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SIDNEY SHELDON: KALTE GLUT

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SIDNEY SHELDON KALTE GLUT

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Sie ist jung, bildhübsch, intelligent und mit einem Mann aus bestem Haus verlobt. Tracy Whitney hat alles, was man sich nur wünschen kann. Doch dann tappt sie, Opfer ihrer eigenen Gutgläubigkeit, in eine raffinierte Falle des Syndikats und landet wegen eines angeblichen Bilderdiebstahls hinter Gittern. Das Hochsicherheitsgefängnis wird für Tracy zur brutalen Lebensschule, und als sie ein paar Monate später das Gefängnis verläßt, ist sie eine andere Frau geworden: desillusioniert und besessen von dem Gedanken an Rache. Mit ihren einzigen Waffen — Intelligenz und Schönheit — macht sie sich systematisch daran, ihre Widersacher zu vernichten. Doch der Preis ihrer Rache ist hoch, denn die Gesellschaft verwehrt ihr die Rückkehr in ein normales Leben. Tracy setzt sich jedoch auf ihre Weise zur Wehr. Sie wird zu einer Superganovin, die nimmersatte Reiche um die angehäuften Reichtümer erleichtert.

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Tracy hatte Charles Stanhope junior während einer Finanztagung kennengelernt, auf der er den Gastvortrag hielt. Charles leitete die Investmentgesellschaft, die sein Urgroßvater gegründet hatte, und seine Firma stand in regem Geschäftsverkehr mit derBank, für die Tracy arbeitete. Nach Charles' Vortrag war Tracy zum Rednerpult gegangen, um seiner Auffassung zu widersprechen, daß die Länder der dritten Welt in der Lage seien, die schwindelerregendenBeträge zurückzuzahlen, die sie von Großbanken und westlichen Regierungen geborgt hatten. Charles war anfangsbelustigt, dannbeeindruckt und schließlich fasziniert von den leidenschaftlichen Argumenten der schönen jungen Frau. Sie hatten das Gesprächbeim Essen in einem Restaurant fortgesetzt.

Charles Stanhope junior ließ Tracy zunächst völlig kalt, obwohl sie natürlich wußte, daß man ihn für diebeste Partie von Philadelphia hielt.

Charles war fünfunddreißig, maß einen Meter achtundsiebzig, hatte schütteres strohblondes Haar undbraune Augen, trat ernst, ja pedantisch auf und war, so dachte Tracy, einer von jenen sterbenslangweiligen Reichen.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, beugte sich Charles etwas vor und sagte:

«Mein Vater ist überzeugt, daß sie ihm im Krankenhaus das falscheBaby gegeben haben.«

«Wiebitte?«

«Ichbin aus der Art geschlagen. Ich finde nämlich nicht, daß

Geld der Hauptzweck des Lebens ist. Aber das dürfen Sie meinem Vaterbitte nie verraten.«

Er hatte etwas sobezauberndBescheidenes, daß sich Tracy allmählich für ihn erwärmte. Wie das wohl wäre, mit jemandem wie ihm verheiratet zu sein?

Es hatte Tracys Vater die meiste Zeit seines Lebens gekostet, ein Geschäft aufzubauen, über das die Stanhopesbloß spöttisch gelächelt hätten: unbedeutend. Zwischen den Stanhopes und den Whitneys liegen Welten, dachte Tracy. Aber was spinne ich da eigentlich vor mich hin? Ein Mann lädt mich zum Essen ein, und ich überlege mir, obich ihn heiraten will. Wahrscheinlich werden wir uns nie wiedersehen.

Dann sagte Charles:»Ich hoffe, Sie haben morgen abend noch nichts vor?«

In Philadelphia gabes viel zu sehen, und man konnte eine Menge unternehmen. An den Samstagabenden gingen Tracy und Charles ins Theater oder ins Konzert, und unter der Wochebummelten sie durch New Market oderbesuchten das Philadelphia Museum of Art und das Rodin‑Museum.

Da Charles sich nichts aus Sport machte, Tracy dagegen Spaß an körperlicherBewegung hatte, joggte sie jeden Samstagmorgen allein durch die Anlagen am Schuylkill River, und Samstag nachmittagsbesuchte sie einen Tai Chi Chuan‑Kurs. Das Training dauerte eine Stunde, und danach traf sie sich, erschöpft, aberbester Laune, mit Charles in seiner Wohnung. Er war ein Feinschmecker, kochte vorzüglich undbereitete gern für Tracy und sich Gerichte fremder Länder zu.

Charles war der förmlichste Mensch, den Tracy kannte. Sie war einmal zu einer Verabredung mit ihm eine Viertelstunde zu spät gekommen, und er ärgerte sich so darüber, daß es ihr den ganzen Abend verdarb. Danach hatte sie sich geschworen, nie wieder unpünktlich zu sein.

Tracy hatte nicht viel sexuelle Erfahrung, aber sie hatte den

Eindruck, daß Charles imBett genauso war wie im sonstigen Leben: gewissenhaft und überaus korrekt. Einmal hatte Tracybeschlossen, frech und unkonventionell zu sein. Sie hatte Charles damit so schockiert, daß sie sich fragte, obsie vielleicht einbißchen pervers sei.

