Shivith stellte die fremden Wesen vor und gab seinen Stammesgenossen einen kurzen und recht zutreffenden Bericht ihres Anliegens. Louis war darauf vorbereitet, der Lüge bezichtigt zu werden, aber das geschah nicht. Er wurde auch dem Häuptling vorgestellt: eine Frau, die ihm nicht einmal bis zu den Brustwarzen reichte und ihn mit beunruhigenden spitzen Zähnen anlächelte. Louis versuchte, ihre Verbeugung nachzuahmen. Die Frau hieß Ginjerofer.
»Shivith erzählte uns, daß ihr die Abwechslung liebt«, sagte Louis und deutete auf das Ergebnis seiner stundenlangen Bemühungen in der Bordküche. Drei der Eingeborenen schwenkten den grünen Elefanten herum, gaben ihm einen Schlag mit den Speergriffen und trieben ihn zurück zur grasenden Herde. Der Stamm fiel über sein Mittagessen her. Auch aus den Hütten, die Louis für leer gehalten hatte, kamen noch Dorfbewohner zum Essen: ein Dutzend sehr alter Männer und Frauen. Louis hatte Shivith schon für einen alten Mann gehalten. Er war an den Anblick von faltiger Haut, arthririschen Gelenken und alten Narben nicht mehr gewöhnt. Er fragte sich, warum sich diese Leute bisher versteckt gehalten hatten. Vermutlich hatten sie mit Pfeilen auf ihn und Chmeee gezielt, während sie mit Shivith und den Kindern plauderten.
In eine paar Minuten waren vom Fleisch nur noch kahle Knochen übrig. Sie redeten nicht beim Essen und schienen dabei auch keine protokollarische Ordnung einzuhalten. Ihre Tischsitten unterschieden sich kaum von jenen der Kzinti. Chmeee nahm die Einladung an, an dem Fest teilzunehmen. Er aß den Moa, den die Eingeborenen nicht haben wollten. Sie hielten sich an das rote Fleisch.
Louis hatte das Fleisch mit Hilfe der großen Repulsionsplatten vom Schiff zum Dorfplatz tranportiert. Seine Muskeln schmerzten von der anstrengenden Arbeit. Er sah zu, wie die Eingeborenen sich das Fleisch schmecken ließen. Das tat ihm wohl. Er fühlte sich wohl, obwohl kein Wonnestecker in seinem Schädel befestigt war.
Die Mehrzahl der Eingeborenen verließ das Dorf nach der Mahlzeit, um die Herde zu bewachen. Shivith, Ginjerofer und noch ein paar von den älteren Bewohnern blieben auf dem Dorfplatz zurück. Chmeee fragte Louis: »Ist dieser Moa ein organisches Kunstprodukt oder ein Vogel? Der Patriarch möchte bestimmt so einen Vogel in seiner Fasanerie unterbringen.«
»Es gibt so einen Vogel«, erwiderte Louis. »Ginjerofer, ich hoffe, damit habe ich mich für die Stampede heute morgen revanchiert.«
»Wir danken dir«, sagte sie. Frisches Blut war an ihren Lippen und an ihrem Kinn. Ihre Lippen waren voll und viel roter als ihre Haut. »Vergessen wir die Stampede. Es gehört mehr zum Leben als das Gefühl, satt zu sein. Wir freuen uns, wenn wir Leute treffen, die anders sind als wir. Sind eure Welten wirklich so viel kleiner als unsere? Und noch rund dazu?«
»So rund wie ein Ball. Wenn meine Welt dort oben auf dem Ringbogen liegen würde, würde man sie von hier aus nur als einen weißen Punkt erkennen können.«
»Werdet ihr zu diesen kleinen Welten zurückkehren und von uns berichten?«
Die Übersetzungsgeräte übermittelten dieses Gespräch vermutlich zum Raumschiff, wo es auf Band aufgenommen wurde. Louis sagte: »Eines Tages kehren wir zu unseren Planeten zurück.«
»Ihr werdet bestimmt manches von uns wissen wollen.«
»Ja. Vernichten die Sonnenblumen eure Weidegründe?«
Er mußte mehrmals deuten, ehe sie ihn verstanden. »Dieses helle Licht dort drüben am Horizont? Darüber können wir euch nichts erzählen.«
»Habt ihr euch nicht darüber gewundert? Habt ihr keine Späher dorthin geschickt?«
Sie runzelte die Stirn.
