»Ja?«
»Chao Khun General Pracha erwartet Sie.«
»Ich bin beschäftigt«, sagt Jaidee. »Unser Freund hier scheint endlich bereit, sich kühlen Blutes und in angemessener Haltung mit uns zu verständigen.« Er schenkt dem Geschäftsmann ein freundliches Lächeln.
»Ich soll Ihnen ausrichten …«, fährt der Junge fort. »Mir wurde aufgetragen …«
»Sag schon.«
»Ich soll Ihnen ausrichten, Sie sollen Ihren, Ihren — bitte verzeihen Sie — Ihren ›selbstsüchtigen Arsch‹ — bitte verzeihen Sie — ins Ministerium bewegen. Sofort, wenn nicht schneller.« Der Gefreite windet sich sichtlich. »Wenn Sie kein Fahrrad haben, sollen Sie meins nehmen.«
Jaidee zieht eine Grimasse. »Aha. Nun gut.« Er steht auf und nickt Kanya zu. »Leutnant? Vielleicht können Sie unserem Freund Vernunft beibringen?«
Kanya sieht ihn verwundert an. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Offenbar möchte Pracha sich nun doch mal ordentlich Luft machen.«
»Soll ich Sie begleiten?« Kanya wirft einen Blick auf den Geschäftsmann. »Die alte Echse kann warten.«
Jaidee muss über ihre Besorgnis lächeln. »Keine Angst. Bringen Sie das hier zu Ende. Wenn Sie zurückkommen, lasse ich Sie wissen, ob wir für den Rest unserer Laufbahn in den Süden verbannt werden, um die Lager der Yellow Cards zu bewachen.«
Während Jaidee und der Gefreite zur Tür eilen, hat der Geschäftsmann seinen Mut wiedergefunden. »Das wird Sie Ihren Kopf kosten, Heeya!«
Jaidee hört, wie Kanyas Schlagstock auf den Kopf des Chinesen trifft und dieser einen Schrei ausstößt. Dann schließt sich die Tür der Fabrik hinter ihnen.
Draußen brennt die Sonne auf sie herab. Jaidee schwitzt bereits von seiner Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmann, umso unangenehmer ist ihm die Hitze. Er wartet im Schatten einer Kokosnusspalme, bis der Bote sein Fahrrad geholt hat.
Der Junge bemerkt, wie sehr Jaidee schwitzt, und fragt ihn besorgt: »Möchten Sie sich nicht etwas ausruhen?«
Jaidee lacht. »Mach dir keine Sorgen um mich, ich werde nur alt. Dieser Heeya war äußerst störrisch, und ich bin nicht mehr der Kämpfer, der ich einmal war. In der kühlen Jahreszeit würde ich nicht so sehr schwitzen.«
»Sie haben viele Kämpfe gewonnen.«
»Einige.« Jaidee grinst. »Und ich habe auch trainiert, wenn es heißer war als jetzt.«
»Ihr Leutnant könnte sich um solche Sachen kümmern«, erwidert der Junge. »Sie müssen nicht so hart arbeiten.«
Jaidee wischt sich den Schweiß von der Stirn und schüttelt den Kopf. »Was würden meine Männer dann denken? Dass ich faul bin!«
Der Junge ringt nach Luft. »Das würde niemand von Ihnen denken. Niemals!«
»Wenn du es erst einmal zum Hauptmann gebracht hast, wirst du das besser verstehen.« Jaidee lächelt nachsichtig. »Männer sind einem treu ergeben, wenn man selbst an vorderster Front steht. Keiner meiner Leute wird je seine Zeit darauf verschwenden, einen Kurbelventilator anzutreiben oder mir mit einem Palmwedel Luft zuzufächeln, nur damit ich es bequem habe wie diese Heeya im Handelsministerium. Ich mag der Anführer sein, aber wir sind alle Brüder. Versprich mir, dass du es genauso halten wirst, wenn du Hauptmann bist!«
Die Augen des Jungen leuchten. Er verneigt sich ein weiteres Mal. »Ja, Khun. Das werde ich nicht vergessen. Vielen Dank!«
»Braver Junge.« Jaidee schwingt sich in den Sattel. »Wenn Leutnant Kanya hier fertig ist, dann nimmt sie dich auf unserem Tandem mit.«
Er fährt los. Wer in der heißen Jahreszeit mit dem Rad unterwegs ist, muss entweder verrückt oder hoch motiviert sein. Die meisten Menschen harren im Schatten aus, unter Torbögen oder Planen, die die Gassen überspannen. Jaidee passiert Märkte, auf denen Gemüse, Geschirr und Kleider verkauft werden.
