Februar, also gerade gestern — wie will eine Firma da noch einen Impfstoff entwickeln, ohne Lizenzgebühren zu bezahlen?«
Nilson beugte sich zum Mikrofon auf dem Podium. »Ein solches Patent gibt es nicht, Mr. Merton.«
»Oh doch«, erwiderte Merton mit einem nervösen Zucken um die Nase, »und ich hatte gehofft, Dr. Lang könnte die Verbindungen zwischen ihrem verstorbenen Mann und Richard Bragg erläutern, ebenso wie die Frage, ob das zu ihrer derzeitigen Stellung bei Americol und den CDC passt.«
Kaye war wie vor den Kopf gestoßen und brachte kein Wort heraus.
Merton, voller Stolz auf die Verwirrung, die er gestiftet hatte, grinste.
Kaye ging hinter Jackson in den grünen Salon, gefolgt von Pong, Subramanian und den anderen Wissenschaftlern. Cross saß mit ernster Miene mitten auf einem großen blauen Sofa. Im Halbkreis um die Couch standen vier ihrer Staranwälte.
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«, wollte Jackson wissen, wobei er mit einer weit ausholenden Armbewegung in Richtung des Podiums deutete.
»Der kleine Kläffer da draußen hat Recht«, sagte Cross. »Richard Bragg hat irgendjemanden beim Patentamt davon überzeugt, dass er die SHEVAGene früher als alle anderen sequenziert hatte. Den Patentantrag hat er schon letztes Jahr eingereicht.«
Kaye nahm das Fax mit dem Patent von Cross. Auf der Liste der Erfinder stand Saul Madsen; zu den Begünstigten gehörten EcoBacter und AKS Industries — die Firma, die EcoBacter aufgekauft und liquidiert hatte.
»Kaye, sagen Sie es mir jetzt, und bitte ehrlich«, sagte Cross.
»Haben Sie davon gewusst?«
»Nichts«, erwiderte Kaye. »Marge, ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll. Ich habe Genorte ermittelt, aber ich habe die Gene nicht sequenziert. Saul hat den Namen Richard Bragg nie erwähnt.«
»Was bedeutet das für unsere Arbeit?«, tobte Jackson. »Lang, wie konnten Sie über so etwas nicht Bescheid wissen?«
»Wir sind damit noch nicht fertig«, sagte Cross. »Harold?« Sie sah den ihr am nächsten stehenden grauhaarigen Mann mit seinem makellosen Nadelstreifenanzug an.
»Wir werden es anfechten und uns dabei auf Genetron gegen Amgen berufen, ›Zufallspatente auf Retrogene im Mausgenom‹«, sagte der Anwalt. »Geben Sie uns einen Tag, dann haben wir ein Dutzend weitere Begründungen für die Aufhebung.« Er wandte sich an Kaye und fragte: »Bekommt AKS oder irgendeine Tochterfirma Bundesmittel?«
»EcoBacter hatte eine kleine staatliche Subvention beantragt«, erwiderte Kaye. »Sie wurde auch bewilligt, aber nie ausgezahlt.«
»Wir könnten die NIH veranlassen, sich auf das BayhDoleGesetz zu berufen. Danach stehen dem Staat Patentrechte für alle mit Steuergeldern unterstützten Projekte zu«, grübelte der Anwalt erfreut.
»Und was ist, wenn wir damit nicht durchkommen?«, unterbrach ihn Cross mit tiefer, drohender Stimme.
»Möglicherweise können wir nachweisen, dass Ms. Lang ein Interesse an dem Patent hat. Gesetzwidrige Übergehung eines Ersterfinders.«
Cross schlug mit der Faust auf die Sofakissen. »Also sind wir optimistisch«, sagte sie. »Kaye, meine Liebe, Sie sehen aus wie der Ochs vorm Berg.«
Kaye hob abwehrend die Hände. »Marge, ich schwöre Ihnen, ich habe nichts …«
»Ich möchte gerne wissen, warum meine eigenen Leute das nicht ausgegraben haben. Ich muss sofort mit Augustine und Shawbeck reden.« Sie wandte sich an die Anwälte. »Seht mal nach, wo Bragg sonst noch die Finger drin hatte. Eine Katastrophe kommt selten allein.«
»Das war eine sehr kurze Reise«, sagte Dicken und warf sowohl den Ausdruck eines Berichts als auch eine Diskette auf Augustines Schreibtisch. »Die WHOLeute in Afrika haben mir gesagt, sie würden die Sache auf ihre Weise handhaben, schönen Dank. Sie sagen, man könne hier nicht mit der gleichen Kooperation rechnen wie bei früheren Untersuchungen. Angeblich haben sie in ganz Afrika nur hundertfünfzig bestätigte Fälle, und deshalb sehen sie keinen Anlass zur Panik. Immerhin waren sie so freundlich, mir ein paar Gewebeproben zu geben. Ich habe sie von Kapstadt hergeschickt.«
»Sind schon angekommen«, sagte Augustine. »Seltsam. Wenn wir ihren Zahlen glauben, ist Afrika viel weniger betroffen als Asien, Europa oder Nordamerika.« Er sah besorgt aus — nicht wütend, sondern traurig. Dicken hatte Augustine noch nie so mitgenommen erlebt.