»Was ich weiß, habe ich von meinen Vätern und Müttern erfahren. Sie waren schon als kleine Kinder immer antispinnwärts gezogen. Sie erinnern sich noch daran, daß sie einem großen See ausweichen mußten, aber dem Ufer nicht zu nahe kamen, weil unsere Tiere die Pfanzen verschmähten, die dort am Ufer wuchsen. Damals sahen wir ein helles Licht spinnwärts, das jetzt aber stärker ist als zu jener Zeit. Was die Kundschafter betrifft: Eine Abteilung junger Männer zog aus, um sich das Licht zu betrachten. Unterwegs trafen sie auf Riesen. Die Riesen töteten ihre Tiere. Deshalb mußten sie umkehren. Sie hatten keinen Reiseproviant mehr.«
»Es scheint, daß sich die Sonnenblumen schneller bewegen als ihr.«
»Okay. Wir können uns auch schneller bewegen, falls das nötig ist.«
»Was wißt ihr von den schwebenden Städten?«
Ginjerofer hatte die fliegende Stadt schon als Kind gesehen. Sie war ein Wahrzeichen wie der blaue Himmelsbogen. Nachts konnte man sogar bei bedecktem Himmel noch den gelben Fleck wiederfinden, wo sich die Stadt befand. Doch das war alles, was sie darüber wußte. Die Stadt war so weit von ihnen entfernt, daß nicht einmal Gerüchte über die Lebensverhältnisse der Stadt bis zu ihnen vorgedrungen waren.
»Aber es werden uns Geschichten aus großer Entfernung zugetragen, falls ihr euch vielleicht dafür interessiert. Es ist möglich, daß sie entstellt oder verzerrt wurden, ehe sie uns erreichten. Aber man erzählte uns von den Leuten der Schüttberge, die zwischen der kalten weißen Ebene und den Hügeln wohnen, wo die Luft viel zu dick ist. Sie fliegen zwischen den Schüttbergen hin und her. Dazu verwenden sie Himmelsschlitten, wenn sie diese Geräte bekommen können, doch es werden keine neuen Himmelsschlitten mehr gebaut, so daß sie sich seit ein paar hundert Jahren mit Ballons begnügen müssen. Könnt ihr mit euren Sehgeräten bis zu den Schüttbergen blicken?«
Louis schnallte ihr die binokularen Schutzbrille um und zeigte ihr, wie sie die Vergrößerung einstellen mußte. »Warum nennt ihr sie Schüttberge? Ist das das gleiche Wort, das ihr verwendet, wenn ihr Wasser ausschüttet?«
»Ja. Ich habe keine Ahnung, warum wir sie Schüttberge nennen. Dein Sehgerät zeigt mir nur die größeren Berge.« Sie drehte sich spinnwärts. Die Brille bedeckte fast ihr ganzes Gesicht. »Ich kann das Ufer des Wassers sehen und dahinter ein Leuchten.«
»Was habt ihr sonst noch für Geschichten gehört?«
»Wenn wir anderen Stämmen begegnen, reden wir meistens über die Gefahren, die uns bedrohen. Antispinnwärts wohnen gehirnlose Fleischfresser, die auch Menschen töten. Sie sehen uns ähnlich, sind aber kleiner, haben eine schwarze Haut und jagen nur nachts. Und sie sind.« Sie runzelte wieder die Stirn. »Wir wissen nicht, ob es wahr ist, was man sich von ihnen erzählt. Da gibt es gehirnlose Wesen, die einen Menschen zwingen, mit ihnen Rishathra zu begehen. Aber man überlebt den Liebesakt nicht.«
»Ihr könnt doch nicht den Brauch des Rishathra ausüben, hörte ich. Also können sie euch auch nicht gefährlich werden.«
»Selbst uns werden sie gefährlich, habe ich gehört.«
»Wie steht es mit Krankheiten? Parasiten?«
Keiner von den Eingeborenen wußte, was diese Worte bedeuteten! Flöhe, Hakenwürmer, Moskitos, Masern, Wundbrand — all diese Plagen waren unbekannt auf der Ringwelt. Das hätte er sich allerdings denken können. Die Ringwelt-Ingenieure harten diese Plagen gar nicht erst aus dem Weltall mitgebracht. Trotzdem erschrak er, als Ginjerofer mit diesen Begriffen nichts anzufangen wußte. Es bestand ja die Möglichkeit, daß er Keime dieser Krankheiten, nach denen er sich erkundigte, auf die Ringwelt eingeschleppt haben konnte. nein, höchstwahrscheinlich nicht. Der Autodock würde alle gefährlichen Keime abgetötet haben.
Trotzdem waren die Eingeborenen den zivilisierten Menschenwesen sehr ähnlich. Sie wurden alt, aber nicht krank.
10. Das gewagte Spiel, sich als Gott auszugeben
Die Abenddämmerung war noch nicht hereingebrochen, ab Louis vor Erschöpfung die Augen nicht mehr offen halten konnte.
Ginjerofer bot ihnen eine Hütte zum Schlafen an; aber Chmeee und Louis zogen das Landungsboot als Ruhestätte vor. Louis warf sich sofort zwischen die Schlafplatten, während Chmeee noch das Landungsboot in Verteidigungszustand versetzte.
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