Die Schwangerschaft kam völlig unerwartet. Und als es passierte, war Tracy entsetzlich unsicher. Charles hatte nie über eine mögliche Ehe geredet, und sie wollte nicht, daß er das Gefühl hatte, er müsse sie nun heiraten. Ganz kurz dachte sie an eine Abtreibung, aber sie merktebald, daß sie dies nicht wirklich wollte.

Eines Abendsbeschloß sie, Charles nach dem Essen zu sagen, daß sie schwanger war. Sie kochte in ihrer Wohnung ein Cassoulet für ihn und ließ es anbrennen vor lauter Nervosität. Als sie ihm das angesengte Fleisch und diebräunlich verfärbtenBohnen vorsetzte, vergaß sie ihre sorgfältig einstudierte kleine Rede und platzte einfach damit heraus:»Es tut mir schrecklich leid, Charles. Ich — ichbin schwanger.«

Dem folgte ein unerträglich langes Schweigen, und als Tracy es geradebrechen wollte, sagte Charles:»Wir heiraten selbstverständlich.«

Tracy fiel ein Stein vom Herzen.»Ich will aber nicht, daß du denkst… Ich meine, du mußt mich nicht heiraten.«

Er hobdie Hand, winkte ab.»Ich will dich aber heiraten, Tracy. Dubist sicher eine wunderbare Ehefrau. «Langsam fügte er hinzu:»Meine Eltern werden natürlich einbißchen überrascht sein.«

Und er lächelte Tracy an und küßte sie.

Tracy fragte ruhig:»Warum werden sie überrascht sein?«

Charles seufzte.»Ach, Liebling… ich fürchte, dubist dir nicht ganz im klaren, worauf du dich da einläßt. Die Stanhopes heiraten immer — in Anführungszeichen, wohlgemerkt —

ihresgleichen. Also erstens reich und zweitens alteingesessene Prominenz von Philadelphia.«

«Und deine Eltern habenbereits eine Frau für dich ausgesucht«, vermutete Tracy.

Charles nahm sie in die Arme.»Das ist völlig egal. Wen ich ausgesucht habe — das zählt und sonst nichts. Nächsten Freitag essen wirbei meinen Eltern zu Abend. Es wird Zeit, daß du sie kennenlernst.«

Fünf Minuten vor neun nahm Tracy eine Veränderung im Geräuschpegel derBank wahr. Die Angestellten sprachen ein wenig schneller undbewegten sich einbißchen rascher. In fünf Minuten würden sich die Pforten derBank öffnen, und dann mußte allesbereit sein. Durch das Fenster zur Straße sah Tracy die Kunden, die im kalten Regen auf demBürgersteig anstanden und warteten.

Tracybeobachtete, wie der Wachmann derBank neueBlankoformulare zur Ein- und Auszahlung in die Metallständer auf den sechs Tischen steckte, die am Mittelgang der Schalterhalle aufgereiht waren. Die Stammkundschaft derBank erhielt Einzahlungsbelege mit einem persönlichen Kode auf Magnetstreifen im unteren Feld des Formulars. Wenn eine Einzahlung vorgenommen wurde, buchte der Computer denBetrag automatisch auf das richtige Konto. Doch es geschah oft, daß Kunden ohne ihre Einzahlungsbelege in dieBank kamen. Dannbenutzten sieBlankoformulare.

Der Wachmannblickte auf die Wanduhr. Die Zeiger rückten auf 9 Uhr, und er ging zur Tür und schloß sie fast feierlich auf.

DerBankalltag hattebegonnen.

In den nächsten Stunden war Tracy so sehr am Computerbeschäftigt, daß sie an nichts anderes denken konnte. Bei jeder telegrafischen Überweisung mußte nachgeprüft werden, obsie fehlerfrei war. Wenn ein Kontobelastet wurde, tippte

Tracy die Kontonummer, denBetrag und dieBank ein, auf die das Geld überwiesen werden sollte. JedeBank hatte ihre eigene Leitzahl, und dieBankleitzahlen aller größerenBanken der Welt waren in einem Verzeichnis zum Dienstgebrauch aufgeführt.

Der Vormittag verging wie im Flug, und Tracy wollte in der Mittagspause zum Friseur. Zu einem teuren, aber das würde sich hoffentlich lohnen. Charles' Eltern sollten sie von ihrerbesten Seite sehen. Ich muß sie dazubringen, daß sie mich mögen, dachte Tracy. Es ist mir egal, wen sie für ihn ausgesucht haben. Niemand kann Charles so glücklich machen wie ich.

Es war 13 Uhr. Tracy schlüpfte gerade in ihren Regenmantel, als Clarence Desmond sie in seinBüro rief. Desmond war die Idealverkörperung einesBankmannes; hätte die Philadelphia Trust and FidelityBank im Fernsehen Werbung gemacht, so wäre er der perfekte Sprecher gewesen. Er war immer konservativ gekleidet, hatte etwas von einer soliden, altmodischen Autorität und wirkte absolut vertrauenswürdig.

«Nehmen Sie Platz, Tracy«, bat er. Er rühmte sich, alle Angestelltenbeim Vornamen zu kennen.»Scheußlich draußen, nicht?«

«Ja.«

«Aber die Leute müssen nun mal zurBank. Tja. «Mehr unverbindliche Floskeln fielen ihm nicht ein. Erbeugte sich ein wenig vor.»Wie man hört, wollen Charles Stanhope und Sie heiraten.«

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