»Wohin führt das alles, Christopher?«
»Der Impfstoff?«, fragte Dicken.
»Ich meine Sie, mich, die Taskforce. Bis Ende Mai haben wir allein in Nordamerika über eine Million infizierte Frauen. Der Sicherheitsberater des Präsidenten hat Soziologen zu sich bestellt, die ihm sagen sollen, wie die Öffentlichkeit reagieren wird. Der Druck wird von Woche zu Woche größer. Ich komme gerade von einer Besprechung mit der Leiterin der Gesundheitsbehörde und dem Vizepräsidenten. Nur der Vize, Christopher. Für den Präsidenten ist die Taskforce zur Belastung geworden. Kaye Langs kleiner Skandal kam vollkommen unerwartet. Das einzig Lustige daran war, dass Marge Cross im Zimmer herumgeeiert ist wie ein entgleister Güterzug. In der Presse werden wir runtergemacht — inkompetente Stümperei in einem Zeitalter der Wunder , das ist der allgemeine Tenor.«
»Kein Wunder«, sagte Dicken und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
»Sie kennen Lang besser als ich, Christopher. Wie konnte sie das zulassen?«
»Ich hatte den Eindruck, die NIH können das Patent rückgängig machen. Irgendeine Formalie, die Unmöglichkeit, eine natürliche Ressource auszubeuten.«
»Ja — aber mittlerweile lässt dieser Idiot Bragg uns aussehen wie richtige Esel. War Lang so dumm und hat jedes Papier unterschrieben, das ihr Mann ihr unter die Nase gehalten hat?«
»Sie hat unterschrieben?«
»Sie hat unterschrieben«, sagte Augustine. »Das ist sonnenklar.
Sie hat die Kontrolle über alle Entdeckungen, die sich auf das ursprüngliche endogene menschliche Retrovirus stützen, an Saul Madsen und beliebige Partner übertragen.«
»Die Partner sind nicht festgelegt?«
»Die sind nicht festgelegt.«
»Dann hat sie sich eigentlich nicht strafbar gemacht, oder?«, fragte Dicken.
»Ich arbeite nicht gern mit Idioten. Sie ist mir ganz buchstäblich mit Americol in die Quere gekommen, und jetzt macht sie die Taskforce lächerlich. Wen wundert es da noch, dass der Präsident mich nicht empfängt?«
»Das ist doch nur vorübergehend.« Dicken kaute an einem Fingernagel, hörte aber damit auf, als Augustine aufblickte.
»Cross sagt, wir sollen mit der Erprobung weitermachen und Braggs Klage auf uns zukommen lassen. Der Meinung bin ich auch. Aber unsere Beziehung zu Lang werde ich vorläufig begraben.«
»Sie könnte immer noch nützlich sein.«
»Dann soll sie sich anonym nützlich machen.«
»Heißt das, ich soll mich von ihr fernhalten?«
»Nein«, sagte Augustine. »Geben Sie ihr das Gefühl, dass zwischen Ihnen alles in Butter ist. Dass sie gebraucht und auf dem Laufenden gehalten wird. Ich will nicht, dass sie sich an die Presse wendet — außer um sich über die Behandlung durch Cross zu beklagen. Und jetzt … die nächste kleine Unerfreulichkeit.«
Augustine griff in seine Schreibtischschublade und holte ein glänzendes Schwarzweißfoto heraus. »Ich tue so etwas nicht gern, Christopher, aber ich sehe ein, warum es getan wird.«
»Was?« Dicken fühlte sich wie ein kleiner Junge, der gleich ausgeschimpft werden soll.
»Shawbeck hat das FBI beauftragt, unsere wichtigsten Leute zu überwachen.«
Dicken beugte sich nach vorn. Er hatte schon seit langem den Instinkt des Beamten entwickelt, der seine Reaktionen im Zaum halten muss. »Warum?«
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