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SIDNEY SHELDON: KALTE GLUT

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SIDNEY SHELDON KALTE GLUT

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Sie ist jung, bildhübsch, intelligent und mit einem Mann aus bestem Haus verlobt. Tracy Whitney hat alles, was man sich nur wünschen kann. Doch dann tappt sie, Opfer ihrer eigenen Gutgläubigkeit, in eine raffinierte Falle des Syndikats und landet wegen eines angeblichen Bilderdiebstahls hinter Gittern. Das Hochsicherheitsgefängnis wird für Tracy zur brutalen Lebensschule, und als sie ein paar Monate später das Gefängnis verläßt, ist sie eine andere Frau geworden: desillusioniert und besessen von dem Gedanken an Rache. Mit ihren einzigen Waffen — Intelligenz und Schönheit — macht sie sich systematisch daran, ihre Widersacher zu vernichten. Doch der Preis ihrer Rache ist hoch, denn die Gesellschaft verwehrt ihr die Rückkehr in ein normales Leben. Tracy setzt sich jedoch auf ihre Weise zur Wehr. Sie wird zu einer Superganovin, die nimmersatte Reiche um die angehäuften Reichtümer erleichtert.

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SIDNEY SHELDON

KALTE GLUT

ERSTES BUCH

1

NEW ORLEANS

Donnerstag, 20. Februar, 23 Uhr

Sie zog sich langsam aus, und als sie nackt war, hüllte sie sich in ein leuchtendrotes Morgenkleid, damit man dasBlut nachher nicht so deutlich sah. Doris Whitneyblickte sich zum letzten Mal im Schlafzimmer um. Sie wollte sicher sein, daß dieser freundliche Raum, den sie in den vergangenen dreißig Jahren so liebgewonnen hatte, sauber und ordentlich war. Sie öffnete die Nachttischschublade und nahmbehutsam die Pistole heraus. Die Waffe glänzte schwarz und war erschreckend kalt. Sie legte sie neben das Telefon und wählte die Nummer ihrer Tochter in Philadelphia.

«Tracy… ich wollte nur mal eben deine Stimme hören.«

«Mutter! Das ist aber eine Überraschung!«

«Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt.«

«Nein, ich habe noch gelesen. Charles und ich wollten zum Essen gehen, aber das Wetter ist einfach zu scheußlich. Hier schneit es wie verrückt. Undbei euch?«

Lieber Gott, wir reden über das Wetter, dachte Doris Whitney. Dabei hätte ich ihr so viel zu sagen. Und kann es nicht.

«Mutter? Bist du noch dran?«

Doris Whitney schaute aus dem Fenster.»Hier regnet es. «Wie melodramatisch, dachte sie. Und passend. Wie in einem Hitchcock‑Film.

«Was ist das für ein Krach im Hintergrund?«

Donner. Doris Whitney war so in Gedanken versunken, daß sie es nicht wahrgenommen hatte. Über New Orleans tobte ein

Gewitter. Anhaltende Regenfälle, hatte es im Wetterbericht geheißen. Temperaturen um neunzehn Grad. Gegen Abend gewittrige Schauer. Vergessen Sie Ihren Regenschirm nicht. Sie würde keinen Regenschirmbrauchen.

«Es donnert, Tracy. «Doris Whitneybemühte sich, einen heiteren Tonfall anzuschlagen.»Nun erzähl mir mal, was sich so tut in Philadelphia.«

«Ich komme mir vor wie eine Märchenprinzessin, Mutter«, sagte Tracy.»Ich habe nie geglaubt, daß man so glücklich sein kann. Morgen abend lerne ich Charles' Eltern kennen. «Sie senkte ihre Stimme, als hätte sie eine große Ankündigung zu machen.»Die Stanhopes vom Chestnut Hill. «Tracy lachte.»Sie sind eine Institution. Ich habe eine Heidenangst.«

«Mußt du nicht, Liebling. Sie werden dich sicher mögen.«

«Charles sagt, das sei egal. Er liebt mich. Und ichbete ihn an. Ich kann es gar nicht erwarten, daß du ihn kennenlernst. Er ist phantastisch.«

«Das glaube ich dir gern. «Sie würde Charles nie kennenlernen. Und nie ein Enkelkind auf dem Schoß wiegen. Nein. Daran darf ich nicht denken.»Weiß er, wie froh er sein kann, daß er dich hat?«

«Ich sage es ihm immer wieder«, lachte Tracy.»Jetzt haben wir aber genug von mir geredet. Erzähl mir von dir. Wie fühlst du dich?«

Sie sind kerngesund, Doris, hatte Dr. Rush gesagt. Sie werden hundert Jahre alt. Eine der kleinen Ironien des Schicksals.»Ich fühle mich prächtig.«

«Hast du inzwischen einen Freund?«fragte Tracy.

Seit Tracys Vater vor fünf Jahren gestorben war, hatte Doris Whitney nicht einmal daran gedacht, mit einem anderen Mann auszugehen, obwohl Tracy ihr gut zugeredet hatte.

