie so großzügig wären, mir für die nächsten zwei Tage Zuflucht unter Ihrem Dach zu gewähren«, sagte ich, »können Sie diesen Schein hier haben.« Ich hielt ihm den Schein unter die weit aufgerissenen Augen.
Der Mann bebte sichtlich. Wäre er voll Laub gewesen, hätte er geraschelt. Er mochte keine Fremden — zum Teufel, niemand mochte Fremde. Die Vorstellung, einen für ein paar Tage in seinem Haus aufzunehmen, gefiel ihm nicht. Doch zwanzig Kiam, dafür mußte er einige Tage arbeiten. Wenn ich ihn ansah — ich wußte, daß er mich nicht mehr abcheckte —, konnte ich erkennen, wie er die zwanzig Kiam gerade auf hundert verschiedene .Möglichkeiten ausgab. Ich mußte nur abwarten.
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