Auf der Thanon Na Phralan nimmt er die Hände vom Lenker und verneigt sich im Vorbeifahren vor dem Schrein der Stadtsäulen; er flüstert ein Gebet für die Sicherheit des spirituellen Herzens von Bangkok. Dort hat König Rama XII. seine Erklärung verlesen, dass sie die Stadt nicht dem ansteigenden Meer überlassen würden. Jetzt dringt der Gesang der Mönche auf die Straße, die um das Überleben der Stadt bitten, und er erfüllt Jaidee mit innerem Frieden. Dreimal hebt er die Hand an die Stirn, einer von vielen Radlern, die dasselbe tun.
Fünfzehn Minuten später taucht das Umweltministerium vor ihm auf, eine Reihe von mit roten Ziegeln gedeckten Gebäuden mit steilen Dächern, die aus einem Dickicht aus Bambus, Teak und Regenbäumen herausragen. Hohe weiße Mauern und Bildnisse von Garuda und Singha wachen über das Ministerium; der Regen hat auf ihnen seine Spuren hinterlassen, und sie werden von Farnen und Moosen eingefasst.
Jaidee hat das Grundstück schon einmal aus der Luft gesehen — er gehörte zu einer Handvoll Männern, die an Bord eines Luftschiffes über die Stadt flogen. Damals war Chaiyanuchit noch Umweltminister und der Einfluss der Weißhemden uneingeschränkt. Seuchen fegten über die Erde und töteten die Ernte mit einem solch schwindelerregenden Tempo, dass niemand wusste, ob etwas überleben würde.
Chaiyanuchit war sich darüber im Klaren, was auf dem Spiel stand und was getan werden musste. Als die Grenzen geschlossen, als Ministerien isoliert, als Phuket und Chiang Mai ausradiert werden mussten, zögerte er nicht. Als im Norden die Dschungelblüte explodierte, brannte er unbarmherzig alles nieder, und als er im Luftschiff Seiner Majestät des Königs in den Himmel aufstieg, dufte Jaidee ihn begleiten.
Zu jener Zeit waren sie allerdings nur noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt. AgriGen und PurCal und die anderen lieferten ihre seuchenresistenten Samen und forderten exorbitante Profite; patriotische Genfledderer arbeiteten bereits daran, den Code der Kalorienkonzerne zu knacken, und versuchten mit all ihrer Kraft, das Königreich mit Nahrung zu versorgen, während Burma und die Vietnamesen und die Khmer dem Untergang geweiht waren. AgriGen drohte mit einem Embargo, weil ihr geistiges Eigentum verletzt worden sei, aber das Königreich Thailand war noch am Leben. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Während andere von den Kalorienkonzernen ausgequetscht wurden, blieb das Königreich standhaft.
Embargo! Chaiyanuchit hatte nur gelacht. Das ist doch genau das, was wir wollen! Wir wollen keinerlei Kontakt zur Außenwelt haben.
Und so waren Mauern in die Höhe geschossen, eine nach der anderen — sofern der Ölkollaps und die Angst vor dem Bürgerkrieg und den hungernden Flüchtlingen nicht sowieso schon allerorten dazu geführt hatten, dass die Grenzen geschlossen wurden. Barrieren legten sich um das Königreich und schotteten es vor der Außenwelt ab.
Als frischer Rekrut war Jaidee erstaunt gewesen, was für eine Hektik im Umweltministerium herrschte. Weißhemden eilten aus ihren Büros auf die Straße hinaus und versuchten, unter Tausenden von Gefahren den Überblick zu behalten. In keinem anderen Ministerium war das Gefühl von Dringlichkeit so ausgeprägt. Auf den Ausbruch von Seuchen musste blitzschnell reagiert werden. Wurde in einem abgelegenen Distrikt ein einziger transgener Rüsselkäfer entdeckt, handelten sie innerhalb von wenigen Stunden, und die Weißhemden rasten mit einem Spannfederzug quer durchs Land zum Epizentrum der Seuche.
Täglich wurde der Zuständigkeitsbereich des Ministeriums erweitert. Die Seuchen waren nur der vorerst letzte Angriff auf das Königreich. Den Anfang machte der ansteigende Meeresspiegel, weshalb Deiche und Dämme gebaut werden mussten. Dann folgte die Regulierung des Energiemarktes, der Handel mit Kohlenstoffguthaben und die strenge Ahndung von Verstößen gegen die Klimabestimmungen. Die Weißhemden übernahmen die Lizenzierung der Produktion und Verwertung von Methan. Sie überwachten das Fischereiwesen und vor allem das Ausmaß der Toxinanreicherung in der letzten Kalorienbastion des Königreichs (es war ein Segen, dass die Kalorienkonzerne der Farang wie Binnenlandbewohner dachten und nur halbherzige Angriffe auf die Fischbestände geführt hatten). Und natürlich musste der Gesundheitszustand der Menschen sowie die Ausbreitung von Viren und Bakterien im Auge behalten werden: H7V9; Cibiskose111. b, c, d; die fa’ gan -Wucherung; Bitterwassermuscheln und ihre viralen Mutationen, die so leicht vom Salzwasser aufs Festland übersprangen; Rostwelke … Die Pflichten des Ministeriums kannten keine Grenzen.
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