«Nein. «Doris Whitney wechselte das Thema.»Wie läuft es mit deinem Job? Macht er dir immer noch Spaß?«

«Ja, ich finde ihn einfach toll. Und Charles hat nichts

dagegen, wenn ich nach der Hochzeit weiterarbeite.«

«Das ist schön, mein Kind. Hört sich so an, als wäre er ein sehr verständnisvoller Mann.«

«Ist er auch. Du wirst ja sehen.«

Ein gewaltiger Donnerschlag krachte — das Stichwort gewissermaßen. Es war Zeit. Es gabnichts mehr zu sagen, nur ein letztes Lebewohl.»Auf Wiedersehen, Liebling. «Doris Whitney achtete sehr darauf, daß ihre Stimme nicht zitterte.

«Wir sehen unsbei der Hochzeit, Mutter. Ich rufe dich an, sobald ich den Termin weiß.«

«Ja. «Es gabdoch noch etwas zu sagen.»Ich habe dich sehr, sehr lieb, Tracy. «Doris Whitney legtebehutsam den Hörer auf.

Sie griff nach der Pistole. Es gabnur einen Weg, das Ganze schnell hinter sich zubringen. Sie hobdie Pistole an ihre Schläfe und drückte ab.

2

PHILADELPHIA

Freitag, 21. Februar, 8 Uhr

Tracy Whitney trat aus der Eingangshalle ihres Appartmenthauses in einen grauen, mit Graupeln vermischten Regen hinaus. Er fiel unparteiisch auf die eleganten Limousinen, die von uniformierten Chauffeuren die Market Street entlanggesteuert wurden, und auf die leerstehendenBehausungen, die sich in den Slums von North Philadelphia aneinanderdrängten. Er wusch die Limousinen sauber und machte ein schmieriges Chaos aus den Müllhaufen vor den heruntergekommenen Reihenhäusern. Tracy Whitney war auf dem Weg zu ihrer Arbeit in derBank. Sie lief auf der Chestnut Street nach Osten, und wenn sie nicht so schnell gegangen wäre, hätte sie laut gesungen. Sie trug einen gelben Regenmantel, Stiefel und einen gelben Hut, der ihr üppiges, seidig glänzendes kastanienbraunes Haar kaum fassen konnte. Sie war fünfundzwanzig, hatte ein lebhaftes, kluges Gesicht, einen vollen, sinnlichen Mund, strahlende Augen, deren Farbe sichbinnen Sekunden von sanftem Moosgrün zu einem tiefen Jadeton wandeln konnte, und eine hübsche, sportliche Figur.

Und als sie nun die Straße entlangging, drehten sich die Leute nach ihr um, lächelten sie an undbeneideten sie um das Glück, das sie ausstrahlte. Tracy lächelte zurück.

Es ist unanständig, so glücklich zu sein, dachte sie. Ich heirate den Mann, den ich liebe, und ich werde ein Kind von ihm haben. Was will man mehr?

Als sich Tracy demBankgebäude näherte, warf sie einen

Blick auf ihre Uhr: 8 Uhr 20. Die Pforten der Philadelphia Trust and FidelityBank würden sich erst in zehn Minuten für die Angestellten öffnen, aber Clarence Desmond, stellvertretender Direktor derBank und Leiter der Auslandsabteilung, stelltebereits den Außenalarm abund schloß die Tür auf. Es machte Tracy Spaß, das Morgenritual zubeobachten. Sie stand im Regen und wartete, während Desmond das Gebäudebetrat und die Tür hinter sich abschloß.

Überall auf der Welt habenBanken ihre geheimen Sicherheitsvorkehrungen, und die Philadelphia Trust and FidelityBank machte da keine Ausnahme. Die Routinebliebimmer die gleiche. Bis auf das» Sicherheitssignal«, das jede Woche geändert wurde. Diese Woche handelte es sich um einen halbheruntergelassenen Rolladen, der den draußen wartenden Angestelltenbedeutete, daß gerade eine Überprüfung im Gange war. Clarence Desmond vergewisserte sich, daß keine Eindringlinge in derBank versteckt waren und darauf lauerten, die Angestellten als Geiseln zu nehmen. Er schaute überall nach: auf den Toiletten, in den Nebenräumen, im Tresorraum und im Raum mit den Schließfächern. Erst wenn er sich davon überzeugt hatte, daß er allein im Gebäude war, ging der Rolladen hoch: alles in Ordnung.

Um 8 Uhr 30betrat Tracy Whitney mit den anderen Angestellten die etwas protzige Eingangshalle, nahm ihren Hut ab, zog ihren Regenmantel und ihre Stiefel aus und hörte mit heimlicherBelustigung zu, wie die anderen über das Wetter jammerten.

Dann machte sie sich an ihre Arbeit.

Tracy leitete die Abteilung für telegrafische Überweisungen. Bis vor kurzem waren die Überweisungen vonBank zuBank und von Land zu Land eine langweilige, umständliche Sache gewesen. Aber mit der Einführung der Computer hatte sich das durchgreifend geändert. Nun konnten ungeheureBeträgeblitzschnell überwiesen werden. Alle Transaktionen waren

kodiert, und der Kode wechselte regelmäßig, damit kein unbefugtes Eindringen in den Zahlungsverkehr möglich war. Tagtäglich gingen Millionen elektronischer Dollar durch Tracys Hände, Diese Arbeit faszinierte sie, undbis sie Charles kennengelernt hatte, war dasBankwesen für sie das Aufregendste auf der Welt gewesen.

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